"Grande Dame ist falsch. Ich war nie eine Dame"
Alice Schwarzer

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Ist ein Mail-Interview ein Interview? Ja, findet Alice Schwarzer, und sie unterrichtet immerhin „Die Kunstform Interview“ – ab kommendem Mittwoch am Wiener Publizistik-Institut. Also schreiben wir uns in „Gut gegen Nordwind“- und „Alle sieben Wellen“-Manier, die Fragen beamen sich von Wien nach Köln, die Antworten folgen prompt – und „vive voix“, wie die Symbolfigur des feministischen Journalismus gern betont, „mündlich“ – nur ihre unverwechselbare Stimme fehlt. Die Weltfinanzkrise, gemacht von Männern, ist genauso Thema wie der Rückschlag der modernen, gleichberechtigten Frau durch eine neue Form von Unterdrückung.

Frau Schwarzer, Ihre intimen Gespräche mit Simone de Beauvoir und Romy Schneider sind legendär. Wir unterhalten uns hier über Email, ist das überhaupt eine Unterhaltung?
Für mich ja. Denn ich schreibe, wie ich rede: sehr spontan und vive voix, wie Simone de Beauvoir gesagt hätte.

Einverstanden, wenn wir nicht mit dem Thema Emanzipation beginnen?
Mehr als einverstanden! Sogar erleichtert, mal über was anderes reden zu dürfen. Obwohl fast alles meist doch irgendwie damit zusammenhängt.

In Österreich erhitzt noch immer der „Fall Meinl“ die Gemüter. Der Banker soll Hunderte Anleger um ihr Vermögen gebracht haben. Warum sind die Köpfe der Finanzkrise immer Männer?
Meinl, das ist doch der Herr, der gerne verkündet, er habe ein sehr traditionelles Frauenbild – und der sich mit 10 Millionen Euro...

100 Millionen, Frau Schwarzer, 100Millionen.
... 100 Millionen? Donnerwetter! Auf jeden Fall cash freigekauft hat. Nun, die Köpfe der Finanzkrise sind Männer, weil die Köpfe der Finanzwelt Männer sind. Wir Frauen sind es noch gar nicht so richtig gewöhnt, das große Geld zu haben; von einigen Erbinnen mal abgesehen. In Deutschland war es Frauen bis 1922 überhaupt verboten, die Börse zu betreten, an der Wiener Börse wurde die erste Händlerin gar erst 1986 zugelassen.

Meinl ist nur eine von vielen Figuren im Spiel um Macht und Geld. Hätten’s die Frauen nicht „verbockt“ ?
Es sind die Verhältnisse, die die Menschen prägen. Für Männer steht Geld traditionell für Macht und Potenz. Frauen hingegen neigen dazu, Geld als Mittel zum Zweck zu sehen: um etwas zu bezahlen. Wer virtuell Millionen, ja Milliarden verschiebt, wie die Jungs das gemacht haben, muss schon ein abstraktes Verhältnis zum Geld haben. Sonst würde man das wohl gar nicht übers Herz bringen. Wir wissen ja auch aus Studien, dass Frauen in der Regel die besseren, weil besonneneren Anlegerinnen sind.

Sie haben 40 Prozent Frauen in Aufsichtsräten gefordert, sollte das ein Lösungsansatz für eine neue Weltmarktordnung sein?
Zunächst ist die Teilhabe von Frauen am Geld ganz schlicht eine Frage der Gerechtigkeit. Denn Frauen leisten laut UNO ja weltweit sogar zwei Drittel der Arbeit. Ob sie es dann besser machen, werden wir sehen. Hoffen wir es!

Wird die neue Weltordnung weiblicher?
Sehr weibliche Frauen sind nicht minder karikatural und langweilig wie sehr männliche Männer. Erst in der Mitte wird es spannend: da, wo die Geschlechter menschlich werden. Ich wünsche mir also keine „weibliche Zukunft“, sondern eine menschliche.

Womit wir beim Feminismus wären: Stört die „Grande Dame des deutschen Feminismus“ das eher verbiesterte Image, das Sie in konservativen Kreisen noch immer haben?
Na, also „Grande Dame“ finde ich schon mal ganz falsch. Eine Dame war ich nie und werde es wohl auch nicht mehr werden. Und das „verbiesterte Image“, das habe ich in manchen linken Kreisen nicht weniger als in rechten. Es ist ja auch kein Missverständnis, sondern eine Strategie: Eine, von der man behauptet, sie sei verbiestert, mit deren unbequemen Thesen muss man sich gar nicht erst auseinandersetzen– und so will auch keine andere Frau sein. Das ist alles eigentlich ziemlich durchsichtig.

 

Hinter diesem Image versteckt sich eine, die unaufhaltsam Ungerechtigkeiten anprangert. Was ist für Sie die größte Ungerechtigkeit?
Das größte Problem ist sicherlich die Gewalt, die angedrohte oder ausgeübte. Gewalt ist ja immer der Kern aller Herrschaftsverhältnisse, und das ist auch zwischen den Geschlechtern so. Das Drama für viele Frauen und Kinder ist, dass die Gewalt, unter der sie leiden, nicht vom bösen Feind kommt, sondern vom eigenen Freund, vom Ehemann oder Vater. Doch gerade Österreich hat ja zum Glück eine sehr gute Gesetzgebung und beispielhafte Strategien gegen die Gewalt in der Familie.

Kommen wir zu „Emma“, Ihrem „Kind“ – oder mögen Sie diesen Vergleich nicht?
Der Vergleich stört mich überhaupt nicht. Ich habe zweifellos in diesen letzten 32 Jahren so viel in Emma investiert wie eine Mutter in ihre Sechslinge. Nun hätte ich ganz gern, dass Emma alleine läuft.

Sie haben Ihre neue Chefredakteurin nach wenigen Monaten gefeuert. Was hat die Frau denn falsch gemacht?
Nun ja, es war ein bisschen anders: Eine Kollegin, die bis dahin noch nie eine Redaktion oder ein Ressort geleitet hatte, sollte über sechs Monate lang in den nicht gerade einfachen Job der Chefredakteurin eingearbeitet werden. Leider haben wir nach zwei Monaten feststellen müssen, dass sie zwar Qualitäten als Moderatorin hat, für diesen Job aber nicht geeignet ist.

Irgendwo stand, sie hätte „Wellness-Feminismus“ betrieben. Was soll das sein?
„Wellness-Feminismus“ ist, wie das Wort schon sagt, ein Wohlfühl-Feminismus. Dagegen ist nichts zu sagen. Nur: Unsere jeweils persönlichen Befindlichkeiten können ja noch nicht alles sein. Nur, weil ich nicht geschlagen werde, kann es mir nicht egal sein, dass es Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt. Nur, weil ich gut verdiene, kann es mir nicht egal sein, dass viele Menschen schlecht verdienen oder arbeitslos sind. Feminismus, das hat für mich auch etwas mit mehr Gerechtigkeit für alle zu tun.

Als Vorbild haben Sie oft Simone de Beauvoir genannt, die „trotz allerWiderstände ein selbstbestimmtes Leben führte“. Ist das heute für Frauen noch ein Thema?
Unbedingt ist das noch ein Thema! Auch wenn die Vorzeichen sich leicht geändert haben. Die Generation von Beauvoir und die meine waren auf Widerstände gefasst und haben sich über jedes Stück mehr Freiheit gefreut. Die jungen Frauen von heute Machen sich mehr Illusionen, weil die Gleichberechtigung ja erreicht scheint. Wir haben es heute mit einer Doublebind- Situation zu tun.

Was soll das sein?
Im Licht gehen die Frauen in Siebenmeilenstiefeln voran, haben die Mädchen bessere Noten, kann eine Frau Bundeskanzlerin oder Olympiasiegerin werden. Im Dunkeln aber gibt es einen gewaltigen Rückschlag: Frauen werden durch die Pornografie mehr denn je zum Objekt gemacht und sind Opfer des Jugend- und Schlankheitswahns. Ganze Mädchenklassen kippen in ein pathologisches Essverhalten, um sich auf Size Zero – so heißt das wirklich! – zu hungern.

Ist die Welt durch die Emanzipation besser geworden?
Vielleicht nicht einfacher, denn Frauen wie Männer müssen sich neu sortieren. Aber besser geworden ist sie auf jeden Fall! Denken Sie nur daran, wie abhängig und oft auch verstummt unsere Großmütter noch waren.

Frau Schwarzer, in der kommenden Woche unterrichten Sie in Wien, was hat Sie dazu bewogen?
Die Kombination – Künstler und Journalisten – hat mich so gereizt, dass ich jetzt trotz Emma zugesagt habe. Zwischen zwei Heftproduktionen. Denn mein Beruf ist bis heute meine Leidenschaft. Und die bildende Kunst ist das, was mich neben meinem Beruf am meisten interessiert.

19. April 2009, erschienen im KURIER