Europas mächtigster Medienmanager wird kommende Woche RTL verlassen und zu Time Warner wechseln. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht Gerhard Zeiler über seinen Aufstieg, das Abenteuer-Gen und eine sehr private Entscheidung.
Das RTL-Headquarter am Kirchberg über Luxemburg: Vom Büro des Wiener Konzernchefs im 3. Stock blickt man auf eine mit Radio-Antennen und Satelliten-Schüsseln bepflanzte Dachterrasse. "Leider kann man da nie sitzen", erklärt Zeiler, "in Luxemburg gibt es nämlich nur zwei Arten von Wetter. Im Sommer Regen, im Winter Nebel."
Dafür sind die Bilanzen sonnig: 700 Millionen Euro hat der smarte Medienmanager zuletzt in die Kassen der Aktionäre der größten europäischen Fernsehgruppe gespült. Am nächsten Mittwoch, dem Tag der Hauptversammlung, ist Schluss. "Zeiler to leave RTL-Group" steht auf dem Titelblatt des hauseigenen Magazins. Aber nicht Richtung ORF. Zeiler wird Präsident der Turner Broadcasting System International mit Sitz in London.
Herr Zeiler, Sie sind nicht gerade bekannt für große Emotionen. Ist bei Ihrem Abschied von RTL trotzdem so was wie Wehmut dabei?
Da ist eine große Portion Wehmut dabei. Nur habe ich schon zweieinhalb Monate mit dieser Wehmut zu leben gelernt. Dreizehneinhalb Jahre, das ist viel Zeit, so lange war ich überhaupt noch nie bei einer Firma.
Sie verlassen das Unternehmen mit dem besten Ergebnis in der Geschichte des Senders, wurden aufgrund der Milliardenumsätze sogar als "Cash Cowboy" betitelt. Hat Ihnen das geschmeichelt?
Cowboy schmeichelt mir sehr wohl. Und Cash ist grundsätzlich auch was Positives, also werde ich mich nicht beschweren. Bei allen Krisen, die es gegeben hat, waren es schon sehr erfolgreiche Jahre, was mich -das muss ich ehrlich sagen -auch ein bisschen stolz macht.
Warum gehen Sie dann? Weil es nichts mehr zu gewinnen gibt?
Der Hauptgrund ist, dass ich noch einmal etwas anderes machen wollte. Nachdem ich im vergangenen Jahr ein Angebot von den Amerikanern bekommen habe, hat mich der Gedanke nie mehr losgelassen. Das Abenteuer-Gen in mir hat wieder zugeschlagen... Aber natürlich ist mir ein "Schade, dass er geht!" lieber als ein "Na, wurde auch schon Zeit!"
Bei Time Warner drehen Sie an einem deutlich kleineren Rad -RTL macht mehr Umsätze. Ist es wirklich ein Aufstieg?
Ich habe nie Aufstiege oder Abstiege gesehen, sondern immer nur Umstiege. Was reizt mich an Turner International? Erstens, dass ich für die ganze Welt außer Amerika zuständig bin, für Kontinente, mit denen ich bis dato nichts zu tun hatte - Lateinamerika, aber auch Asien. Zweitens, dass Time Warner international wachsen will. Dafür haben mich die Amerikaner geholt. Deshalb habe ich nach langem, langem Nachdenken Ja gesagt.
Wie lange haben Sie nachgedacht?
Dass mein Kopf und mein Bauch übereinstimmen, das hat diesmal Monate gedauert. Ich bin ja sehr gerne hier. Ich mochte den Job, ich mochte die Mannschaft, ich war in meinem Element. Das aufzugeben war nicht leicht. Wenn ich es mir so überlege, war es der längste Nachdenkprozess in meiner Karriere.
Hat RTL versucht, Sie zu halten, vielleicht mit sehr viel Geld?
Ja, schon. Aber Geld war bei keiner wichtigen Entscheidung ein ausschlaggebender Faktor - weder zu bleiben noch zu gehen. Ich verdiene schon genügend Geld. Ich habe oft gescherzt: Gott sei Dank wissen meine Gesellschafter nicht, dass ich den Job auch um die Hälfte des Geldes machen würde, so sehr macht er mir Spaß. – Lacht.
Könnte es sein, dass London nur eine Zwischenstation ist und Sie der erste österreichische Medienmanager werden wollen, der nach Amerika geht?
Ich mag Amerika, ich bin sehr anglophil, aber ich plane mit Sicherheit nicht - auch nicht in meiner Fantasie - was als nächstes passieren wird, noch bevor ich diesen Job überhaupt angetreten habe.
Ist Ihr neuer Job auch eine politische Funktion? Sie vertreten Ihr Unternehmen auf der ganzen Welt, außer den USA.
Ich vertrete über 130 Sender in mehr als 200 Ländern. Ist es eine politische Funktion? Es ist schon eine wirtschaftliche Funktion. Dass ein politisches Gespür und die Kenntnis der jeweiligen politischen Landschaft hilft, das ist keine Frage.
Dabei wollten Sie in Zukunft weniger reisen.
Tja, das wird jetzt anders werden. Ich plane, zwei Wochen im Monat in London zu sein und dann jeweils eine Woche Lateinamerika, eine Woche Asien, eine Woche Europa, eine Woche Amerika. Der Rest ist Salzburg.
Also wird Zeiler zum Berufspendler?
Ja. Mein Hauptwohnsitz wird mit Mai Salzburg, mein Arbeitsplatz ist in London. Ich werde ganz offiziell nach Österreich übersiedeln und auch in Österreich Steuern zahlen.
Werden auch bald die Hochzeitsglocken läuten?
Wenn ja, dann werden Sie das noch früh genug hören. Aber ich bin froh, dass mein Privatleben privat bleibt.
Das ganze klingt ein wenig so, als wollten Sie irgendwann von hier aus in die österreichische Politik zurückkehren.
Also bitte, da muss ich wirklich schmunzeln. Ich nehme mit 1. Mai diesen neuen Job an, mein hundertprozentiger Fokus liegt darauf. Alles andere ist mehr als Spekulation.
Schließen Sie es aus?
Warum sollte ich etwas ausschließen? Ich schließe im Leben überhaupt nichts aus, aber das heißt nicht, dass ich es plane oder mir im Hinterkopf Gedanken darüber machen würde.
Wie beurteilen Sie denn den Zustand der österreichischen Politik?
Es hat Zeiten gegeben, wo man viel froher war, im Ausland sagen zu können: Ich komme aus Österreich. Das gebe ich schon zu.
Das Land ist gelähmt von Korruptionsfällen, beim Untersuchungsausschuss kommen immer neue bizzarre Details ans Licht. Sie waren ja einmal im Aufsichtsrat der Telekom.
Von 1997 bis 2002, fünf Jahre. Es erschreckt mich schon, wenn ich jetzt lese, mit welchen zum Teil absurd lächerlichen Methoden und Einladungen manche geglaubt haben, die Politik für sich günstig stimmen zu können. Ein Armutszeugnis für die handelnden Personen. Dabei könnte die Telekom ja ein positives österreichisches Aushängeschild, ein Vorzeigeunternehmen sein.
Stichwort Vorzeigeunternehmen: Tut es Ihnen noch weh, dass ausgerechnet die SPÖ verhindert hat, dass "Genosse Zeiler" ORF-Chef wird?
Da sind viele Gerüchte und Mythen entstanden, die nicht immer hundertprozentig stimmen. Tatsache ist, dass viele in der SPÖ gesagt haben: "Gerhard, wir brauchen dich. Willst du es dir nicht überlegen?" Und ich habe es mir überlegt. Wenn auch nicht lange, weil mich einige Gespräche dermaßen geschockt haben, dass mir klar wurde, dass das nicht mein nächster Karriereschritt sein wird.
Gespräche mit wem?
Mit den Vertretern der Regierungsparteien.
Sehen Sie es als eine Niederlage an?
Nein, warum?
Weil Sie es nicht geworden sind. Sondern Alexander Wrabetz.
Nein. Ich hatte in meinem Leben so viel Glück, dass ich immer selbst entscheiden konnte, was ich mache und was nicht. Ich musste nie einen Job annehmen, den ich nicht wollte. Das einzige Mal, wo ich wirklich bleiben wollte, war 1990, als mein damaliger Chef Thaddäus Podgorski abgewählt wurde und mir Gerd Bacher zwar vieles angeboten hat, aber ich nicht Generalsekretär bleiben durfte. Das hat dann meine Trotzreaktion ausgelöst, dass ich mich in Deutschland umgeschaut habe. Und es war das Beste, was mir passieren konnte.
Von wem waren Sie beim letzten Versuch am meisten enttäuscht?
Enttäuschung ist das falsche Wort. Ich versuche gerade, das richtige zu finden. – Denkt lange nach. – Ich habe es mir von der Person zwar so gedacht, aber es dann zu hören, war doch ein Unterschied.
Die Person ist Werner Faymann?
Ich bitte, das nicht kommentieren zu müssen. Nur so viel: Mit Ausnahme der Bestellung von Kathi Zechner hat alles, was seither passiert ist ...
... Ihre schlimmsten Befürchtungen übertroffen?
Ja.
Mit ihrem Protestvideo gegen die Bestellung von Niko Pelinka haben die ORF-Redakteure sogar einen Preis gewonnen. Fanden Sie die Aktion gut?
Es war gut, dass die Journalisten sich gewehrt haben, aber es muss schon auch einen Chef geben, der klare Entscheidungen trifft. Ein Unternehmen, das nicht geführt wird, kann auf Dauer nicht überleben.
Der ORF hat einen Chef.
Theoretisch, ja.
Die geplante Übersiedlung nach St. Marx schlägt derzeit hohe Wellen. Verstehen Sie den Protest der Mitarbeiter dagegen?
Da kann ich mich wenig hineinfühlen. Ich verstehe, dass die historischen Bauten des Funkhauses Tradition haben, aber auch die Zukunft des gesamten Unternehmens muss berücksichtigt werden. Bei RTL haben wir kürzlich alle Standorte in Köln zentral zusammengelegt. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil es die Zusammenarbeit zwischen den Teams von VOX, RTL und n-tv positiv beeinflusst hat.
Welche Eigenschaften sind eigentlich nötig, um so weit wie Sie zu kommen? Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Man sollte das, was man tut, gerne tun, mit Leidenschaft. Das ist das Wichtigste. Ganz blöd darf man auch nicht sein, also ein gewisses Ausmaß an Intelligenz, vor allem an sozialer Intelligenz, sollte man auch haben. Und dann geht es darum, Teams zu führen. Das ist wie bei einem guten Fußballtrainer. Entweder er schafft es, dass die elf Leute am Spielfeld für ihn und auch füreinander durch dick und dünn gehen, oder er schafft es nicht. Der Unterschied bedeutet manchmal Abstieg oder Meisterschaft. Ähnlich ist es auch, bei der Führung eines Unternehmens. Und schließlich braucht man noch ein gehöriges Maß an Bescheidenheit. Das Schlimmste sind für mich Leute, die schon mit so einem riesigen Ego durch die Tür kommen...
Sind Sie bescheiden?
In dem Sinne, dass ich weiß: Ich bin nur ein kleines Rad des Erfolgs. In dem Sinne, dass ich weiß: Ich mache Fehler, aber ich habe die Fähigkeit und den Willen, daraus zu lernen. Und in dem Sinne, dass ich weiß: Misserfolgsvermeidungsdenken ist für mich Tabu.
Misserfolgs was?
Das ist eine Wortkreation von mir. Nicht mehr bereit zu sein, etwas zu riskieren, das ist das Schlimmste. Leute mit Misserfolgsvermeidungsdenken können nur scheitern.
Herr Zeiler, in dreieinhalb Jahren werden Sie 60 sein.
Warum werden Sie plötzlich unfreundlich? – Lacht.
Ist das eine magische Grenze für Sie?
Nein. Entweder ist man schon vorher alt oder man ist mit 60 eben noch nicht alt. An magische Grenzen habe ich mit 30 geglaubt, aber dann hat sich herausgestellt, dass sich an der magischen Grenze nichts ändert, mit 30 nicht, mit 40 nicht, mit 50 auch nicht. Ich bin sicher, es ändert sich auch mit 60 nichts.
Wie alt wollen Sie werden?
So alt, dass ich noch immer Spaß am Leben habe. Solange ich Spaß habe, möchte ich leben.
14. April 2012, erschienen in der KRONE