Freitagnachmittag, Wiener Ballhausplatz. Am Eingang zum Sitz des Staatsoberhauptes erinnert ein Plakatständer an „Corona“ und die Verhaltensregeln. Kein Händeschütteln, keine Selfies, Abstand halten! Techniker tragen Equipment aus der Hofburg, die „Rede an die Nation“, die Alexander Van der Bellen in der „ZiB 1“ an diesem Abend halten wird, wurde gerade aufgezeichnet. Kurze Begegnung mit Doris Schmidauer: Die Ehefrau des Bundespräsidenten holt gerade „Juli“ ab, die kleine schwarze Hündin mit den weißen Flecken auf Bauch und Schnauze, Österreichs „First Dog“.
Der Gang über den 56,30 Meter langen roten Teppich, der auf der „Beletage“ vom Ersten Bellariazimmer ins ehemalige Schlafgemach von Kaiserin Maria Theresia führt, ist jedes Mal ein spezieller Moment. Dann öffnet sich wie immer die Tapetentür. Interviews in Zeiten der Pandemie … Kein Händeschütteln, Abstand halten! Der Bundespräsident geht mit gutem Beispiel voran, verbeugt sich mit gefalteten Händen und lächelt. Die freundliche Ernsthaftigkeit zieht sich durch unser gesamtes Gespräch.
Herr Bundespräsident, hätten Sie sich gedacht, dass während Ihrer doch sehr ereignisreichen Amtszeit noch etwas Schlimmeres als die Ibiza-Affäre samt den politischen Folgen passieren könnte?
Es war wirklich enorm ereignisreich, und wir sind erst am Beginn der zweiten Halbzeit. Im Gefolge der Ibiza-Krise sind sehr viele Dinge das erste Mal in der Zweiten Republik passiert. Eine Pandemie gab es überhaupt noch nie, das ist in der Form neu.
Die Regierung hat weitere Restriktionen bekannt gegeben, die insbesondere Ihr Heimatbundesland betreffen. Sind Ihre Gedanken in diesen Stunden bei den Tirolerinnen und Tirolern?
Ja schon. Das Paznauntal ist ja nur ein Hasensprung vom Kaunertal entfernt. Es betrifft auch St. Anton (und seit Samstag auch Heiligenblut in Kärnten). Angesichts der Entwicklung, die von Ischgl ausgegangen ist, sind diese Maßnahmen aber absolut notwendig. Ich glaube, die Paznauner werden sich gut darauf einstellen.
Welche Tiroler Eigenschaft ist da hilfreich?
Eine gewisse Sturheit vielleicht. Wir Tiroler sind hart im Nehmen, wissen mit Krisen umzugehen.
Dass Wirtshäuser und Hotels schließen und die Bevölkerung zu Hause bleiben soll, schürt auch bei vielen Menschen Angst. Können Sie das nachvollziehen?
Natürlich. Aber ich glaube, die Angst wird weniger, wenn man sich die Gründe für die Restriktionen vor Augen führt. Wir haben jetzt seit Wochen eine Entwicklung, wo die Corona-Ansteckungen nach wie vor deutlich zunehmen, und zwar relativ rasch im internationalen Vergleich. Deshalb müssen wir alles tun, um diese Entwicklung zu verlangsamen. Warum ist das wichtig? Wir versuchen zu vermeiden, dass die Krankenhäuser überlastet sind. Der normale Betrieb muss ja bis zu einem gewissen Grad weitergehen. Und noch haben wir die Grippewelle. Wenn dann zusätzlich schwer kranke Coronavirus-Patienten dazukommen, könnte das unser System an die Grenzen führen. In der Lombardei ist das passiert. Insofern werden all diese Maßnahmen aus Rücksicht auf die Verletzlichsten in der Gesellschaft getroffen, auf jene, die als besonders vulnerabel gelten. Menschen, die schon an einer anderen Krankheit laborieren, Menschen gehobenen Lebensalters bzw. Personen, die von beiden Risikofaktoren betroffen sind. Also geschieht das nicht aus Jux und Tollerei. Sondern die Bundesregierung versucht, die Ausdehnung des Virus zu verlangsamen. Verhindern kann man sie leider nicht, das wäre Wunschdenken.
Die große Angst ist, dass es zu einem totalen Stillstand kommen wird. Ist sie berechtigt?
Genau wissen wir nicht, wie die Krankheit verlaufen wird. Aus China kommen, wenn die Daten stimmen, im Grunde genommen gute Nachrichten, denn die Neuerkrankungen sind praktisch auf Null zurückgegangen und gleichzeitig steigt die Zahl der bereits Genesenen wieder. Also dort hat sich die Situation deutlich stabilisiert. Der Umgang mit dieser Unsicherheit ist sehr schwierig. Für Sie, für mich, für die Bevölkerung, schwierig auch für die Regierung und all jene, die jetzt Entscheidungen zu treffen haben. Deswegen ist es so wichtig, immer wieder daran zu erinnern: „Leute, das passiert nicht willkürlich, diese Einschränkungen und Beschränkungen des Alltagslebens haben einen guten Grund. Bitte haltet euch daran!“
Während wir hier über die Krise sprechen, stehen in den Supermärkten Menschen in Schlangen, um sich mit Konserven und Nudeln und Klopapier einzudecken. Ist das wirklich sinnvoll?
Na ja, über das Wochenende sollte man schon eingedeckt sein. – Lacht. – Aber im Ernst: Die Fotos, die ich auch gesehen habe, lassen darauf schließen, dass noch nicht alle den Ernst der Lage erkannt haben. Denn es macht wenig Sinn, wenn ich beispielsweise ein jüngerer Mensch bin, den Kontakt zu Oma und Opa zu reduzieren, und mich gleichzeitig in die Menschenmasse eines Supermarktes zu drängen. Deshalb: Ruhe bewahren! Es wird auch in den kommenden Wochen alles da sein, was man zum täglichen Leben braucht.
Viele Omas und Opas haben bereits protestiert, weil sie entweder noch gar nicht älter als 65 sind oder weil sie sich viel jünger fühlen …
Stimmt. Ich denke gerade scharf nach, wie alt ich war, als ich das erste Mal Opa wurde. Das war gar nicht weit über 50.
Die Krisenkommunikation dieser Bundesregierung wirkt souverän, transparent und abgestimmt. Sind Sie als Staatsoberhaupt in diese Vorgangsweise eingebunden?
Ich stehe in regelmäßigem Kontakt mit Mitgliedern der Bundesregierung und des Krisenstabes, heute zum Beispiel habe ich mit dem Bundeskanzler und dem Gesundheitsminister telefoniert. Ich finde es beeindruckend, wie die drei Hauptzuständigen, also Bundeskanzler, Innenminister und Gesundheitsminister, hier zusammenarbeiten und kooperieren. Gerade auf den Gesundheitsminister - Stichwort Epidemiegesetz - und auf den Innenminister, was die Überwachung der Maßnahmen betrifft, kommen wichtige Aufgaben zu.
Das oberste Gebot heißt jetzt: soziale Kontakte auf die Kernfamilie und darüber hinaus auf das Notwendigste zu reduzieren. Ist die Gefahr nicht sehr groß, dass sich jetzt alle zu Hause einigeln und nicht mehr auf die anderen schauen?
Ja, da haben Sie recht, die Isolation birgt immer das Risiko, nicht mehr auf die Nachbarn zu achten. Da müssen wir eine Balance finden. Distanz zu wahren, keine Hände mehr zu schütteln heißt nämlich nicht, den Kontakt abzubrechen, den anderen zu ignorieren. Kontakt halten kann man auch telefonisch, per Mail, über die sozialen Medien. Da haben wir jetzt ganz andere Möglichkeiten als noch vor 20, 30 Jahren.
Die Auswirkungen dieser Krise sind noch unabsehbar. Wird in den Spitälern, wenn die Infektionen weiterhin so ansteigen, nicht letztlich die Situation eintreten, wo Ärzte entscheiden müssen, wer jetzt den Sauerstoff bekommt? Der 70-Jährige oder der 60-Jährige? Führt uns das an ethische Grenzen in der Medizin?
In der Lombardei sind solche Situationen bereits eingetreten. In Österreich wollen wir genau das vermeiden und um das zu vermeiden - ich muss es noch einmal wiederholen -, sind all diese drastischen Maßnahmen notwendig.
Wie stehen wir das durch?
Mit Besonnenheit und Disziplin. Indem wir aufeinander schauen. Ganz wichtig ist es, dass die Bevölkerung mithilft, dass wir die Hygieneregeln beachten, die persönlichen Kontakte auf ein Minimum reduzieren und besonders die ältere Generation schützen.
Wenn Sie an das Ende Ihrer Amtszeit 2022 denken, wird diese Pandemie dann unsere Gesellschaft verändert haben?
Ja … Wir werden wieder etwas dazugelernt haben. Wir werden sehen, wo wir auch Fehler gemacht haben, das ist unvermeidlich in solchen Krisen, aber genau das ist eben auch eine Chance zu lernen. Der Mensch ist sehr anpassungsfähig, auch das wird sich zeigen. Wir werden rückblickend auch über das Virus selber mehr wissen. Die ganze Welt forscht derzeit an Ursachen und Therapien. Und last, but not least werden wir sehen, wie wir ökonomisch damit umgegangen sind.
Wird unsere Wirtschaft das überleben?
Es sind wirklich alle Bereiche der Wirtschaft betroffen, besonders akut aber der Dienstleistungssektor. Auch die freischaffenden Künstler. Sie leben von Auftritten, und jetzt sind alle Bühnen zu. Kleinere und mittlere Betriebe müssen für eine Zeit zusperren. Wie zahlen sie das Gehalt der Angestellten, wie kommen sie ohne Einkommen durch? Da stellen sich Hunderte Fragen, die zu regeln sind. Aber die Regierung und das Parlament haben beschlossen, dass vier Milliarden zur Bewältigung der Coronakrise zur Verfügung gestellt werden. Das ist sehr hilfreich.
Es gibt eine These, die in den sozialen Netzwerken sehr oft geteilt wird. Sie lautet: Jetzt schlägt die Natur - Stichwort Klimakrise - zurück, der Mensch muss jetzt für seine Versäumnisse bezahlen. Können Sie dieser These etwas abgewinnen?
Die Stirn des Bundespräsidenten legt sich in Falten. Er schaut etwas ungläubig, dann lacht er. – Nein, dem kann ich nichts abgewinnen. Da fehlt mir die empirische Evidenz.
In Zeiten wie diesen kursieren auch jede Menge Corona-Witze und Cartoons. Darf man über diese Krankheit auch lachen?
Über die Krankheit nicht. Aber seinen Humor zu behalten kann nie schaden. – Alexander Van der Bellen steht auf, geht rüber zu seinem Schreibtisch und kommt mit der neuesten Ausgabe des „Economist“ zurück. – Der ist diese Woche erschienen. Die Hälfte des Heftes befasst sich mit dem Coronavirus, in Europa, in den USA, in China, und den wirtschaftlichen Auswirkungen. Aber der „Economist“ ist letztlich eine britische Zeitschrift, und deshalb haben sie auch eine Karikatur drinnen. – Legt den Cartoon auf den Tisch und erklärt den Witz. Auch ein Cartoon über eine Situation im Flugzeug wird erörtert. Da sitzen die Passagiere und hören die Durchsage des Piloten: „I’m working from home today“ - „Ich arbeite heute von zu Hause!“ – Also gerade in Zeiten der Krise ist es wichtig, über Witze auch lachen zu können.
Herr Bundespräsident, wie schützen Sie sich eigentlich ganz persönlich?
Ich halte mich seit Beginn an die Regeln. Abstand halten. Hände waschen und desinfizieren. Deshalb steht hier auf dem Tisch auch ein Desinfektionsmittel. Und asiatisch grüßen. Die Regeln betreffen natürlich auch den Alltag in der Hofburg. Alles verändert sich.
Machen Sie auch Homeoffice?
Auch wir haben überlegt, wer zu Hause arbeiten kann und wer unbedingt anwesend sein muss. Deshalb werde auch ich teilweise im Homeoffice arbeiten, so wie alle anderen. Die Unterschriftenmappen etwa können mir nach Hause gebracht werden. Trotzdem werde ich immer wieder reinkommen, um die aktuellen Entwicklungen mit meinem Team zu besprechen, nur halt etwas weniger als sonst.
Die Hofburg war immer ein Tummelplatz von Besuchern, wird es hier einsam werden?
Der Alltag verändert sich. Staatsbesuche werden abgesagt. Der kroatische Präsident hat es gerade noch geschafft, der zypriotische Präsident hat von sich aus abgesagt, ebenso die georgische Präsidentin. Viele Einladungen, auf denen ich eine Rede hätte halten sollen, sind klarerweise abgesagt. Ich fahre auch nicht, wie geplant, am Sonntagabend nach Brüssel. Ich hätte dort einen Termin mit Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel gehabt. Aber erstens soll man jetzt nicht reisen. Und zweitens haben wir alle den Kopf jetzt so voll, dass wir die Zeit für die dringenden Dinge nutzen müssen.
Wofür werden Sie die Zeit, die diese Entschleunigung mit sich bringt, nutzen?
Ich halte mich selbstverständlich weiter über alles Aktuelle am Laufenden. Wenn dann Zeit bleibt, werde ich nachdenken. Auch über Krisen, die vorläufig nicht im Fokus stehen, die aber wegen dem Virus nicht verschwinden. Die Klimakrise bleibt weiter unsere größte Herausforderung und die Situation auf den griechischen Inseln ist weiterhin ungelöst. Auch wenn sie vorläufig in den Hintergrund treten, vor allem medial.
Haben Sie schon Hundefutter für „Juli“ aufgestockt?
Nein. Wir kommen wie immer mindestens eine Woche durch. Und dann kaufen wir halt wieder was nach.
Wenn es noch was gibt …
Ich habe da keine Sorge! Die Grundversorgung bleibt gesichert.
Von Ihnen stammt der schöne Satz: „Nur Mut und Zuversicht, wir kriegen das schon hin.“ Gilt der Satz auch jetzt, im Angesicht einer Pandemie?
Ja. Wir haben eine Pandemie. Wir müssen uns jetzt diszipliniert verhalten. Aber es ist auch Frühling. Die Bäume und Büsche blühen. Wir können auch rausgehen in die Natur. Der Hund muss ja auch raus. Nur müssen wir halt Abstand halten. Wie heißt es bei Monty Python? „Always look on the bright side of life“ - dann ist nicht alles düster.
15. März 2020, erschienen in der KRONE