„Ich bin da ein Hasenfuß”
Peter Simonischek

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Vor dem Wiener Café "Landtmann" steigt ein graumelierter Herr in einem Dreiteiler vom Fahrrad, kettet es an eine Säule und geht suchend Richtung Eingang. "Grüß Gott, Herr Burgschauspieler" ruft der Oberkellner und öffnet das rote Absperrkordelband zum Extrazimmer. Dort rührt Peter Simonischek wenig später versonnen in seiner Melange. Er hat noch Gel von der Generalprobe im Haar.
Sonntag ist Premiere der Wiederaufnahme von Goldonis "Diener zweier Herren" am Burgtheater, und zeitgleich ist der Film "Toni Erdmann" im Rennen um die "Goldene Palme" bei den Filmfestspielen in Cannes. Die Kritiker gaben Maren Ades' Tragikomödie im Vorfeld 3,8 von höchstmöglichen vier Punkten - Simonischek spielt darin den skurrilen Vater Winfried.
Der Steirer ist zurzeit sehr begehrt. In Deborah Warners Inszenierung von Shakespeares "Der Sturm" übernimmt er im Sommer bei den Salzburger Festspielen anstelle von Hans-Michael Rehberg, der sich von einer Krankheit erholt, auch noch die Rolle des Prospero.

Woran wird am Sonntag Ihr Herz mehr hängen, an der Premiere in Wien oder an der Preisverleihung in Cannes?
Eine sehr hinterhältige Frage! – Überlegt. – In dem Moment, wo man rausgeht auf die Bühne, wird alles andere abgedreht, das ist klar. Ich hätte gar nicht zur Vorführung in Cannes fahren können, wenn Robert Dornhelm mir nicht einen Drehtag frei gegeben hätte. Mein Herz hängt dennoch an diesem Toni Erdmann.

Die Dreharbeiten fanden ja schon 2014 statt. Nun feiert das größte Filmfestival der Welt den Film, hätten Sie das erwartet?
Es ist vielleicht die erste Filmarbeit, hinter der ich zu 100 Prozent stehe und auf die ich wirklich stolz bin. Eine sehr intensive, sehr anstrengende, sehr harte, sehr schöne Arbeit, was vor allem mit der Regisseurin Maren Ade zusammenhing. Ich zitiere Shakespeare, "Der Sturm": "Kein Lob wird ihr gerecht, wie weit es geht, es bleibt doch hinter ihr zurück." Als ich dann mit meiner wunderbaren Kollegin Sandra Hüller im Kino saß und "Toni Erdmann" das erste Mal sah, habe ich geheult wie ein Schlosshund. Und gelacht. Bei der Pressevorführung gab es Szenenapplaus, das sei angeblich äußerst selten.

Cann es denn wahr sein, dass Sie also eine "Goldene Palme" dafür bekommen werden?
Lacht. – Ich muss Ihnen sagen, ich verbiete mir diesen Gedanken absolut. Das wäre ja, wie wenn ich einen Lottoschein ausfülle und dann vor der Trafik warte, bis die Ziehung stattfindet. Es ist viel Glück dabei. Ich bin da ein Hasenfuß, weil ich mir schon oft dachte: Es muss so sein und dann kam es ganz anders. Obwohl: Ich bin gut in dem Film.

Wo würden Sie die "Goldene Palme" hinstellen?
Die Anzahl meiner Preise ist überschaubar, es gibt noch kein Platzproblem. Der Palmwedel ist ja so klein, den kann man sich fast ans Revers heften.

Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, den Titel Professor, Goldenes Verdienstzeichen des Landes Wien, Grimme Preis, deutscher Hörbuchpreis. Nur keinen Nestroy…
Für den Nestroy war ich zweimal nominiert.

Ist das ein Wermutstropfen?
Was soll man sagen… Er ist halt nicht da. Leonardo di Caprio hat auch viele Jahre auf einen Oscar gewartet. Heiner Lauterbach hat irgendwann seinen Sohn Oscar genannt, weil er sich gedacht hat: Dann habe ich wenigstens sicher einen. Man muss sich eben zu helfen wissen.

Sie haben in Cannes 30 Interviews gegeben…
Ja, da ist jemand dazu abgestellt, immer hereinzukommen und zu klopfen, wenn der Nächste dran ist.

 


Wie nachsichtig muss man mit Journalisten sein?
Ach, wissen Sie, allergisch bin ich nur dann, wenn ich merke, dass ich auf ein gewisses Ergebnis hingetrimmt werde, das sich der Journalist vorstellt, aber nicht ich. Ich hab da wirklich böse Erfahrungen gemacht.

Sie seien sexsüchtig gewesen, zitierte Sie die "Bild am Sonntag"… Spielen Sie darauf an?
Genau. Das Wort "Sexsucht" kam in dem Interview aber überhaupt nicht vor. Da ratterte vielleicht das Telefon, als das erschien. Greift sich an den Kopf. – Meine Frau hat darüber gelacht, was mich ja eher gekränkt hat… Gott sei Dank habe ich den Namen dieses Journalisten längst vergessen.

Burgtheaterstar, langjähriger Salzburger Jedermann und nun auch internationaler Filmstar: Langweilt Ihr Beruf Sie nie?
In guten Arbeitszusammenhängen war mir nie fad. Mitunter ist die Arbeit extrem anstrengend: In einer wunderbaren Aufführung von Bob Wilson musste ich fünfmal die Woche in einer Ganzkörperrüstung gaanz langsam über die Bühne gehen, 15 Meter in 20 Minuten! Da rinnt dir der Schweiß runter. Und nach der Vorstellung bekommt man zu hören: "Ach, duu warst das?!"

Stimmt der Eindruck, dass Sie mit den Jahren ein immer begehrterer Schauspieler werden?
Das sind so Phasen. Mir wäre lieber, man könnte es dosieren. Es hat auch Zeiten gegeben, in denen ich keine guten Rollen bekommen habe. In Amerika habe ich viele tolle Schauspieler kennen gelernt, die sich überhaupt nicht schämen zu sagen, dass sie zwischendurch auch mal kellnern. Ich kenne einen Kollegen, der als Fahrradkurier gearbeitet hat. Das finde ich klug. Man lernt Menschen kennen, kann Milieustudien betreiben, und füllt sein Reservoir mit Beobachtungen, aus denen man später schöpfen kann. Und man bleibt fit. Meine Frau zum Beispiel beobachtet leidenschaftlich gerne Menschen. Das klappt bei mir nicht so gut, weil meine Mutter, wenn ich Leute angestarrt habe, immer gesagt hat: "Mund zu, es zieht!" Ich bin leider ein wohlerzogener Junge.

Wo fühlen Sie sich als Künstler wohler, in Deutschland oder in Österreich?
Uneingeschränkt in Österreich, obwohl man hier aufpassen muss, dass man ehrlich bleibt.

Ignaz Kirchner hat gesagt, er habe sich gefürchtet, in Wien "millirahmstrudelig" zu werden - bequem, satt, gemütlich. Wie ist das bei Ihnen?
Genau so. Hier lebt man wunderbar. Aber auch gefährlicher. Helmut Lohner hat gesagt: "Wenn in Wien einer sagt, draußen regnet's, dann schau ich zweimal nach, ob's stimmt, und halt die Hand raus." In Berlin hingegen sagen dir die Leute die Wahrheit auf den Kopf zu, was auch nicht unanstrengend ist.

Herr Simonischek, Sie werden im August 70. Als "Jedermann" sind Sie schon hundertmal gestorben. Hilft das, weniger Angst vor dem Tod zu haben?
Es hilft nichts dagegen, dass der Tod näher kommt. Angst vor dem Tod habe ich wahrscheinlich so viel wie vor meiner Geburt, aber Angst vor dem Sterben habe ich schon. Selbst wenn es ein Weiterleben nach dem Tod gibt, was soll das für ein Trost sein?

Was tröstet Sie?
Dass man in seinen Kindern weiterlebt. Ich kann überhaupt nicht begreifen, wieso Menschen durch Seelenwanderung oder andere Angebote in einem Aggregatszustand weiterleben wollen, der nichts mit unserem jetzigen Bewusstsein zu tun hat. Was kann konkreter sein, als wenn ich meinem Sohn Max auf der Bühne zuschaue und dabei so einen Genuss und so eine Freude habe, etwas von mir wiederzuerkennen…

Messen Ihre Kinder sich an Ihnen?
Das tun sie sicher, ja. Ich würde meinen Kindern gern ein wirkliches Vorbild sein. Aber nicht als Schauspieler, sondern als Vater. Ich war aber nicht der beste Vater, fürchte ich. Wenn man sie dazu befragen würde, dann hätte ich Angst vor dem, was sie sagen.

Diesen Sonntag wird der neue Bundespräsident gewählt. Würde Österreichs Ansehen Schaden nehmen, wenn Norbert Hofer es schaffen sollte?
Sicher. Nur wenn man "Ja" zur Demokratie sagt, dann kann man nicht "Ja, aber…" dazufügen. Demokratie heißt, dass das Volk entscheidet. Und Demokratie muss auch einen Norbert Hofer aushalten.

22. Mai 2016, erschienen in der KRONE