Ich bin sehr für Sex im Alter
Dolores Schmidinger

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"Ich hab sie nicht gezählt". Dolly Schmidingers neues Buch liest sich wie die Österreich-Version von "Fifty Shades of Grey". Nur viel komischer. Im Interview mit Conny Bischofberger spricht die Kabarettistin über Sado-Maso, Sex im Alter und ihren verbalen Exhibitionismus.

Albert Einstein aus Pappmaschee, ein hölzernes Schaf mit einem Schild um den Hals: "Therapie. Bitte nicht stören!" An der Wand eine Illustration der Krankheit Alkoholismus aus einem medizinischen Lexikon.

"Wir sind alle per Du" verkündet Dolores Schmidinger, als sie uns in ihrem farbenfrohen Dornbacher Domizil empfängt: gelbe Sessel, blaue Couch, rote Kissen. Dolly verschwindet kurz im Schlafzimmer und kommt in einem engen roten Kleid und High Heels – zwölf Zentimeter – zurück. Für den "Krone"-Fotografen gibt sie den männermordenden Vamp.

Plötzlich Hundegebell - so läutet bei der Komikerin zu Hause das Telefon. "Leckts mich doch am Oarsch!", ruft sie quer durch die Wohnung, geht aber dann doch ran. "Markus Lanz?" Oh ja, am 12. September könne man sich verabreden. "Da hab' ich einen ganz nackten Kalender."

Mit "Ich habe sie nicht gezählt" – ihrer "unartigen Biographie" – wird sie in den kommenden Wochen durch Buchhandlungen und Talkshows tingeln. Sex sells, was soll's, seufzt sie. Jetzt braucht sie nur noch ihre Elektro-Zigarette, und dann kann es losgehen. "Geh, Schmidinger", hört man sie fluchen, während sie die Wohnung durchsucht, "Where is the fucking bloody cigarette?" Schließlich fischt sie sie aus einer Couchritze heraus und wartet gierig saugend auf die erste Frage.

Frau Schmidinger, schimpfen Sie öfter mit sich selber?
Natürlich, ich rede überhaupt viel mit mir und schaue, dass es möglichst in Englisch ist, damit das Ganze auch einen Lernfaktor hat.

Soll Ihr neues Buch die österreichische Antwort auf den Sado-Maso-Bestseller "Shades of Grey" sein?
Na, bitte, verschonen Sie mich mit dieser schlechten amerikanischen Porno-Literatur. Nicht einmal in Englisch würde ich das lesen!

Auch in Ihrer Bio wimmelt es von Sex: mit Verheirateten, mit Nazis, im Swingerklub, mit Fesseln und Peitsche.
Es ist die Geschichte einer Masochistin. Ich erzähle, wie sich durch Missbrauch in meiner Kindheit eine ganz verhunzte Sexualität und Beziehungsfähigkeit entwickelt hat. Die Masochistin probiert dann alles aus und sucht immer wieder den falschen Mann.

Da kommen die Männer nur so dran. Warum mussten es so viele sein?
Weil auch Alkoholismus und Bulimie und Nymphomanie im Spiel waren. Ja, ich bin nymphoman. Wobei Nymphomanie ja nicht die Suche nach One-Night-Stands und Orgasmen ist, sondern ein ewiges Suchen nach Zärtlichkeit und Zuwendung und Wärme. Deshalb waren es bei mir mehr Liebhaber als vielleicht bei einer andern Frau.

Dreht sich alles um Sex in Ihrem Leben?
Aber wo! Sehr wichtig war es mir aber immer. Aber das Schönste an einer Affäre war immer das Erzählen, ich bin da immer über Grenzen gegangen und habe intimste Dinge berichtet. Eine Freundin hat gesagt: "Hearst, schreib ein Buch, das ist saukomisch!" Ich leide an verbalem Exhibitionismus. Deshalb ist dieses Buch entstanden.

Sie sagen, dass Sex wichtig "war". Ist er mit 65 nicht mehr wichtig?
Momentan lebe ich allein. Ich hab' keine Lust, junge Männer anzubraten, und mir dann Körbe zu holen -oder auch nicht, weil die vielleicht promigeil sind. Ich hab' ja auch im Internet gesucht, aber da sind lauter Frösche.

Muss man die nicht küssen, um den Prinzen zu finden?
Dazu ist es nicht gekommen. Ich schau zwar wirklich viel jünger aus, als ich bin, aber ich bin eine intelligente Frau.

 

Ist das ein Hindernis?
Das kann man sagen. Gerade Männer zwischen 50 und 70 -wenn du aus dem Östrogenrausch draußen bist, wird die Auswahl ja immer kleiner -sind noch immer fixiert auf das "Weibele", das sie bewundernd anhimmelt. Das kann ich nicht liefern.

Dafür SM. Das ist ja momentan gerade im Trend. Warum eigentlich?
Weil es das letzte Tabu ist. Es gibt ja sonst fast keine Tabus mehr, die man noch brechen könnte. Außer Sexualität im Alter. Ich hab' das Sado-Maso-Tabu zu früh gebrochen. Als ich 2004 ein Kabarett zum Thema gemacht habe, waren die Leute entsetzt und keiner hat mich mehr gebucht. Missbrauch, Obdachlose, Aids, Pädophile - das hatte ich ja alles schon thematisiert.

Stichwort "alles schon gehabt": Sie haben auch Bulimie bekämpft, Alkoholismus, Kaufsucht. Löst bei Ihnen jeweils eine Sucht die andere ab?
Alkoholismus und Bulimie sind parallel gegangen. Die Nymphomanie geht oft mit der Bulimie einher. Und die Kaufsucht war eigentlich immer da. Aber ich habe immer gut verdient. Als die Einnahmen einmal ausgeblieben sind, habe ich die Folgen dann bitter gespürt.

Stimmt es, dass Sie Ihr Haus verloren haben?
Ich hab das Haus verkauft und bin in dieser Wohnung jetzt sehr glücklich.

Wann sind Sie zuletzt verliebt gewesen?
Dezember 2007. Nachzulesen im Buch. Auch wenn ich mich verliebe, ist das wie eine Sucht. Ich steigere mich dann gleich hinein und höre Isoldes Liebestod. – Lacht.

Haben Ihre beiden Töchter das Buch gelesen?
Nein. Ich würde über das Sexualleben meiner Töchter auch nicht gerne lesen. Aber sie haben mich immer unterstützt.

War das Schreiben eigentlich schmerzvoll?
Insofern, als ich eine Zeit in meinem Leben ausgelassen habe, in der ich viel getrunken habe, weil ich so unglücklich war. Das war das Schmerzvolle. Ansonsten bin ich ja von bizarrem Humor geprägt. Ich kann sehr viel lachen, wenn ich mein Buch lese...

Worüber am meisten?
Ich lache über komische Momente beim Sex: Zum Beispiel wenn der Kaugummi am Penis picken bleibt.

Ein Thema haben Sie in Ihrem Buch auch ausgelassen: Ihre Schönheitsoperationen. Bewusst?
Ich habe mich damals als Einzige in Österreich geoutet und habe es bitter bereut. Ich will nicht mehr auf dieses Thema reduziert werden, nur weil ich gesagt habe: Ja, ich habe es machen lassen, so wie alle meine Kolleginnen. Nur die sagen es nicht. Sondern sprechen dann von den guten Genen, vom vielen Wassertrinken und der Ananas zum Frühstück.

Gefällt Ihnen, was Sie im Spiegel sehen?
Ja!

Wo sehen Sie sich mit 80?
Jedenfalls nicht in der Demenzabteilung der Geriatrie.

Ihre Freundin Andrea Händler behauptet: "Wenn die Dolly mit 80 keine Liebhaber mehr hat, dann wird sie welche erfinden, damit es was zu erzählen gibt."
Hm. Aber es gibt ja auch den geriatrischen Sex. Das heißt dann gerontophil.

Wie geht der?
Das ist, wenn Männer auf alte Frauen stehen. Ja, das gibt's! Auch in den Sex-Hotlines sind Mamas und Omas sehr beliebt.

Klingt, als würden Sie sich schon drauf freuen?
Ja. Ich bin sehr für Sex im Alter. Ich finde, dass dieses Tabu gebrochen werden muss, hunderttausend Mal! Sex ist DER Trieb, außer'm Hunger und Durst... Ich will nicht eine jener Frauen werden, die vor lauter Sehnsucht nach Liebe esoterisch abgleiten oder sich ein Hunderl nehmen und ihre Gefühle auf diese Weise ausleben. Das muss jetzt gar nicht ein sexueller Spielpartner namens Schlecksi sein. Meine Mutter hat dann Katzen gesammelt und Tauben gefüttert.

Darum haben Sie keine Haustiere?
Ja, und auch weil ich eine Tierhaar-Allergie hab'.

Denken Sie manchmal darüber nach, wie alles gekommen wäre, wenn Ihr Vater Sie nicht missbraucht hätte als Kind?
Das kann man nicht sagen. Und so wie es gekommen ist, hat mir mein Leben auch sehr viel Lust bereitet. Das bin ich, das hat mich geprägt. Und langsam lösen sich die Knoten.

Wie?
Zehn Jahre Therapie bei der Frau Professor Rollett. Ich träume wieder von meiner Mutter. Von meinem Vater auch schon ein bisserl, aber nicht so gerne. Ich habe die Trauer und die Schuldgefühle abgelegt. Ich zerbreche mir nicht mehr den Kopf. Auch nicht über den Tod. Ich lebe und verdränge.

2. September 2012, erschienen in der KRONE