Im Interview spricht Skandal-Autorin Charlotte Roche über Mission und Provokation, Alice Schwarzer und Heinz Fischer und ihr Herzensthema Sex.
Ein schwüler Sommerabend in Berlin. Im plüschigen „Savoy“, in dem schon Romy Schneider, Maria Callas und Greta Garbo gern gewohnt haben, hält Charlotte Roche Hof. Ihr Verleger Marcel Hartges ist da, die Pressesprecherin von Piper, Eva Brenndörfer, und natürlich gehen Journalisten und Fotografen ein und aus.
Es war ja schon ihr Ekel-Buch „Feuchtgebiete“ ein Skandal und eine Sensation. Aber „Schoßgebete“, ein Roman über Sex als Erlösung, über Trauer und Therapie, übertrifft es noch (auch an Wucht und pathologischen Details).
Die frühere MTV-Moderatorin trägt Lidstrich, einen Plastikgürtel mit Blumenbouquet und ein paprikarotes Häkelkleid, das ihre Tatoos am Oberarm ganz zart hervorblitzen lässt. Nur das Cover des Buchs „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer am Puls des linken Handgelenks liegt frei. Alles ist rot, rot, rot. „Roche, das sprechen die Österreicher meist falsch aus“, klärt sie uns auf. Es soll wie „Rose“ klingen, nicht wie „Rock“. Und schon gar nicht englisch ausgesprochen werden, denn dann hieße es Kakerlake. „Und dann wäre ich beleidigt.“
Die Roche - wie Rose - bestellt einen Liter stilles Wasser und trinkt es während des Gesprächs fast gierig in sich hinein. Die Sätze sprudeln nur so aus ihr heraus, ihre Fröhlichkeit ist ansteckend, die Grenzen zwischen Frau und Autorin, zwischen Wirklichkeit und Fiktion, fließen.
Frau Roche, ist „Schoßgebete“ ein Buch, das man heimlich liest?
Ich habe von Leuten, die ich eigentlich für modern und aufgeklärt hielt, öfters den Satz gehört: „Frau Roche, ich lese Ihr Buch im Urlaub, aber ich mache einen anderen Umschlag drum.“ Nur die jungen Leute haben kein Problem damit, die lesen das mitten in der U-Bahn.
Sie haben also viele Leser, die sich fremdschämen?
Wenn Fremdschämen bedeutet, dass man sich denkt: Ah, wie peinlich, aber genau diese Sorgen hab’ ich eigentlich auch, dann finde ich es gut. Mich interessiert, ob die Leute mein Buch, wenn sie es dann gelesen haben, auch weiterempfehlen.
Diese gigantische PR-Maschinerie, wollten Sie die wirklich haben?
Ich komme ja aus dem Musikfernsehen und weiß, wie es läuft. Zum Beispiel mein Exklusiv-Interview mit Robbie Williams: Das hat Viva damals auch vermarktet.
Zwischenfrage: Ist Robbie sexy?
Er ist ja eher klein und moppelig. Also kein George Clooney. Aber ich fahre auf seinen Humor, auf seine Selbstironie ab.
Diese Selbstironie beherrschen Sie auch. Verarschen Sie Ihre Leser nicht mit dem ganzen Sex-Getöse?
Es stürzen sich halt wieder alle auf die Sex-Szenen. Die Medien sexualisieren das sehr und deshalb sagt keiner: Hier geht es um ein trauriges Scheidungskind. Alle reden von Analsex und Fellatio. Wenn man daran vorbeigucken kann, sich durch das Sexuelle erst mal durchgräbt, dann kann man die Wahrheit dahinter sehen. Das finde ich das Schöne an diesem Buch.
Schämen Sie sich selbst eigentlich nie?
Scham ist ein ganz großes Thema bei mir. Es wäre ja ein ganz großes Missverständnis zu glauben: Die sitzt beim Schreiben und hat kein Problem mit gar nix. Das Gegenteil ist der Fall! Ich sitze beim Schreiben und spüre, wie peinlich mir das ist, meine eigenen sexuellen Blockaden, Probleme, Sehnsüchte. Trotzdem packe ich das alles ganz mutig da rein, weil ich hoffe, dass mir das hilft. Beim ersten Buch hat es geklappt.
Ist der Preis für diese Art von Therapie nicht ziemlich hoch? Alle Welt glaubt jetzt, dass Sie schmutzigen Sex haben und ins Puff gehen.
Beim ersten Buch hat dieser Wahnsinn ein ganzes Jahr gedauert. Ich musste auch bei „Feuchtgebiete“ aushalten, dass ich über die Straße laufe und jeder denkt: Die muss Hämorriden haben, weil so was kann man sich einfach nicht ausdenken. Aber praktisch nix, was in meinem neuen Buch gesagt und getan wird, wurde je gesagt oder getan. Es ist ein Roman.
Er beschreibt aber auf 28 Seiten, die körperlich weh tun, einen Unfall, der in Ihrem wirklichen Leben passiert ist. Ihre drei Brüder verunglücken auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit, mit dem Kleid im Auto, tödlich.
Ja, dadurch, dass es einen Unfall in meinem Leben gegeben hat, denken viele: Ah, so geht das bei denen zuhause ab! Aber das ist auch meine Geschichte mit der Bild Zeitung, die diesen Unfall, die große Tragödie meines Lebens, ausgeschlachtet hat. Klar habe ich auch heute noch manchmal richtig Angst vor denen! Die haben doch eine unglaubliche Macht in Deutschland, die ich eben am eigenen Leib gespürt habe. Die schlimmsten Befürchtungen über deren Machenschaften sind für mich wahr geworden. Viele Prominente glauben ja noch immer, sie könnten einen Deal mit dem Teufel eingehen, aber das funktioniert nicht. Ich begreife mich als Kämpferin gegen die Bild Zeitung, aber ich bin nicht immer mutig und völlig überzeugt von meiner Courage.
Die zum Teil vernichtenden Buch-Kritiken, wie stecken Sie die weg?
Relativ locker, ich lese die nämlich grundsätzlich nicht. Die müssen ein Schlag in die Fresse sein, ich finde das nicht befremdlich. Ich finde auch den Vorwurf der Pornographie keine Beleidigung. Ich merke ja, wie vorsichtig manche dieses Wort in den Mund nehmen, so als ginge ich ihnen direkt an die Gurgel. – Fasst sich mit den Händen am Hals und verdreht die Augen.
Wie würden Sie selbst Ihren Roman bezeichnen?
Ich nehme mir nicht die Zeit, den Leuten das auszureden, worauf sie sich festgelegt haben. Wenn die finden, das sei ein Sex-Roman und ich eine Sexautorin, dann werde ich die allerletzte sein, die behauptet, das sei große Literatur. Ich finde, es gibt nichts Langweiligeres als Autoren, die in eine Talkshow gehen und dort ernst genommen werden wollen. Das hat so was Verbissenes. Ich bin auch verbissen, aber nur beim Schreiben. Da geht es um Leben und Tod und Wahrhaftigkeit, aber in dem Moment, wo es raus ist, kann jeder daraus machen, was er will.
Wie geht es Ihrem Ehemann mit dem Buch?
Der weiß ja, dass das Fiktion ist. Der denkt sich: „Toll, was meine Frau sich alles ausdenken kann.“ Er wäre ja bei den Sachen, um die es im Roman geht, gern dabei gewesen. War er aber nicht! – Kichert.
Das glaube ich jetzt nicht, dass Ihr Mann damit überhaupt kein Problem hat.
Doch, doch. Er ist ja mein Ehemann, der ist einiges gewöhnt und ehrlich gesagt, würde ich mich vielleicht gar nicht trauen, so was zu machen, wenn ich nicht so einen lockeren Mann hätte. Der muss schon eine ganz schön coole Sau sein.
Sie haben auch eine achtjährige Tochter. Welches Frauenbild geben Sie ihr und auch andern jungen Menschen, die dieses Buch lesen, mit?
Mein Ziel ist es, das Kind immun zu bekommen gegen all die schrecklichen Frauenbilder, die herumgeistern, all die gefakten Körper, die uns Frauen krank machen, weil sie uns einreden, wir seien hässlich und falsch. Das ist mein Ziel.
Aber Elizabeth, die Frau in Ihrem Buch, ist eine sehr unglückliche Frau. Sie macht in ihrer Verzweiflung alles, um ihren Mann bei Sexlaune zu halten.
Die Figur in meinem Buch handelt extrem unfeministisch, sie ist viel unfeministischer als ich. Es ist mir ganz wichtig festzustellen, dass dieser Roman kein feministisches Manifest ist. Es geht um Probleme, die Frauen heute, um 21. Jahrhundert, noch immer haben. Viele leben ihre 50-er-Jahre-Beziehungen, bedienen lieber ihre Männer, als selbst bedient zu werden, und können ihre sexuellen Wünsche nach wie vor nicht artikulieren. Das alles habe ich eben dieser Elizabeth aufgestülpt.
Alice Schwarzer hat gesagt: Roche hat das Problem, nicht die Lösung.
Ach, Alice Schwarzer. An ihrer Stelle hätte ich dieses Buch gar nicht gelesen.
Was unterscheidet Sie, die sich selber als Feministin bezeichnen, von der Parade-Feministin Alice Schwarzer?
Ich bin eine ihrer Töchter. Ich arbeite auch daran, dass es Frauen besser geht, nicht nur auf sexuellem Gebiet. Ich bin Vegetarierin, Atomkraftgegnerin und ich habe meine Magersucht überwunden. Ich bin wieder unter den Essenden und stelle so eine Verbindung her zu den vielen jungen Frauen, die glauben, sie müssen sich zu Modelfiguren hungern. Wir müssen uns lockerer machen, besser fühlen, gleich viel Geld verdienen wie die Männer, solche Sachen!
Apropos Männer: Was denken Sie sich über die Sexaffären von Strauss-Kahn oder Arnold Schwarzenegger?
Ich hatte jetzt Kachelmann erwartet. – Lacht. – Ich finde die moralinsaure Boulevard-Presse ganz schön verlogen, die schütten doch ständig Dreck über andere aus und schreien: Das, was du gemacht hast, ist ganz böse! Ich finde das nicht unbedingt moralisch verwerflich, wenn Arnold Schwarzenegger fremdgeht und aus Versehen ein Kind zeugt. Das ist allein das Problem zwischen ihm und seinen Frauen. Die müssen damit umgehen, die müssen es aushalten. Man stellt sich, wie der Fall Strauss-Kahn beweist, sehr oft ins Unrecht, wenn man mit der Moralkeule kommt.
Sie haben ja dem deutschen Bundespräsidenten Sex für Atomausstieg angeboten. Würden Sie so was auch dem österreichischen Bundespräsidenten offerieren?
Ich stehe ja gar nicht auf unseren Bundespräsidenten. Das war nur Mittel zum Zweck. Und so was soll man nicht inflationär benutzen. Nichts gegen Heinz Fischer! Es liegt nicht an ihm. Bei Wulff ging es ja auch nicht um Aussehen.
Frau Roche, haben Sie eigentlich Starallüren entwickelt als Bestsellerautorin?
Überlegt. – Ja, die gibt es. Ich möchte zum Beispiel nicht fotografiert werden, wenn ich nicht fertig geschminkt bin. Einen Teint zu schminken für Foto und Blitz, das gehört in die Hände von Profis, das soll kein Laie versuchen. Aber Starallüren im Sinne von: Ich behandle Menschen jetzt schlecht, die hab’ ich nicht.
Wie ist der Gedanke, allein mit der Erstauflage schätzungsweise 1,5 Millionen Euro verdient zu haben?
Ich habe das nicht nachgerechnet. Ich bin kein Mensch, der mit Geld lustvoll umgeht. Ich fand auch die Startauflage von „Schoßgebete“ gruselig. Ich hätte mich lieber emporgearbeitet, von 100.000 auf 150.000 und so. Bei 500.000 schläft man schon schlecht und träumt davon, dass einem die Zähne und die Haare ausfallen und wir wissen ja, was das heißt.
Was denn?
Versagensängste, Verlustängste!
Geld beruhigt doch, sagen viele.
Das kann ich überhaupt nicht sagen. Ich finde, es macht nur noch mehr Probleme, weil man dann überlegen muss, was man mit dem ganzen Geld macht.
Und, was machen Sie mit dem ganzen Geld?
Zum Beispiel auch Gutes. Ich spende an Greenpeace, Foodwatch und Attac. Und ich bin bei der Ethik-Bank. Die investiert in politisch korrekte Projekte. Keine Pharma-Industrie, keine Atomkraft, keine Ausbeutung in Afrika. Nur Bio- und Okö, damit man ein besserer Mensch ist.
Ist man das?
Natürlich! Wenn man bei der Ethik-Bank ist, ja. Wenn man bei der Deutschen Bank oder der Bank Austria ist, leider nein.
Was soll man in 20 Jahren über Charlotte Roche sagen?
Sie hat für die Sache der Frau gekämpft. Sie war ganz schön mutig. Das fände ich schön.
– Lacht. – Klingt aber auch ziemlich pathetisch. Und wie ein Nachruf. Und dafür ist es in zwanzig Jahren hoffentlich noch zu früh.
27. Oktober 2011, erschienen im KURIER