"Arigona heißt übersetzt Stolz"
Arigona Zogaj

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Aus dem Pfarrhaus von Ungenach in Oberösterreich dringt Kinderlachen.
Seit 1981 finden hier, unter der Obhut von "Pfarrer Zivilcourage", Flüchtlinge und ihre Familien Asyl – Polen, Kurden, Bosnier, Mongolen. Und die 15-jährige Arigona Z., nachdem sie auf der Flucht vor der Fremdenpolizei elf Tage lang untergetaucht war.
Als wir sie und Pfarrer Friedl am Donnerstagabend zum Interview treffen, ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes noch ausständig. Es lebt noch ein ganz kleines bisschen Hoffnung, wenn Arigona – in breitestem oberösterreichischem Dialekt und immerwieder mit ihrer weißen Plastikperlenkettespielend – über ihre Heimat Österreich spricht, über ihre kleinen Geschwister im Kosovo, von denen sie und ihre Mutter Nurie seit fast drei Monaten getrennt sind, vom Papa undvon den älteren Brüdern. Hoffnung, dass Innenminister Platter Gnade walten lassen möge. Diese Hoffnung wird am Freitag zerschlagen.

Wann haben Sie zuletzt mit Ihren Geschwistern telefoniert?
Am Mittwoch. Die zwei Kleinen weinen jedes Mal, sie wollen zurück nach Hause, zur Mama. Es tut so gut, ihre Stimme zu hören. Aber es ist g'scheit teuer.

Wie geht es IhrerMutter?
Meiner Mama geht es immer sehr schlecht, wenn sie mit Albin und Albona gesprochen hat. Ich mache mir große Sorgen um sie. Siekann es nicht verkraften, ihre Kindernicht mehr bei sich zu haben. Zu allem Überfluss kam vor ein paar Tagen auch noch eine Rechnung vom Spital über mehr als 5000 Euro. Dabei waren wir bis vor Kurzem nicht einmal krankenversichert!

Was für eine Rechnung?
Mama ist in psychiatrischer Behandlung, sie ist nervlich am Ende. Sie nimmt sechs verschiedene Medikamente. Danach ist sie ruhig.Der Psychiater, der sie untersucht hat, sagt: Deine Mama ist eine gebrochene Frau.

Aber ihre Tochter Arigona, die ist unglaublich stark.
Ich hab' sicher mehr Kraft als die Mama. Weil ich Freundinnen habe, die zu mir halten. Super-Freundinnen! Ohne sie hätte ich das alles nicht durchstehen können. Manchmal kann ich es kaum mehr aushalten. Ich hab' ja meine kleineren Geschwister immer zur Schule gebracht. Oft auch am Abend ins Bett, weil die Mama ja auch gearbeitet hat. Jetzt darf sie nicht mehr arbeiten. Wenn wir den Pfarrer Friedl nicht hätten, könnten wir unsere Rechnungen schon lange nicht mehr bezahlen.

Wie nennen Sie den Herrn Pfarrer?
Ich darf ihn Josef nennen. Auch er versteht nicht, wie man kleine Kinder von der Mutter trennen kann. Warum sie nicht wenigstens die Kleinen hier lassen konnten.

Durch Ihre Flucht haben Sie große öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Migration geschaffen. Ist Ihnen das eigentlich bewusst?
Ja, schon. Aber es war natürlich nicht geplant. Ich hatte ganz einfach riesige Angst vor der Polizei und ihren Tricks.

Welchen Tricks?
Am Tag, an dem sie unser Haus mit fünf Autos umstellt haben, um uns abzuführen, war ich gerade bei der Fahrstunde für den Mopedführerschein. Freundinnen haben mich gewarnt. Das war mein Glück. Meinen älteren Brüdern hatten die Kieberer schon vorher eine Falle gestellt. Dann rief eine männliche Stimme auf meinem Handy an. Ich bin ein Bekannter vom Alban, deine Mutter macht sich Sorgen, wobist du?, wollte der Mann wissen. Ich wusste sofort, dass das ein Kieberer war. Und hab' ihn angelogen. Ich bin bei meinem Onkel, hab' ich gesagt. Fünf Minuten später war sein Haus auch umstellt.

Ihre Reaktion?
Ich hab' mein Handy zerlegt, damit sie mich nicht mehr orten können und bin untergetaucht.

War das nie Thema in Ihrer Familie, dass Sie abgeschoben werden könnten?
Wir wussten schon, dass da ein Verfahren läuft. Aber wir dachten, dass wir vorher einen Brief bekommen, dass uns jemand die Lage erklärt und dass der Anwalt noch was tun kann. Diesen Brief hat die Polizei aber am 26. September, als sie uns alle mitnehmen wollten, gleich mitgebracht. Heute weiß ich, dass das "Finalisierung vor Ort" heißt und zur Taktik der Fremdenpolizei gehört.

Haben Sie Angst vor der Polizei?
Arigona heißt übersetzt "Stolz". Das passt sehr gut zu mir. Ich habe mich nie vor etwas gefürchtet, aber vor der Polizei fürchte ich mich.

Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie unter keinen Umständen in den Kosovo zurück wollen. Warum eigentlich nicht?
Weil ich dort überhaupt keine Zukunft habe! Meine Freundinnen sind hier, meine Schule ist in Österreich, ich möchte Friseurin werden, ich spreche eure Sprache. Was soll ich im Kosovo?

Nicht böse sein, aber zwei Millionen Menschen leben im Kosovo und sie überleben auch.
Ich weiß nicht, ob Sie je im Kosovo waren. Die Arbeitslosigkeit dort beträgt 60 Prozent. Die allermeisten Familien haben Verwandte in Österreich, in Deutschland oder in der Schweiz, die ihnen Geld schicken. Deshalb überleben sie. So möchte ich aber nicht leben. Und so könnte mein Vater mich und meine vier Geschwister auch nicht ernähren.

Es hat Angebote gegeben für den Fall, dass Sie und Ihre Mutter freiwillig in Ihre Heimat zurückkehren.
Meine Heimat ist Österreich. Ganz bestimmt nicht der Kosovo.Wenn ich an den Kosovo denke, sehe ich Tote und verstümmelte Leichen. Dann tauchen Bilder auf von unserer Flucht. Da hatte meine Mama meine kleine Schwester auf dem Arm, mit dem Albin war sie schwanger. Ja, sie haben uns einen Traktor angeboten, wenn wir zurückgehen. Das ist ja nett, aber was sollen wir mit einem Traktor? Wir sind keine Bauern. Mein Vater hat auf einer Putenfarm gearbeitet. Sein Chef sagt, er würde ihn jederzeit zurücknehmen. Aber er ist kein Bauer.

Trotzdem sind Ihre Chancen, in Österreich bleiben zu können, äußerst gering
Ich hoffe trotzdem. Ich höre nicht auf zu hoffen. Ich habe das dem Innenministerauch geschrieben. Ich hab' ihm eine Weihnachtskarte geschrieben, in der steht: Bitte, Herr Minister, lassen Sie meine kleinen Geschwister zur Mama zurückkommen. Er hätte die Macht.

Und wenn er gegen Ihre Familie entscheidet? Arigonas Augen füllen sich mit Tränen. Sie sagt lange nichts. Nach einem kurzen Blickkontakt mit Pfarrer Friedl, der ihr aufmunternd zunickt, erklärt sie mit fester Stimme:
Ich gehe nicht lebend in den Kosovo zurück. Als ich das in meinem Brief geschrieben habe, hatte meine Mama einen Nervenzusammenbruch. Inzwischen weiß sie, dass das so ist.

Sie drohen erneut mit Selbstmord.
Ich drohe bestimmt niemandem. Ich sage nur, dass ich lieber sterbe als abgeschoben zu werden.

Pfarrer Josef Friedl sagt:
Wenn sie Arigona abschieben wollen, dann müssen sie sie hier, im Pfarrhof von Ungenach, abholen. Von mir persönlich.

Hat sich dieser Kampf gelohnt, Arigona?
Für mich vielleicht nicht. Aber wenn ich durch mein Handeln Diskussionen ausgelöst und nachfolgenden Familien geholfen habe, dann hat es wenigstens einen Sinn gehabt.

15. Dezember 2007, erschienen im KURIER