Ich muss gar nichts
Christina Stürmer

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Christina Stürmer über Erfolg, Energie und warum sie manchmal Sehnsucht nach Alltag hat.

Ihre kraftvolle Stimme lässt jeden Satz erklingen. Ihre dunklen Augen haben ein spitzbübisches Funkeln. Café Drechsler, Hinterzimmer. Wir treffen Christina Stürmer kurz vor ihrer Deutschlandtournee, die diesen Samstagabend mit einem Auftritt bei „Wetten, dass...“ einen medialen Höhepunkt erreicht. Christina wird ihren neuen Hit „Scherbenmeer“ vor Millionenpublikum singen. „Cool“ findet sie das, aber sie sagt es ganz und gar unkokett.

Frau Stürmer, alle Welt ist mit Ihnen per „Du“ . . .
Damit habe ich manchmal Probleme. Es kommt immer darauf an, wie jemand auf mich zukommt. Wahrscheinlich hat es mit gegenseitigem Respekt und Höflichkeit zu tun.
                                            
Sie singen derzeit in Deutschland vor ausverkauften Hallen, mit Ihrem neuen Album „Lebe lauter“ haben Sie in Österreich bereits Doppelplatin geschafft. Angst abzuheben?
Da müsste man jetzt „abheben“ definieren. Abheben im Sinn von „dieses Glücksgefühl auskosten, wenn ich auf der Bühne steh’ und spüre, dass da Massen von Leuten mögen, was ich singe“ oder abheben im Sinn von „ausbrennen“. Letzteres versuche ich zu verhindern.

Haben Sie ein Rezept?
Wahrscheinlich mein Lebensmotto: Ich muss gar nichts. Darum sagen meine Manager jetzt auch nicht mehr „Wir müssen noch ein Interview machen“, sondern „Wir sollten noch ein Interview machen.“ Dann geht’s.

Dabei sind Sie durch die harte „Starmania“-Schule gegangen.
Das war für mich ein Crashkurs in Sachen Musikbusiness. Ich höre die Sätze heute noch: Dies müssen wir, jenes müssen wir. Du bist den ganzen Tag eingeteilt. Ich hab’ mir innerlich immer vorgebetet: Müssen tu’ ich nur sterben! Dabei war ich nur Zweite. Ich möchte gar nicht wissen, was ich alles hätte müssen, wenn ich Erste gewesen wäre.

So wie die diesjährige Siegerin, Nadine. Was wünschen Sie Ihr?
Ein so supertolles Management wie Bernd Rengelshausen und Andy Streit! Eines, das abblockt, wenn es nötig ist und ermöglicht, wenn es wichtig ist. Denn irgendwann geht es um meine Energie. Darum, mich nicht vereinnahmen zu lassen.

Wie haben Sie sich Ihre Energie gerettet?
Ich war vier Jahre lang unterwegs wie ein Schnellzug. Irgendwann war dieses Strahlen weg, das von innen kommt, wenn man etwas gern macht. Und ich singe wirklich für mein Leben gern. Ich hatte irgendwie die Lust verloren.

Wie hat sich das angefühlt?
Ich bin immer launischer geworden, war bei der kleinsten Kleinigkeit eingeschnappt. Dann wurde ich anfällig für Husten, Schnupfen. Die Energie ist immer mehr verpufft. Zu dem Zeitpunkt hatte ich sicher 300 Shows gespielt. Da sagten meine Manager: Sechs Wochen Pause!

Was haben Sie da erlebt?
Ich hab’ meine Wohnung geputzt, meine Wäsche gewaschen. Irgendwann hab’ ich gemerkt, ich bin ein Mensch! Wer ständig auf Tournee ist, verrichtet ja keine normalen Arbeiten mehr. Kühlschrank füllen, einkaufen, im eigenen Bett schlafen. Das klingt blöd, aber manchmal vermisse ich total den grauen Alltag!

Erzählen Sie noch ein bisschen von den sechs Wochen!
Ich bin ohne Wecker aufgestanden, hab’ ewig lang gefrühstückt, Dan Brown in drei Tagen gelesen, alle meine CDs wieder einmal gehört, stundenlang DVDs geschaut. In meiner Wiener Wohnung hatten sich schon Lurchfamilien angesiedelt! Und ich dachte immer öfter: Wofür zahl’ ich eigentlich Miete?

 

Und Ihre Energie?
Die ist wieder da. Zu 120 Prozent. Ich meine, es ist ja unfair, wenn der Fan nur 80 Prozent meiner Energie bekommt. Er zahlt definitiv für 100 Prozent. Den nächsten Break haben wir deshalb schon geplant. Der gesamte August ist geblockt.

Also machen Britney Spears und Robbie Williams was falsch.
Ich meine, wenn man wie Britney schon als kleines Kind im „Disney Club“ auftritt, dann muss man ja einen in der Klatsche haben. Und Robbie, den versteh’ ich irgendwie. Wenn Tausende Frauen total durchknallen, und du nur noch mit dem Privatjet unterwegs bist, das geht an die Substanz.

Sie lassen die Drogen vorsichtshalber weg. Hat ein Popstar nicht auch eine große Verantwortung seinen Fans gegenüber?
Wenn 12-jährige Kinder zu rauchen anfangen, nur weil sie mich mit einer Zigarette sehen, dann fühle ich mich dafür nicht verantwortlich. Die Verantwortung liegt bei den Eltern und bei den Jugendlichen selbst.

Frau Stürmer, es fällt auf, dass Ihre Lieder im Lauf der Jahre immer „deutscher“ geworden sind. Kalkül?
Ich hör’ da nicht soo einen großen Unterschied.

Kein Mensch würde Sie mehr für eine Österreicherin halten.
Wenn Sie permanent Interviews geben, und alle deutschen Journalisten schauen Sie mit großen Augen an, weil sie kein Wort verstehen, dann würden Sie auch irgendwann den Schalter umlegen. Der Gipfel war für mich, als meine Rede bei der „Echo“-Verleihung mit Untertiteln versehen werden sollte.

Momentan touren Sie durch ganz Deutschland, vermissen Sie da wieder Ihr Bett zu Hause?
Im Tourbus nicht. Nur in Hotels. Ich liebe es, mit meiner gesamten Crew in unserm Nightliner unterwegs zu sein.

Sie sprechen immer sehr liebevoll von Ihrer Crew…
Mir ist es total wichtig zu wissen, wer was macht, mit allen gemeinsam unterwegs zu sein, ich möchte nie wie Robbie im Privatjet fliegen!

Schwingen da Ihre privaten Gefühle für Ihren Freund Oliver mit, der in der Band spielt?
Das hat damit nichts zu tun. Mit meiner Band und auch meiner Crew verbringe ich viel Zeit, sie ist sozusagen meine Zweitfamilie.

Stimmen die Gerüchte, dass Sie zerstritten sind?
Das Gegenteil ist der Fall, wir verstehen uns super, mehr will ich dazu auch gar nicht sagen.

„Erfolgreichster österreichischer Popstar nach Falco“ – freuen Sie sich über solche Attribute?
Natürlich fühle ich mich da geehrt, aber Falco ist eine Kultfigur, Falco hatte einen Nummer 1 Hit in den USA, davon ist Christina Stürmer, die ja bekanntlich Deutsch singt, weit entfernt. Man kann mich also nicht in einem Atemzug mit Falco nennen.

Was ist anders, seit Sie ein Star sind?
 Ich musste mich daran gewöhnen, mich so beobachtet zu fühlen. Manchmal wünschte ich mir, so wie früher bei H&M in aller Ruhe Unterwäsche aussuchen zu können, oder bei Bortolotti auf der Mariahilfer Straße einen Café latte zu trinken, ohne erkannt zu werden. Das ist eben der Nachteil, wenn du das Glück hast, auf eine Bühne zu gehen und in die Augen deiner Fans zu schauen, sie zum Lachen und zum Weinen zu bringen! Dass man denen so viel Freude machen kann, das ist das Faszinierendste aller Gefühle.

4. März 2007, erschienen im KURIER