Rein kommt man überall
Ernst Stummer

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30 Einbrüche pro Tag  nur in Wien: Der „König der Einbrecher“,  Ernst Stummer, kennt alle Details.

Es war die Woche der explodierenden Kriminalität: Während die Regierung noch immer mit der Bekämpfung der Wirtschaftskrise beschäftigt ist, versetzen dreiste Ost-Banden die österreichische Bevölkerung in Angst und Schrecken. Jede Minute eine Anzeige, 195.849 Strafdelikte in den ersten vier Monaten des Jahres, davon 7478 Einbrüche. Allein in der Bundeshauptstadt Wien werden 30 Häuser und Wohnungen  pro Tag ausgeraubt. „Diese Banden hauen UNS das Geschäft z’samm“, erklärt Ernst Stummer in seinem Lieblingslokal, „Brandauers Bierbögen“ am Heiligenstädter Gürtel, im Gespräch mit Conny Bischofberger.
Für seinesgleichen kommt ihm immer noch die Wir-Form über die Lippen, obwohl es jetzt schon fünf Jahre her ist, seit er das – letzte? – letzte Mal wegen Raubes und Diebstahls im Gefängnis war.
Die Rolle des Meisterdiebs abzulegen scheint unmöglich: Endlose Listen von Einbrüchen in ganz Europa gehen auf das Konto von Ernst Walter Stummer, heute 70. 30 Jahre seines Lebens verbrachte er hinter Gittern.
Gekleidet ist er wie ein feiner Herr: sandfarbener Nadelstreif, rotes Hemd. Seine Stirn ist zerfurcht wie eine 3-D-Landkarte. Um den Hals trägt er einen Memory-Stick; Geld hat er keines dabei. Er, der einst jeden Safe knackte, lebt heute von 600 Euro Sozialhilfe.
Der „Brandauer“, sagt Stummer und nimmt einen großen Schluck Bier, stecke voller Erinnerungen für ihn. „Da drunter, wo das Haus heute steht, waren die Gleise der ehemaligen Stadtbahn. Auf denen sind wir als Kinder raus nach Heiligenstadt gegangen.“ Raus, um Essen und Waren zu „organisieren“ – in der Not des zerbombten Wien sprach keiner von Stehlen.
Mit Strizzi-Charme erzählt der „König der Einbrecher“ launige Gschichterln über
 ein großes Leid für die, die’s trifft. Reue kommt im Gespräch – und seinem Weltbild – keine Sekunde vor.

Herr Stummer, muss ich auf meine Handtasche aufpassen?
Na, Sie san jo ned die Frau Fekter! Bei der könnt’ ich mich nicht zurückhalten.

Wie wird man Berufseinbrecher?
Begonnen hat es eigentlich in meiner Kindheit. Ich war schon als kleiner Bub ein Finder.   Für geklautes Essen gab es Lob von meinen Eltern. Einmal brachte ich eine dicke Brieftasche nach Hause. Vom Geld konnte sich mein Vater eine Beiwagenmaschine leisten. Und als ich mir ein Fahrrad wünschte, schlug meine Mutter, die uns mit ihrem schlecht bezahlten Job als Heimnäherin kaum über Wasser halten konnte, vor, doch eines zu stehlen. Das habe ich mit den Jahren perfektioniert.

Klingt, als gäben Sie Ihren Eltern die Schuld?
Eher der Gesellschaft. Es ist doch heute noch so: Im Alter von zehn Jahren gabelt es sich. Die einen gehen in die Hauptschule und werden Tischler, Fleischer oder Hilfsarbeiter. Die andern dürfen aufs Gymnasium und auf die Uni und werden Bankangestellte, Journalisten oder Politiker. Die einen strengen sich an, die andern machen sich die Finger nicht schmutzig.

Inwiefern haben Sie sich angestrengt?
Ich hab’ die Bäckerlehre gemacht. Um drei Uhr in der Früh klingelte der Wecker, ein Horror! Am Abend ging ich mit meinem Freund einbrechen – und mit 20 das erste Mal in den Häfen.

 


Transistorradios, Kommunionskleider, Spielzeuglokomotiven: Was haben Sie mit dem ganzen Krempel gemacht?
Zum Großteil verschenkt. Ich hab’ aber nicht nur Krempel gefladert, sondern auch Gemälde, Standuhren, und natürlich Geld. In manchen Tresoren waren schon so 250.000 Schilling drin. Ich war immer mit einem riesigen Seesack unterwegs. Einmal hab ich ein ganzes Haute-Couture-Geschäft auf der Mariahilfer Straße ausgeraubt. Die Kleider hab ich meiner Stiefschwester in der Tschechei geschenkt. Warum sollen immer nur Reiche so teures G’wand kaufen?

Wenn Sie lesen, dass in Wien die Einbruchsdiebstähle rasant ansteigen, was denken Sie sich da?
Dass die Ostbanden gut unterwegs sind. Die schicken immer neue Leute zum Einbrechen, da ist es auch wurscht, wenn einmal einer sechs Monate sitzt. Sie erwischen aber eh keinen. Für Rumänen, Moldawier und Russen sind wir der Wilde Westen, da herrscht  Goldgräberstimmung. Die legen auch DNA-Spuren. Ihr weggeworfenes Taschentuch, meinen Tschick aus diesem Aschenbecher. Da wird die Polizei auf eine falsche Fährte geführt. Vielleicht gehen Sie schon bald in den Häfen.

Was nützen Sicherheitstüren und Alarmanlagen?
Rein kommt man überall, es muss ja nicht unbedingt die Tür sein. Aber eine gute Sicherheitstür kann einem schon die Arbeit erschweren. Jede Tür ist aber nur so gut wie der Zylinder, das ist die Schwachstelle. Manches Schloss brech’ ich ab wie nix. Ein starker Schraubenzieher genügt. Auf die Überwachungskamera hau’ ich einfach mit einem Hammer drauf, und aus. Wichtig ist, dass ich keinen Lärm  mach’.

Sie reden, als wären Sie noch immer im Geschäft.
Wenn ich das wäre, würde ich es sicher nicht dem KURIER erzählen. Aber nein: Ich gebe heute eher Tipps, wie man sich vor Einbrechern schützen kann. Die beste Vorsorge ist – neben einem guten Sicherheitsschloss – noch immer die  Achtsamkeit der Nachbarn.

Hatten Sie nie Angst, überrascht und vielleicht erschossen zu werden?
In Österreich doch net! Hierzulande besitzt doch fast keiner eine Waffe. Nur beim Herrn Dr. Gaigg, dem Prominenten-Anwalt, hab’ ich einen Revolver gefunden.

Hand aufs Herz, könnte der „König der Einbrecher“, wie Sie sich selbst in Ihrer Biografie betiteln, auf seine alten Tage noch einmal schwach werden?
Der Meinl würd’ mi scho reizen. Heutzutage liefern die Medien ja auch punktgenaue Angaben, wo sich die Villen der Reichen befinden, Fotos inklusive. Wen ich nie ausrauben würde, das ist der Niki Lauda.

Wo ist der Unterschied?
Der Lauda hat echt was geleistet, sein Leben riskiert. Andere wiederum cashen nur ab und verdienen 400-mal so viel wie andere. Das ist eine Schweinerei, und deshalb ist bei denen  die Hemmschwelle  niedriger.

Dass Sie in 50 „Berufsjahren“ sehr viel Leid über sehr viele Menschen gebracht haben, beschäftigt Sie dieser Gedanke gar nicht?
Nein. Erstens hab’ ich hauptsächlich in Firmen eingebrochen, da zahlt eh die Versicherung. Bei den Reichen hab’ ich kein schlechtes Gewissen, denn die beuten ja wieder die Armen aus.

Verstecken Sie hinter solchen klassenkämpferischen Parolen vielleicht auch Ihr schlechtes Gewissen?
Null Reue. Die habe ich immer nur vor dem Richter gezeigt. Herr Rat, ich bereue totaaal! – Ernst Stummer sagt es so theatralisch, dass die Gäste vom Nebentisch herschauen.

Im nächsten Leben, wären Sie da wieder  Einbrecher?
Ja.  Ich glaube, Kriminalität ist eine Art politische oppositionelle Ordnung.

Was soll einmal auf Ihrem Grabstein stehen?
Was brauch’ ich ein Grab? Ich habe meinen Leichnam an die Anatomie verschenkt. Was soll von mir bleiben? Goar nix! Außer vielleicht, dass ich kein ganz gewöhnlicher Einbrecher war.

17. Mai 2009, erschienen im KURIER