Es ist schon später Freitagabend, der Erste-Bank-Chef empfängt uns deshalb in seiner Privatwohnung im Wiener Botschaftsviertel - ein Historismus-Bau des Architekten Ladislaus Boguslawski. Während er die Espresso-Maschine in Betrieb nimmt, kommen der Reihe nach seine Söhne vorbei, um "Hallo" zu sagen. Dabei deuten sie eine dezente Verbeugung an. "Die Desi ist schon in Leogang", erklärt Andreas Treichl - Ehefrau Desirée Treichl-Stürgkh macht dort den Familiensitz für die Weihnachtsfeiertage schön.
2014 wird - abgesehen von der Hypo-Katastrophe - mit einem Rekordverlust von 1,6 Milliarden Euro auch als das schlechteste Jahr in die Geschichte der Erste Bank eingehen. Trübt das Ihren ganz persönlichen Weihnachtsfrieden?
Nein, weil ich es nicht so sehe. Es gibt manchmal Jahre, wo man Gewinne macht und eigentlich nicht das Gefühl hat, dass man erfolgreich war. Dieses Jahr haben wir uns entschlossen, einen ganz großen Schnitt zu machen, um sicherzustellen, dass wir ab 2015 alle Probleme der Finanzkrise hinter uns gelassen haben und nichts mehr in die Zukunft mitschleppen. Deshalb war 2014 zwar ein sehr schwieriges, aber richtungsweisendes Jahr.
Wie selbstverständlich war es für Sie, auf die Bonuszahlung zu verzichten?
Total selbstverständlich!
Wäre es Ihnen zugestanden?
Der Aufsichtsrat hätte es beschließen können, aber das hätte ich sicher nicht akzeptiert. Ich nicht und auch keiner meiner Kollegen.
Wie würden Sie die 17 Jahre, in denen Sie jetzt die Erste Bank leiten, beschreiben?
Von 1997 bis 2007 war es eine Erfolgsgeschichte, die die Bank total verändert hat. Die letzten sieben Jahre waren ein Verteidigungskampf in einer sich total verändernden Welt. Für mich waren die Jahre 2009 und 2011 viel schlimmer als 2014. Da sind wir in etwas hineingeschlittert, über das wir keine Kontrolle mehr hatten. Das war 2014 nicht so. Da haben wir genau gewusst, was wir tun, und wir haben es hinter uns gebracht.
Sind Sie angesichts des Kurssturzes beim Rubel sehr froh, dass Sie nicht in Russland investiert haben?
Schon... Aber jetzt zu behaupten, dass jene, die nach Russland gegangen sind, blöd waren und wir so gescheit, das wäre mir zu billig. Denn das kann sich ganz schnell wieder umdrehen.
Andreas Treichl ist ein perfekter Gastgeber: Wählt Kapseln und Tassen aus, schüttet Milch in den Schäumer. "Diese Tabs sind die genialste Erfindung nach Apple", schwärmt er. Die Wassergläser füllt Treichl aus einem goldgerahmten gläsernen Krug mit bunten Schmetterlingen.
Neben dem kommerziellen Banksektor unterstützt die Erste Stiftung Menschen, die in eine Notlage gekommen sind. Wie wichtig ist Ihnen das persönlich?
Es ist das, was ich eigentlich immer machen wollte. Denn durch die Zweite Sparkasse, wo wir Menschen, die aus der Gesellschaft gefallen sind, ein Konto bieten, kommen wir in ein ganz intensives Spannungsfeld hinein. Diese Bank ist ein Seismograph der Gesellschaft, ein sehr schwieriger, aber unglaublich spannender Teil des Bankgeschäftes. Ich war immer von der Idee beseelt. Wenn die Krise nicht gekommen wäre, hätte ich mehr Zeit dafür aufwenden können. Trotzdem werden wir bis zum 200-jährigen Bestehen der Erste Bank 2019 in jedem Land, in dem wir tätig sind, eine Zweite Sparkasse haben.
Woher kommt dieser Wunsch?
Der beste Freund meines Vaters - er war Vereinsvorsteher der Erste Bank - hat einmal gesagt: "Heinrich, du wirst sehen, der Tag wird kommen, da wird es die Erste noch geben und die CA schon lange nicht mehr. Weil der Zweck unserer Gründung ein wohltätiger war. Und das Gute wird überleben." Das habe ich mir ein Leben lang gemerkt.
Nun haben Sie eine neue Spenden-App ins Leben gerufen. Die Österreicher spenden doch eh schon so viel...?
Wir wollen damit die Online-Community erreichen. "Hilfreich" ist die modernste Spendengemeinschaft und hat auch noch einen Spaßfaktor. Man meldet sich an und kann mit kleinsten Beträgen Großes bewirken. Total transparent. Jeder kann sich aussuchen, wofür er spenden will, und jederzeit kontrollieren, wie viel er schon bewirkt hat.
Haben Sie die App auch downgeloaded?
Sicher!
Andreas Treichl nimmt sein iPhone und zeigt uns seine Apps: QuickCheck, NetBanking, Börsenkurse. Und "Hilfreich". - "Ich hab's auf lautlos geschaltet, aber wenn die polnische Nationalbank anruft, muss ich abheben."
Kommen wir zum Thema Geld. Sie verdienen unvorstellbar viel Geld - 4,5 Millionen Euro pro Jahr. Weiß jemand wie Sie, was Armut heißt?
Es wäre anmaßend, das zu behaupten. Aber ich bin der Armut immer wieder begegnet. Mit meiner Mutter, die sich aufopfernd um schwerkranke Menschen gekümmert hat. Ich habe mit ihr Downsyndrom-Kinder und Multiple-Sklerose-Patienten besucht. Auch in Rumänien habe ich die Armut gesehen. Die sieht man sogar, wenn man durch die Stadt geht... Das Bild in der Öffentlichkeit ist halt davon geprägt, dass ich viel Geld verdiene. Und das ist in den Augen der Menschen auf jeden Fall schlecht. Aber niemand fragt: Was macht er mit seinem Geld?
Ich frage Sie gerne. Was machen Sie mit Ihrem Geld?
Ich sage es nicht. Denn das ist, was meine Mutter mir mitgegeben hat und womit die Bank auch ein Problem hat: Es ist wichtig, Gutes zu tun. Aber es ist auch wichtig, nicht darüber zu reden.
Andreas Treichl ist nicht der glatte Banker, für den ihn viele halten. Er kann augenrollend vom "Bonzendinner" erzählen, das er gestern absolvieren musste. Und dass er viel lieber in ein Konzert gegangen wäre.
Wie halten Sie diesen Gegensatz aus, einerseits über so viel Geld zu bestimmen und andererseits zu sehen, dass armen Menschen schon kleine Summern helfen würden?
Man muss aufhören, in absoluten Zahlen zu denken und sich von der Anzahl der Nullen verrückt machen zu lassen. Die Bill-Gates-Stiftung zum Beispiel gibt zwei Milliarden für die Bekämpfung von Aids aus. Das ist unvorstellbar. Unser Engagement für die Konten der Notleidenden kostet ein paar Millionen, hilft aber auch ganz vielen Menschen. Und wenn ich einem Bettler fünf Euro gebe, damit er sich an der nächsten Ecke ein Packerl Tschick kaufen kann und ein Bier, dann freut er sich auch.
Geben Sie Bettlern immer Geld?
Ich kenne die meisten schon. Manche gehen mir auch auf die Nerven. Zum Beispiel, wenn sie mit verbundenen Füßen dasitzen und aus ihrer Tasche sieht man die Nike-Schuhe blitzen.
Was bedeutet für Sie eigentlich Reichtum?
Wenn man die Definition hernimmt, dass der reich ist, der nicht über Geld nachdenken muss, dann bin ich reich. Ich bin aber nicht so reich, dass ich Zeit in meine Veranlagungen investiere. Mein ganzes Finanzvermögen steckt in Aktien der Erste Bank. Das ist eigentlich ganz schlecht. - Lacht. - Aber für mich Ehrensache. Wenn ich einen Blödsinn mache, muss ich selber dafür büßen.
Ein Sohn des Bankers verabschiedet sich zum Ausgehen. Andreas Treichl umarmt ihn. "Gut, dann diniere ich heute mit dem Pauli", verkündet er - es gibt Steaks und Reis. "Ich kann auch kochen. Und zwar ziemlich gut!"
Stichwort Vater: Was geben Sie Ihren Söhnen mit?
Zwei Dinge. Erstens: Es geht im Leben nicht darum, Geld zu verdienen, sondern andere damit glücklich zu machen. Zweitens: Ihr sollt bescheiden sein, euch nicht so wichtig nehmen. Das Ärgste, was es gibt, ist Protzerei.
Herr Treichl, von Ihnen stammt die Aussage, dass Politiker "blöd, feig und ahnungslos" sind. War es ein Fehler, das damals so deutlich zu sagen?
Ja, das hat für ziemlichen Aufruhr gesorgt... In der Zwischenzeit gibt es viele, die - mit gewählteren Worten - dasselbe sagen. Meine Formulierung war halt sehr patzig. Ob's ein Fehler war? Ich hätte wahrscheinlich doch ein paar Köpfe ausnehmen sollen. Andererseits ist man mit Verallgemeinerungen sehr erfolgreich, und für den einen oder anderen ist es aus heutiger Sicht noch ein Kompliment gewesen.
Glauben Sie, dass diese Regierung bis März eine gemeinsame Steuerreform zustande bringt?
Ich würde es mir sehr wünschen, weil es dringend notwendig ist, dass man der arbeitenden Bevölkerung und den Unternehmern in diesem Land wieder Hoffnung gibt. Denn diesen Menschen wird das Leben von Jahr zu Jahr schwerer gemacht, das ist eine solche Respektlosigkeit den Menschen gegenüber, von denen dieses Land lebt. Diese Menschen muss man dringend entlasten.
Mit oder ohne Millionärssteuer?
Natürlich gibt es da auch vernünftige Formen. Aber betrieblich eingesetztes Vermögen steuerlich zu belasten, wäre geisteskrank.
21. Dezember 2014, erschienen in der KRONE