"Beim Abheben bete ich"
Tom Stuker

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Vielflieger Tom Stuker (57) hat es als erster Mensch geschafft, 10 Millionen Meilen zu sammeln. Im Interview spricht er über Flugangst, Kaviar an Bord und sein CO2-Budget.

Der Mann verbringt 40 Stunden pro Woche auf Flughäfen und in der Luft. Ein Glücksfall, dass er ans Handy geht, denn sein nächster Flug wartet schon. „Austria?“ brummt er ganz entzückt ins Telefon. „Mann, ich liebe Wien, eure Sängerknaben und diese Pferdekutschen.“
Tom Stuker, Experte für Autoverkäufe, wird gleich „on air“ sein und entschuldigt sich schon jetzt, dass er dann mal kurz  unterbrechen muss. Medien aus der ganzen Welt reißen sich um den Zehn-Millionen-Meilen-Mann. „China, England, Deutschland, Kolumbien. Aber aus Österreich war noch keiner dran.“
Auf einem Flug von Los Angeles in seine Heimatstadt Chicago feierte der Rekord-Passagier vergangenes Wochenende die zehnmillionste Meile mit Champagner für alle Passagiere an Bord. Das gab die Fluglinie „United Airlines“ am vergangenen Montag bekannt.

Sie sind jetzt ein berühmter Mann. Wie viele Interviews haben Sie schon gegeben?
Unzählige. Ich telefoniere von 6 Uhr morgens bis Mitternacht. Dazwischen trete ich im Fernsehen auf. Eine Frage kommt immer wieder: Was ist Ihre Lieblingsdestination? Ich finde das etwas einfallslos.

Haben Sie keine?
Ich kenne alle, wissen Sie. Aber ich reise nicht, um irgendwo gewesen zu sein, sondern um Eindrücke zu sammeln, meinen Horizont zu erweitern. Reisen heißt sich in der Seele berühren zu lassen. So entstehen diese unvergesslichen Augenblicke. Die Hand eines kleinen Mädchens an meinem Autofenster beim Taj Mahal zum Beispiel. Der Moment, in dem ich meine Frau Darlene am Strand von Hawaii kennen gelernt habe. Der Tag,  an dem Prinzessin Diana in Paris tödlich verunglückt ist. Ich hätte eine Stecknadel fallen hören können, als ich am Morgen danach aus dem Hotel „Ritz“ rausgegangen bin auf den Place Vendôme. Die schönste Begegnung war meine  Privataudienz beim letzten Papst, Johannes Paul II., in Rom. Das erlebst du doch alles nicht, wenn du zu Hause sitzt.

Aber wie um Himmels Willen haben Sie es geschafft, gleich 10 Millionen Meilen zu sammeln? Das ist 400 Mal um die ganze Erde. 
Begonnen hat alles mit einem Projekt in Australien in den späten Achtziger Jahren. Damals bin ich unzählige Male von Chicago nach Sydney geflogen. Da kommen schon einige Meilen zusammen. Vor 15 Jahren traf ich dann Darlene, die meine Leidenschaft für das Reisen teilt. Wir haben 1,6 Millionen Meilen nur auf unseren Hochzeitsreisen gesammelt. Wir hatten sicher 50, 60 Honeymoons.

Wer sitzt im Flieger wo?
Ich bin ein Bulkhead-Typ, das heißt ich sitze immer in der ersten Reihe, Gang. Darlene ist ebenfalls ein Gang-Typ. Wenn sie mit mir fliegt, darf sie wählen. Ich bin eigentlich kein Fenstertyp, weil ich das nicht mag, über andere drüberklettern zu müssen. Bei meiner Frau ist das was anderes. Es heißt ja, dass sich Gang-Passagiere nicht in Fenster-Passagiere verlieben sollten, weil sie zu unterschiedlich sind.

Es gibt ja in Flugzeugen das Tomatensaft-Phänomen: Trinken Sie den auch?
Nein, ich trinke Diet-Coke. Und ich liebe die Schokokekse, die es bei United gibt.

Warum fliegen Sie nur United?
Weil ich ein treuer Mensch bin… United ist die Heimfluglinie von Chicago und hatte die beste Verbindung nach Australien. Das Bordpersonal ist heute für mich wie eine Familie. Ich kenne fast jede Flugbegleiterin, jeden Piloten, persönlich.

Für unsereins ist Fliegen ja wie Busfahren in der Luft. Welche Privilegien genießen Sie als Zehn-Millionen-Meilen-Mann?
An einigen Flughäfen werde ich über eigene Lanes einfach durchgeschleust, an anderen warte ich geduldig wie jeder andere. Ich halte mich nicht für etwas Besonderes. Ich bin auch kein Snob, der findet, ihm stehe mehr zu als jedem anderen Passagier. Aber natürlich freue ich mich, dass sie jetzt sogar eine Boeing 747 nach mir benannt haben: Tom Stuker, Customer. Und über gewisse Annehmlichkeiten.

Wie Champagner und Kaviar?
Glauben Sie mir, seit der Wirtschaftskrise hat es auch bei den Fluglinien starke Kürzungen gegeben. Sie sehen bei weitem nicht mehr so viel Kaviar da oben wie früher.

Mr. Stuker, haben Sie sich jemals darüber Gedanken gemacht, wie viel CO2 bei Ihren 10 Millionen Meilen in die Atmosphäre ausgestoßen wurden?
Ich bin froh, dass Sie das ansprechen. Ich verstehe die Umweltaktivisten, aber viel mehr CO2 als die Passagiere verbrauchen die Frachten Und bis ein Bus erfunden ist, der auf dem Wasser fahren kann oder jemand mir beibringt, wie ich 9000 Meilen schnell und schwimmend zurücklegen kann, bin ich leider gezwungen, mit dem Flugzeug nach Australien zu fliegen.

Sie haben mit Ihrem Rekord das CO2-Budget von 40 Menschen verbraucht.
Aber auch ich fahre, wenn ich am Boden bin, sparsame Autos oder gehe zu Fuß. Ich trenne meinen Müll, dusche nicht unnötig lange, weil mir die Ressourcen wichtig sind. Ich bin nicht rücksichtslos oder unsensibel gegenüber den Bedürfnissen unseres Planeten, nur weil ich es liebe zu fliegen.

Was ist nach 9/11 anders?
Wir sind alle traumatisiert, jeder auf seine Art. Ich ertappte mich noch Wochen nach dem Terroranschlag dabei, Passagiere, die aussehen, als kämen sie aus dem Mittleren Osten, unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob das vielleicht Terroristen sein könnten. Ich schäme mich dafür, aber so war es. Darunter leiden heute noch Millionen von anständigen Arabern und Muslimen.

Hatten Sie je Flugangst?
Irgendwann auf dem Flug nach San Diego sind wir in ein Luftloch gestürzt, die Maschine ist metertief abgesackt. Danach hatte ich erst mal Flugangst. Aber die ist schnell verflogen. Seither schütze ich mich mit einem kleinen Ritual. Beim Abheben bete ich. Es ist nur ein kleines Gebet, mehr so ein Tantra. Aber es beruhigt.

George Clooney hat diesen flugbesessenen Typen im Film „Up in the Air“ gespielt. Was unterscheidet Sie von Ryan Bingham, dessen einziger Lebensinhalt es ist, 10 Millionen Meilen zu sammeln?
Auch ich bin fasziniert von diesem Sport, den Upgrades und all den Dingen, die ich mit den Meilen anstellen kann. Erst letzte  Woche habe ich 250.000 Meilen ausgegeben, um meine Schwester, meine Nichte, meinen Bruder und meine beiden Söhne nach Los Angeles zu bringen, damit sie mich auf meinem Jubiläumsflug begleiten können. Was diesen Ryan von mir unterscheidet, ist sein Privatleben.
Das Fliegen macht ihn ziemlich einsam.
Bemitleidenswert! Wenn der landet, kommt er in eine triste, leere Wohnung. Niemand wartet auf ihn, sein Kühlschrank ist leer. Wenn ich nach Hause komme, wartet eine unglaubliche, fantastische Frau auf mich, da fängt mein Leben erst an. In Wahrheit waren meine schönsten Flüge immer die nach Hause.

So wie jetzt gleich?
Im Hintergrund wird Toms Flug aufgerufen. - Ja. Ich fliege zu meinen Söhnen nach Chicago, um sie aufs Baseball-Match mitzunehmen. Grüßen Sie mir Wien!

17. Juli 2011, erschienen im KURIER

Tom Stuker feiert die zehnmillionste Meile mit Schwester Roxy (rechts) und seiner Nichte - und Champagner