"Ich glaube an gar nichts, deshalb glaube ich auch nicht an Nichts"
Werner Schneyder († 2.3.2019)

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Irgendwie fehlt Ilse noch immer. Sie hat in dieser Wohnung Waller geschmort und Gäste bewirtet. Sie hat diesen scharfzüngigen, unbequemen Denker geliebt und ausgehalten, 43 Jahre lang. Wenn Werner Schneyder, ein Mann so groß wie lang, vorsichtig Kaffee serviert, hat es etwas Unbeholfenes. "Ich wollte kochen lernen nach ihrem Tod", sagt er, "aber ich bin mir blöd vorgekommen". Ilse Schneyder hatte Krebs und es war ein Todesurteil. In seinem neuesten Buch beschreibt der Autor das lange Sterben seiner Frau. Dementsprechend groß ist das Interesse an seiner Person in diesen Tagen. Immer wieder läutet während unseres Gesprächs das Telefon. "Ein Tollhaus ist das heute", sagt Schneyder mit seiner kräftigen, bebenden Stimme. Im Interview wird diese Stimme manchmal ungewohnt leise, aber seine Worte bleiben stets unsentimental. So als hätten sie genug gelitten, er und Ilse. Als wollte er nicht noch einmal durch diesen Schmerz hindurch.

Herr Schneyder, wie geht es Ihnen, nachdem Sie alles niedergeschrieben haben?
Es war ein Befreiungsakt, und das ist immer etwas sehr Intensives. Ich lese das Buch jetzt nicht mehr und ich lese auch nicht daraus vor.

Ihr Buch ist sehr berührend, aber auch sehr schockierend. Zum Beispiel, wenn Sie beschreiben, wie Ihre Frau buchstäblich ausgeronnen ist, weil ihre Organe nicht mehr funktioniert haben. Musste das sein?
Die Frage habe ich mir hundert Mal gestellt. Aber wenn ich zeigen will, dass Menschen mit einer Therapie in extreme Lebenssituationen entlassen werden, dann ist das Schonungslose unvermeidlich. Ich wäre geplatzt, wenn ich etwas ausgeklammert hätte. Ich habe von so manchen Tabusituationen den Schleier des missverstandenen Taktes weggezogen. Aber das Buch ist natürlich eine Gratwanderung.

Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die Ärzte. Warum?
Die Rolle der Medizin war für mich auf Dauer nicht schluck bar. Wenn nicht mehr die Krankheit, sondern die Therapie verantwortlich ist für den erbarmungswürdigen Zustand eines Menschen, dann hört es sich auf. Wenn jemand hilflos im Bett liegt, und eine Physiotherapeutin will drei Stiegen mit ihr steigen, müsste man diese Person eigentlich hinausschmeißen. Aber man tut es natürlich nicht! Man ist einfach hoffnungslos überfordert.

Überfordert womit?
Das medizinische Credo ist Helfen und Heilen. Ich finde, dass das Helfen gegenüber dem Heilen deutlich zu kurz kommt. Der den Sterbenden begleitende Mensch ist arm, wenn er von jedem Arzt etwas anderes hört und nicht mehr weiß, was er glauben soll.

Was würden Sie heute anders machen?
Ich war schon vorher der felsenfesten Überzeugung, dass man keine Chemotherapie machen darf, wenn keine dezidiert positive Prognose möglich ist. Es mag Gegenbeispiele geben. Ich bin nicht befugt zu sagen, dass ich recht habe. Ich schreibe ja an zwei Stellen, dass ich das Gefühl habe, unsere Gesellschaft hat das Sterben verlernt. Aber es ist natürlich immer ein Schuss unseliger Romantik dabei. Man träumt, im weißen Daunenbett zu sitzen und den Lieben zu winken. Aber das spielt es nicht.

Sie schreiben über den wirklich Letzten der vielen Abschiede: "Ich darf nur ganz leise küssen, Berührungen schmerzen."
Die Haut einer Todkranken ist wahnsinnig empfindlich, die minimalste Berührung tut körperlich weh. Ich wollte, weil die Medizin ja Hoffnung weckt, diese Illusion nicht kaputt machen durch ein Dableiben, ein Aussteigen aus dem normalen Leben. Das hätte meine Frau Hoffnungslosigkeit signalisiert.

Oder auch: "Ich bin jetzt ganz für dich da, jetzt zählst nur noch du."
Aber auch: Jetzt dauert es nimmer lang.

Wie schwer ist es gefallen, immer wieder wegzugehen?
Wahnsinnig schwer. Es wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht der Sohn und die Freunde gesagt hätten: Um Himmels willen, fahr! Sie haben mich mit Rücksicht auf die Kranke weggeschickt.

Niemand kann sich das vorstellen: Sie haben nach der Todesnachricht die Bühne betreten und gespielt
Das hätte ich mir vorher auch nicht vorstellen können. Es war einfach eine Flucht nach vorne! Und man kann, das klingt jetzt grausam pathetisch, eine Theatervorstellung wie eine Totenmesse spielen. Ich hab' die Kollegen eingeweiht und wir haben das alle mit einer solchen Ernsthaftigkeit wie sonst auch immer gespielt.

Muss das Leben wirklich weitergehen?
Ich stand vor der Alternative, ins Hotel zu gehen und gegen die Wände zu rennen. Mich zu besaufen, was eine feige Flucht ist.



Beschreiben Sie sich deshalb in dem Buch als "lausigen Partner"?
Die lausige Figur bezieht sich auf die Unaufrichtigkeit. Man spielt, und das werfe ich mir nicht vor, denn das gehört zum Leben, man spielt zu lang Komödie. Und Komödie in dem Kontext wird lausig. Du bist hin- und hergerissen zwischen: Sag ich die Wahrheit oder lüg' ich Optimismus?

Sie schreiben ja, dass Ihre Frau Magenkrebs, Sie aber Hirnkrebs hatten. Was ist Hirnkrebs?
Ich hatte meine Fantasien nicht mehr unter Kontrolle. So wie Krebszellen wucherten in mir wilde Fantasien. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, ich dachte die ganze Zeit: Was geschieht danach?

Könnte es aus Egoismus gewesen sein?
Wahrscheinlich. Meine Frau war immerhin Coach meines Self-Managements. Sie hat in einem umfassenden Sinn auf mich aufgepasst. Wenn ich auf den Knopf drücken hätte können, ich hätte sofort mit ihr getauscht. Erstens weil ich sie nicht verlieren wollte. Zweitens weil ich selbst mir helfen hätte können Ihr konnte ich nicht helfen.

Warum glauben Sie, dass Sie stärker gewesen wären?
Weil ich mich für unverwundbar halte. Das bewahre ich mir, bis irgendeine Krankheit mir das Gegenteil beweist. Im Grunde hat es mit ewiger Pubertät zu tun, denn der pubertierende Mann möchte doch immer die Märchenprinzessin retten.

Sagt einer mit 71Jahren.
Sagt ein lebenslänglich Pubertierender.

Ist diese Frau, mit der Sie 43 Jahre lang verheiratet waren, heute da?
Es gab nach ihrem Tod die Kinderfantasie, dass ich mir immer gedacht habe: Ich darf keine schlechte Figur machen! Ich hab' mich noch beobachtet gefühlt. Wenn man ein Leben lang mitgeprägt wurde, dann fühlt man sich dieser Prägung gewissermaßen verantwortlich. Sagen wir so: Würde ich jetzt so richtiggehend verkommen, würde ich mich nicht nur vor meiner derzeitigen Partnerin genieren, sondern auch vor meiner vergangenen. Lacht.

War Ilses Tod für Sie Anlass, über Ihre eigene Vergänglichkeit nachzudenken?
Nein, denn es ist müßig. C. G. Jung, den ich sonst nicht übermäßig schätze, hat gesagt: In der Lebensmitte wird der Tod geboren. Dieser Gedanke geht irgendwann in die persönliche Lebensführung über.

Wie?
Indem ich sehr viel konsumiere und sehr viel Geld ausgebe. Das mache ich deshalb, weil ich weiß: Ich kann mich nicht von Wolke sieben auf Wolke neun hochkaufen. In mir ist auch eine ständige Bestrebung, Ordnung zumachen. Bei mir wird kein Germanist nach meinem Tod ein Manuskript finden. Von mir gibt es das Gedruckte, das medial reproduzierte Wort, sonst nichts. Ich bedenke also den Tod.

Sind Sie ihm näher gekommen?
Nicht dauerhaft. Während der Krankheit meiner Frau hatte ich das Gefühl, vom Tod umzingelt zu sein. Das ebbt langsam ab. Ich bin wieder von Menschen umgeben, die alle glauben, dass sie 140 Jahre alt werden.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube an gar nichts, deshalb glaube ich auch nicht an Nichts. Aber ich schließe auch nichts aus.

Sie haben mit Ilse zum Teil in Kärnten in Ihrem Haus am See gewohnt. Ist es dort noch sowie früher?
Dort ist es jetzt anders, weil es schon ein bisschen zum Haus meines Enkels wird. Alle reden davon, wie der Fabian im Sommer dort herumkrabbeln wird. Das Haus bekommt eine völlig neue Funktion.

Was wird der Großvater Werner Schneyder bei seinem Enkelsohn bessermachen?
Im Großvater baut sich schon eine ungeheure Schadenfreude dem Sohn gegenüber auf, weil der die Vaterschaft jetzt auch selbst durchmachen muss. Wenn ich ihn eines Tages vor einer pädagogischen Situation hilflos erlebe, dann spring ich vergnügt herum wie das Rumpelstilzchen.

Herr Schneyder, Sie waren als Club-2-Moderator im Gespräch. Wann geht es los?
Das ist vollkommen in Schwebe. Ich habe schon in der Zeitung gelesen, dass ich zugesagt habe, was nicht stimmt. Ich habe nur gesagt, unter welchen Umständen ich es sehr gerne mache. Einerseits will ich die Gage geklärt wissen und andererseits möchte ich 10 Sendungen im Jahr machen, damit sich die Marke etablieren kann. Das finde ich nicht unbillig. Die Gage wurde bestätigt, die 10 Auftritte nicht. Aber nachdem bereits zwei Sendungen ausgefallen sind, tut es mir gar nicht mehr so leid. Ein Remake einer Sendung mit so einer Aura, die beim dritten Mal bereits ausfällt, das ist hochgradig lächerlich.

20. Jänner 2008, erschienen im KURIER