Peter Rapp betritt schon eine halbe Stunde vor unserem Termin das Pressehaus in Wien-Heiligenstadt, meldet sich brav beim Portier an und setzt sich dann ins „Krone“-Espresso. „Hier überkommen mich immer nostalgische Gefühle“, erzählt er später bei einer Melange, „in diesem Haus habe ich sogar wochenlang gewohnt. Weil ich Geld gebraucht hab, das war damals noch beim ,Express‘, hab ich als junger Lokalreporter sowohl den Tag- als auch den Nachtdienst übernommen.“
Er erzählt von einem Kleinflugzeug, das in der Neubaugasse abgestürzt war, von einem tödlichen Straßenbahnunfall, vom Mord in der Oper und dem nötigen Zwecksarkasmus. Geschlafen habe er auf zwei Sesseln, neben dem Polizeifunk. „Da wusste ich, wenn etwas Wichtiges kommt, nimmt das mein Unterbewusstsein wahr, die Sessel fahren auseinander und mich setzt es auf den Arsch.“
Der populärste Österreicher (Bekanntheitsgrad: 99 Prozent) trägt eine schwarze Lederhose, dazu ein schwarzes Hemd mit weißen Knöpfen, dunkles Sakko, schwarze Sneakers. Ab und zu streicht er über seinen Klobrillenbart und heckt - man kann es an seinen Augen sehen - einen neuen Scherz aus.
Seit seinen journalistischen Anfängen sind fast 60 Jahre vergangen. Am kommenden Donnerstag wird die Fernseh-Legende 75, aus diesem Anlass widmete sein Heimatsender dem Entertainer gestern einen ganzen Abend.
In „Rapp’n Roll“ ließ der ORF die Höhepunkte Ihrer Karriere am Samstag Revue passieren. Stolz?
Naja, ich hoffe, den Zuschauern erging es nicht wie mir, als ich eines Tages einen ganzen Karton voller Schwedenbomben geschenkt bekommen habe. Ich war richtig gierig auf Schwedenbomben als Kind. Aber nachdem ich sie auf einen Sitz gegessen hatte - abwechselnd eine mit Schoko und eine mit Kokos - war mir tagelang schlecht. Vielleicht ging’s dem Publikum mit so viel Rapp auf einmal ähnlich. - Grinst.
75 Jahre. Macht Sie dieser Gedanke traurig oder glücklich?
Es ist mir Wurscht. Allerdings habe ich nie damit gerechnet, dass ich so alt werde. Wenn ich mit 16 in der Disco einen 30-Jährigen gesehen habe, dachte ich: Was will denn dieser alte Trottel da? Heute bin ich selber schon im Lugner‘schen Greisenalter.
Wann ist man alt?
Ich weiß nur, wann man dick ist. Wenn du am Strand liegst und die Greenpeace-Leute versuchen, dich ins Meer zurückzurollen! Dann ist man wirklich dick. - Lacht. - Aber alt? Ich merke nur, dass ich allmählich langsamer werde im Schädel. Aber damit muss man leben, das ist ein völlig unausweichlicher Zustand. Wer gegen den Wind pinkelt, macht sich nur die Schuhe nass. Also was soll’s?
Wie werden Sie den Geburtstag verbringen?
Unspektakulär. Zwei Tage später ist ja mein Konzert in der Wiener Stadthalle, mit Monti Beton. Wenn sie mir da eine Geburtstagstorte auf die Bühne schieben, sollen sie gleich ein Grablicht oben draufstellen.
Auf die Frage, wo Sie sich mit 80 sehen - also in fünf Jahren - haben Sie bei unserem letzten Interview gesagt: Im Fernsehen. Die Brieflos-Show, Licht ins Dunkel, den ORF: Vermissen Sie das alles?
Nein, ich fühle mich eigentlich wie ein Fußballer, der sein Leben lang für einen Verein gespielt hat und jetzt ablösefrei ist.
War es ein Fehler vom ORF, Sie ziehen zu lassen?
Wenn ich in ein paar Jahren woanders noch gute Sendungen mache, dann war es ein Fehler. Warten wir die Quoten von gestern Abend ab.Nach meinem Abschied vom ORF hat mir einer auf Facebook geschrieben: „Ich bin froh, wenn ich Ihr blödes Gesicht nicht mehr sehen muss.“ Ich habe druntergeschrieben: „Das denke ich mir jeden Morgen beim Rasieren.“
Träumen Sie noch immer von einer „Late-Night-Show“?
Das war einmal.
Wovon träumen Sie?
Ich brauch eigentlich von gar nichts zu träumen. Weil ich vor ein paar Tagen eh was Neues vereinbart hab. Ich werde der erste Quipp-Master Österreichs!
Was soll das sein?
Das ist eine Quiz-App von ProSieben-Sat1-PULS4. Die Sendung gibt’s von Montag bis Freitag und ich werde mit zwei jungen Kollegen jeweils um 20 Uhr live im Einsatz sein. Und zwar auf den Handy-Bildschirmen. Ich habe ja von Schwarz-Weiß bis HD, von VCR über Betamax und VHS bis hin zur CD alle technischen Entwicklungen mitgemacht. Und jetzt bin ich eigentlich technisch gesehen ins zweite Jahrtausend eingestiegen.
Sie geben keine Ruhe, stimmt’s?
Die andern geben keine Ruhe. Mein zweiter Vorname ist faule Sau. Aber das Telefon klingelt jeden Tag. Ich bin dieses Jahr schon wieder für 19 Galas und Auftritte gebucht.
Ist es das, was Sie mit dem Rest Ihres Lebens machen wollen?
Ja, denn es hat sich eigentlich nichts verändert. Nur dass ich nicht mehr jeden Samstag auf den Küniglberg fahre und eine Brieflosshow aufnehme.
Warum ist aus „Willkommen Österreich“ nichts geworden?
Wir haben eine Art Pilot gemacht. Nachher hab ich gesagt: „Kinder, haut das wieder weg, das passt nicht zu euch!“ Ich habe da überhaupt kein Problem. Null Eitelkeit, einfach Fachwissen! Aber wir haben uns nach wie vor wahnsinnig lieb.
Aber jetzt werden Sie dem ORF untreu?
Ich habe die Fußfessel abgelegt und bin in jeder Hinsicht frei. Also wenn der ORF nichts dagegen hat, dann werde ich auch nichts dagegen haben, wieder was zu machen. ORF 3 zum Beispiel ist ein Super Sender. Am liebsten würde ich eine Sendung über die Ehrengräber am Zentralfriedhof machen. Der Georg Markus hat ein großartiges Buch geschrieben: „Das gibt’s nur bei uns.“ Daraus könnte man fernsehtechnisch vieles umsetzen. Ich gehe auch gerne dort spazieren, am Zentralfriedhof habe ich mehr Freunde als am Küniglberg.
Wolfram Pirchner, Vera Russwurm: Zuletzt haben ja viele ORF-Stars vom Küniglberg Angebote aus der Politik bekommen. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe… Denkt kurz nach und sagt dann: Nein, das werde ich jetzt nicht erzählen.
Also nie Angebote bekommen?
Doch, schon. Es waren drei Parteien, die mit mir arbeiten wollten. Aber ich habe allen erklärt: Es tut mir wirklich leid, aber ich will meine Zuschauer nicht vor den Kopf stoßen. Egal, wie weit links oder wie weit rechts die sind, solange sie meine Quote verbessern, sollen sie wählen, wen sie wollen. Das ist ihr gutes Recht.
Sind Sie ein unpolitischer Mensch?
Ich habe zuletzt 1968 protestiert, mit meiner Musik, mit meiner Haarpracht, mit dem Bart und dem Gewand. So gesehen war ich Teil der Jugendkulturrevolution. Aber das war für mich Politik genug.
Jetzt, wo Sie in Pension sind …
Rein finanztechnisch bin ich seit acht Jahren in Pension. Aber als Künstler geht man natürlich nie in Pension.
… blicken Sie da öfter zurück? Sie haben ja in Ihrem Leben nichts ausgelassen: Schulden, Scheidungen, Spielsucht, Herzinfarkt …
Ich halte es mit den Shaolin-Mönchen: Die denken nicht, was gestern war oder was morgen sein wird, die leben ganz im Hier und Jetzt.
Warum ist Ihnen das alles passiert?
Immer, wenn über eine Sache Gras gewachsen ist, kommt irgendein Esel und will es wieder wegfressen.
Woraus haben Sie am meisten gelernt?
Gelernt habe ich gar nichts. Nicht einmal aus meinem Herzinfarkt. Ich rauche noch immer, aber hier bei euch darf man ja nicht. Also habe ich doch was gelernt: zwischendurch diszipliniert zu sein.
Wann brauchen Sie eine Zigarette?
Eigentlich immer. Im Besonderen, wenn sich eine Altersdepression anschleicht. Dann setze ich mich wo hin, rauche mir eine an und warte, bis sie vorbeigeht.
Was geht da durch den Kopf?
Die Frage: Soll ich auschecken und die Romy fürs Lebenswerk abgeben? Radieschen von unten anschauen?
Und die Antwort?
Das wäre einfach feig. Deshalb hab ich keine Zyankali-Kapsel in einem hohlen Zahn.
Wie lange wollen Sie leben?
Gute Frage. Kann ich das entscheiden? Solange ich noch aus eigener Kraft auf die Bühne komme, kann es ruhig weitergehn. Danach wünsche ich mir einen guten Abgang. Beneidenswert war der von Udo Jürgens. Ausverkaufte Tournee, geht spazieren, fällt um und das war es. Früher wollte ich hinter die Trommel fallen und alle warten, dass ich wieder nach vorne komme. Die Chance hat mir der ORF wirklich genommen.
Und jetzt?
Niemand will dahinsiechen oder an einen elenden Krebs verrecken. Aber man kann es sich nicht aussuchen. Da gibt es den Spruch: „Wenn es der Herrgott will, dann fällt dir im Schlaf ein Marienbild auf den Schädel.“
Glauben Sie an Gott?
Ich bin praktizierender Katholik, wenn auch auf meine Art. Mitten in der Au bei Korneuburg, wo ich jeden Tag mit meinem Hund „Fredo“ spazieren geh, steht ein Herrgott aus Blech, den ich jeden Sonn- und Feiertag besuche und ein wenig bete.
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
In einem Kabarett von Gerhard Bronner gab es eine Szene, wo Anton 1 die Funkzentrale ruft: „Wir sind im Wald, wir haben Angst.“ Pause. „Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?“ Antwort der Zentrale: „Leck mich am Arsch. Ende.“
Was soll man einmal über Peter Rapp sagen?
Das ist müßig. Ich habe keine Lieder wie der Falco oder der Ambros. Deshalb wird über mich keiner mehr was sagen. Ab und zu wird vielleicht einer den anderen fragen: „Hearst, wie hat denn der geheißen, der über so viele Jahre so viele Sendungen im ORF gemacht hat?“ Und es wird Stille herrschen, weil der andere sich an den Rapp nicht mehr erinnern kann.
10. Februar 2019, erschienen in der KRONE