Beim Songcontest in Kopenhagen wurde sie zur „Queen of Austria" gekürt. Im Interview mit Conny Bischofberger, acht Monate vorher, sprach Conchita Wurst (24) über Hasstiraden auf Facebook, den Menschen hinter der Fassade und wie dieser Mann zur öffentlichen Frau geworden ist.
Sie zieht alle Blicke auf sich, als sie im „Motto am Fluss“ am Wiener Franz Josefs-Kai erscheint: Mini-Pailettenkleid unter schwarzer Lederjacke, dazu 17 cm hohe Jeffrey Campbell Stiefel („Meine Babys“), schwarz lackierte Fingernägel, schwarze Perücke und – ein mit schwarzem Lidschatten gefärbter (echter) Bart. „Conchita“ haucht sie und schenkt dem „Krone“-Fotografen einen gigantischen Wimpernaufschlag (Conchita ist übrigens eine spanische Verniedlichungsform von Vagina). Und warum Wurst? „Weil es wurst ist, wie du aussiehst, woher du kommst, ob du Mann oder Frau bist! Einzig und allein der Mensch zählt.“
Nicht auf Facebook: Dort schlägt der Sängerin, die der ORF im Mai 2014 zum Eurovisions-Song-Contest nach Dänemark schickt, der blanke Hass entgegen. „Schande!“, „Sie macht uns lächerlich“, „Eine Frechheit!“ sind noch die nettesten Kommentare. „Ich hatte geglaubt, Österreich sei toleranter“ erklärt Frau Wurst auf Hochdeutsch mit germanischem Akzent. Sie sitzt als Kunstfigur hier am Donaukanal, geboren im Hochland von Kolumbien undsoweiter undsofort. Erst im Laufe des Gesprächs („Das hängt immer von meinem Gegenüber ab“) erzählt sie auch von ihrem andern Ich, das Tom heißt. Einen kurzen Moment lang ist sie sogar Tom – nur sie spricht nicht so wie er, nämlich im Ausseer Dialekt.
Frau Wurst, wie lange brauchen Sie für dieses aufwändige Styling?
Das kommt immer drauf an, wieviel Zeit man uns Frauen gibt, nicht wahr? Also unter einer halben Stunde geht es nicht. Manchmal kann es auch bis zu vier Stunden dauern. Dann zelebriere ich es, habe vielleicht ein Gläschen Sekt und denke mir: „Ach, ein paar Wimpern gehen noch!“
Ist Ihr Bart echt?
Die Barthaare sind echt, die Farbe mal ich drauf.
Apropos Barthaare: Ist das Rasieren nicht mühsam?
Also mein Epiliergerät und ich werden nie Freunde werden… Es tut einfach wahnsinnig weh, vor allem in den Kniekehlen, da ist es schlimmer als unter den Achseln.
Wie sehen Sie aus, wenn alles abgeschminkt ist?
Leer. – Lacht. – Ich frage mich dann immer: Wo sind deine Augen hin?
Fragt sich das Conchita Wurst oder fragt sich das Tom Neuwirth?
Ich merke immer deutlicher, dass diese zwei langsam eins werden. Das klingt vielleicht ein bißchen schizophren, aber wir verschmelzen ineinander. Ich sehe es für mich als Lernprozess. Ich wollte immer in der Öffentlichkeit stehen, ich wollte immer singen, konnte aber nicht damit umgehen, viel über mich preiszugeben… Da war es für mich der einzig logische Schritt, einen Menschen zu erschaffen, der ich gerne sein möchte.
Aber wer sind Sie wirklich? Eine Frau Wurst, die aber noch den Bart von Herrn Neuwirth trägt?
Genau. Der Bart ist natürlich Provokation und für mich ein Ventil, um Aufmerksamkeit zu generieren. Ich möchte ja die Geschlechter vermischen, einfach um zu zeigen, dass jede Frau auch etwas Männliches und jeder Mann auch eine weibliche Seite hat. Ich hab‘ es nur runtergeschmolzen.
Was ist das Weibliche an Ihnen?
Aus medizinischer Sicht habe ich natürlich nichts Weibliches – weder Busen noch Gebärmutter noch die Periode. Aber ich lege großen Wert darauf, wie ich aussehe, was ich anziehe. Ich bin wahnsinnig emotional – ich heule bei jedem Schundfilm - und mitfühlend. Wenn es jemandem schlecht geht, geht es mir automatisch auch schlecht.
Apropos Busen: Stopfen Sie den aus?
Ja. Ich trage einen Push-Up-BH. Dazu Einlagen, wie sie jede Ballgängerin auch schon benutzt hat.
Was passiert da in der Früh vor dem Spiegel? Überschminkt da Frau Wurst Tom Neuwirt und zack, weg ist er?
Ich sage manchmal auf die Frage, was Tom Neuwirt denkt: „Ich kenne ihn kaum, wir verpassen uns immer im Spiegel.“ Ich kokettiere gerne damit. Und es ist auch wahr: Ich habe ihm noch nie die Hand geschüttelt. Wenn wir am Abend feiern gehen - da fragen meine Freunde: Wer kommt heute mit? Je nachdem, wie ich grade drauf bin, gehe ich perfekt gestylt als Conchita oder ungeschminkt als Tom.
Fühlen Sie sich von diesem ständigen Rollenwechsel nicht zerrissen?
Nein, ich liebe, liebe meinen Job. Man glaubt es auch kaum, wie stark beide Persönlichkeiten sind und wie sie sich voneinander abgrenzen können. Sie lernen auch beide voneinander.
Was zum Beispiel?
Conchita lehrt dem Mann in mir, dass er auch ohne diese Maskerade ein wertvoller Mensch ist… Umgekehrt sitzt der Tom manchmal vorm Laptop und schaut ein Interview mit Frau Wurst. Dann kann es sein, dass er sagt: „Das nächste Mal nehmen wir aber nicht mehr diesen Lidschatten!“
2014 schickt Sie der ORF zum Eurovisions-Song-Contest. Glauben Sie, eine Bartfrau wird dort gut ankommen?
Ich denke, es wird – genauso wie es in Österreich polarisiert – auch dort für Furore sorgen. Ich muss sagen, mir ist es herzlich wurst.
Auf Facebook werden Sie böse attackiert. Lesen Sie diese grauslichen Postings?
Die menschliche Neugier ist leider ein Schwein… Natürlich möchte man lesen, was die Leute von einem denken. Ich komme aber immer mehr zu dem Schluss: Wie feige ist es, unter dem Deckmantel der Anonymität so etwas zu posten. Ich werde deshalb nicht mehr nachdenken darüber, ich werde meinen Weg weitergehen. Im Hässlichkeits-Repertoire war vom Anfang meiner Karriere an ohnehin schon alles vertreten – von harmlosen Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen.
Was machen Sie, wenn Sie beschimpft werden?
Ich bin nicht auf den Mund gefallen. Ich sage dann: Gerne, kommt nur her! Ich weiß mich schon zu wehren und argumentiere dann etwas energischer zurück. Drohungen hingegen greifen mich schon an… Aber mittlerweile nutze ich die Hetze als Bestätigung dafür, dass es noch sehr viele gibt, denen ich offensichtlich den Kopf waschen muss.
Wie stellen Sie das an?
Indem ich nicht müde werde zu sagen: Ein bisschen Conchita steckt in allen von euch, sonst würdet ihr euch nicht so darüber aufregen. Und. Wenn schon eine Frau mit Bart so einen Hass auslöst, wie sollen wir da je Weltfrieden generieren?
Woher kommt der Hass?
Von Unzufriedenheit, von Angst, von dem, was Menschen fremd ist. Das verstehe ich auch. Trotzdem ist das, was ich bin und tue, nicht schlecht. Ich habe niemandem etwas getan und werde niemandem etwas tun.
Experten sagen voraus, dass die Länder aus dem Osten Ihnen beim Song-Contest keine Punkte geben werden. Teilen Sie diese Befürchtung?
Nein… Der Song Contest ist unberechenbar. Ich finde es sehr, sehr mutig, dass der ORF sich für mich entschieden hat, es ist ein Statement aus Österreich an ganz Europa!
Sie sind für RTL durch die Wüste gestakt, haben für das ORF-Format „Die härtesten Jobs Österreichs“ in einer Fischfabrik gearbeitet… Ist das die Karriere, von der Conchita Wurst träumt?
In erster Linie möchte ich Musik machen. Es ist das einzige, wo ich mich verliere und mich wiegen kann in all meinen Emotionen. Nichtsdestotrotz stehe ich auch gerne vor der Fernsehkamera. Ich liebe es, mit Kameras zu arbeiten und ich liebe es, dazuzulernen. Bei „Wild Girls“ in Afrika gab es einen Moment, den ich nie vergessen werde. Es war kurz vor Sonnenaufgang, bei den Epupa-Fällen an der Grenze zu Angola. Die Sonne stand noch hinter den Wasserfällen, die zu Eis gefroren waren. Dann ging sie zwei Zentimeter auf, zog sich wie ein diamantener Schleier über das Gewässer, alles fing an zu glitzern. Ich habe mich wie in der Wiege des Lebens gefühlt und so geweint…
Sind Sie in Gmunden, wo Sie geboren sind, eigentlich schon einmal als Conchita eingefallen?
Ja, einmal! Ich war in Oberösterreich gebucht und hatte einen Tag frei dazwischen. Da dachte ich: Heute nacht würde ich gerne bei meiner Mama schlafe. Ich komm rein in meiner Aufmachung und im ersten Moment hat mich meine Mama gar nicht erkannt. Dann bin ich in mein altes Kinderzimmer, habe mich abgeschminkt und war wieder ihr Sohn.
Sie haben sich 2006 als homosexuell geoutet, war das schwer für Sie?
Der Weg dahin war schwer. Gott sei Dank habe ich die großartigste Familie der ganzen, ganzen Welt. Sie zollen mir alle Respekt und wenn ich arbeite, dann sagen sie sogar „Frau Wurst“ zu mir.
Was war schwer?
Mit sich selbst ins Reine zu kommen, das ist schwer. Man kriegt es ja so eingebläut von der Öffentlichkeit, dass das nicht richtig ist, homosexuell zu sein, man fragt sich, wie die Welt reagiert. Aber wenn man dann zu sich stehen kann, ist es eine Befreiung.
Wann wussten Sie, dass Sie homosexuell sind?
Ich denke, nach meinem ersten Disneyfilm. Da hab ich mir insgeheim gewünscht, die Prinzessin hinter dem Prinzen auf dem Pferd zu sein…
Deutet das nicht eher auf Transsexualität hin?
Es deutet darauf hin, aber in meinem Fall ist es das gar nicht. Ich liebe es, so herumzulaufen. Aber ich liebe auch mein privates Leben und in meinem privaten Leben bin ich ein Mann und will das auch bleiben.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Schön wäre es natürlich, den Song Contest 2015 nach Österreich geholt und einen Grammy gewonnen zu haben. Man muss sich immer hohe Ziele setzen.
Und privat?
Möchte ich irgendwann einmal Kinder haben.
Auf welche Art würden Sie das anstellen?
Da weiß ich nicht. Ich glaube aber, man kann ein adoptiertes Kind genauso lieben als wäre es das Eigene.
Möchten Sie auch heiraten?
Ja, das ist halt das Romantische in mir. Dabei gibt es gar keinen Partner. Nur Frau Wurst hat einen Ehemann. Tom Neuwirth ist Single.
15. September 2013, erschienen in der KRONE