Hugo Portisch, KURIER-Chefredakteur von 1958 bis 1967, und Helmut Brandstätter, neuer KURIER-Chef, bei einer Doppelconférence in der Toskana.
In der Toskana diskutierten Hugo Portisch (82) und Helmut Brandstätter (55) über den KURIER – sie sind längst per Du.
Helmut Brandstätter kommt mit dem Zug aus Venedig; er hat die letzten Tage vor Antritt des neuen Jobs mit seiner Familie an der Adria verbracht. Fünfzig Minuten hinter Florenz geht es über eine staubige, enge Straße durch Weinberge und silbergrün glitzernde Olivenhaine. Das Haus von Traudi und Hugo Portisch liegt unterhalb eines toskanischen Dorfes eng an einen Hügel geschmiegt. Und die Lage ist noch viel, viel eindrucksvoller, als es das Buch "Die Olive und wir" erahnen lässt.
Auch die Gastfreundschaft: Nach einer überaus herzlichen Begrüßung wird erst einmal kalte Gurkenrahmsuppe mit Dille (natürlich aus dem eigenen Gemüsegarten), Vitello tonnato mit grünem Salat (und duftendem, hausgemachtem Olivenöl) und zum Abschluss Eiskaffee serviert. "Bloß nix Heißes bei dieser Hitze", erklärt Portisch, der sich Sorgen um die steigenden Temperaturen an diesem Nachmittag macht.
Brandstätter gibt Anekdoten aus gemeinsamen ORF-Zeiten zum Besten, und man erinnert sich an ein Studiogespräch in der Sendung "Report" aus dem Jahre 1996.
Thema: Geheime Waffenlager. Hugo Portisch habe einfach alles über die komplexen Hintergründe aus dem Handgelenk geschüttelt, weiß Helmut Brandstätter noch heute. Er war damals der "Report"- Interviewer, der dem Weltkommentator vor der Kamera gegenübersaß.
Nach dem Essen führt Portisch seine Gäste über Steintreppen hinauf auf eine Terrasse mit einer Bank und zwei weißen Sesseln. Der Blick ist atemberaubend: Ein stilles Tal mit Zypressen, Pinien und Olivenbäumen liegt unter uns.
Hier nehmen die zwei Fernsehjournalisten und KURIER-Chefredakteure (Hugo Portisch war es ab 1958 fast 10 Jahre, Helmut Brandstätter ist es ab 1. August 2010), Platz zu einem Sommergespräch im allerbesten Sinn. Zum Zirpen der Zikaden sprechen sie über Qualität in Zeiten der Krise, die Koexistenz von Print und Web und ihre gemeinsame Leidenschaft, den KURIER.
Herr Brandstätter, wissen Sie, der wievielte Chefredakteur Sie sind?
Brandstätter: Ich habe mir die Liste natürlich angesehen. Erstens sind viele prominente Namen drauf. Zweitens: Hans Dichand, der ja auch einmal KURIER-Chefredakteur war, ist ja leider vor kurzem verstorben. Aber die meisten anderen leben noch. Also hab' ich mir gedacht, das ist offenbar ein gesunder Beruf, wo man alt werden kann…
Portisch: – Lacht. – Is wahr, ja! Wobei jeder Beruf, auch der verwegenste, den man mit Lust und Liebe und Freude macht, ein gesunder Beruf ist.
B.: Hat inzwischen nachgerechnet. Ich glaube, ich bin der Zwölfte seit 1956.
Was war der erste Eindruck, den Sie voneinander hatten?
B.: Das war 1982, als ich beim ORF angefangen hab'. Da kam Dr. Portisch, der regelmäßig kommentiert hat, zurück aus der ZiB, setzte sich vis-a-vis und fragte: "Na, wie war das? Was sagen Sie?" Ich war total erstaunt: "Ich soll IHNEN sagen, wie das war? Sie wissen alles, ich bin erst ganz kurz beim ORF." Aber er hat mich so lange in ein Gespräch verwickelt, bis er wusste, was ich dachte.
P.: Ich kenne Brandstätter seit vielen Jahren. Er ist ein ganz hervorragender Journalist, man muss nur seine Karrieresprünge anschauen.
Was sagen Sie zum Vorwurf, der Helmut Brandstätter gern gemacht wird: Dass er zwar ein erstklassiger Journalist sei, aber eben noch nie Zeitung gemacht hat?
P.: Ich traue ihm das absolut zu. Auch wird sich das bald herausstellen, und die Leser werden es merken.
Woran?
P.: Indem sie mehr Lust auf Zeitung bekommen, indem ihre Erwartungen an die Zeitung steigen. Eine gute Zeitung muss im guten Sinn süchtig machen, einem das Gefühl geben: Wenn ich die Zeitung gelesen hab', fühl' ich mich rundum besser informiert, kann mitreden, weiß Bescheid.
Haben Sie sich eine Frist gesetzt, Herr Brandstätter? 100 Tage vielleicht?
B.: Wie lange war der Gerd Bacher Chefredakteur, drei Wochen? Länger muss ich auf jeden Fall durchhalten. – Lacht. – Ich stürz' mich vom ersten Tag an hinein, ich brauch' keine Fristen. Die Leute sollen ab Sonntag spüren, dass wir das alles jeden Tag gern und mit größtem Engagement machen. Sie sollen spüren: Die beim KURIER strengen sich jetzt noch mehr an als vorher.
Was wünscht Hugo Portisch dem neuen KURIER-Chef?
P.: Viel, viel Erfolg wünsch' ich ihm und seinem Team. Und den wird er haben, wenn er eine gute Zeitung macht.
Was ist eine gute Zeitung?
B.: Eine Zeitung, auf die sich die Leute jeden Tag in der Früh freuen. Eine Zeitung, die mich nicht kalt lässt. Eine Zeitung, wo man sich auch anhalten kann, ein Stück Sicherheit bekommt. Eine Zeitung, die Fakten liefert, die diese Fakten aber auch richtig einordnet und das von Leuten geschrieben, die das mit großem Engagement machen. Da müssen einzelne Autoren noch mehr zu einer Marke werden. So wird auch die Marke KURIER gestärkt.
P.: Brandstätter findet ja sehr gute Leute vor. Er muss sie nur mit auf den Weg nehmen. Der Kurier hat einiges, was einzigartig ist. Zum Beispiel die "Freizeit": Hervorragend gemacht! Auf die "Freizeit" freu ich mich jeden Samstag.
B.: Ich freu' mich auch jeden Tag auf den Pammesberger, und auf gute Kommentare und Reportagen.
Wo hat denn der KURIER, im Spannungsfeld zwischen Qualitätsmedien und Boulevardzeitungen, heute seinen Platz?
P.: Der Kurier war immer eine Qualitätszeitung. Und immer schon stand er zwischen dem Boulevard und dem, was den Anspruch auf Qualität erhebt. Ich glaube, wir haben bewiesen, dass Qualität auch ein großes Publikum ansprechen kann. Hochgestochene Sprache ist noch kein Beweis für Qualität. Wohl aber das Bemühen, aufzuklären, und der Wahrheit verpflichtet zu sein. Luther hat gesagt: Dem Volk aufs Maul schauen. Aber er hat nicht gesagt: Dem Volk nach dem Maul reden. Dieses Prinzip haben wir im KURIER immer befolgt: Wissen, was die Leute denken, aber auch genau zu erwägen: Sind da Vorurteile, sind da Vorverurteilungen, ist da Angstmacherei dabei, wird da Hass geschürt? Da muss man auf die Barrikaden gehen. Der Kampf gegen Vorurteile, gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Neidgenossenschaft und Angstmacherei war immer Leitlinie des KURIER.
B.: Vieles steht ja auch im Redakteursstatut: Toleranz auch unter den Religionsgemeinschaften, Ausbau der Demokratie - das sind gute Maßstäbe. Und wir lassen uns nicht kaufen.
P.: Man muss die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das bewundere ich seit 1949 an der bundesdeutschen Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wo immer die Würde des Menschen untergraben, angegriffen, in Frage gestellt wird, muss man auf die Barrikaden gehen! Der Kampf gegen Ungerechtigkeit, gegen Vorurteile, gegen Neidgenossenschaften, gegen Angstmacherei ist eine Hauptaufgabe der Zeitung. Wenn sie das macht, werden die Leute auch weniger politikverdrossen sein. Politikverdrossenheit kommt nicht zuletzt auch daher, dass die Zeitungen über Politiker schreiben: Die können nix, die tun nix, die streiten nur. Aber man muss auch wissen, warum sie streiten, ob es gerechtfertigt ist, was ist ihr Ziel? Wenn man draufkommt, ihr Ziel ist nur, Dinge zu verschleppen, um über einen Wahltermin zu kommen, dann muss man ihnen auf die Finger klopfen.
Sprechen wir vom Bundesbudget?
B.: Weil der Hugo so ein vornehmer Mensch, hat er's nicht deutlich gesagt. Eine Regierung, die verfassungswidrig kein Budget vorlegt, der muss man schon auf die Finger klopfen! Vor allem, wenn's zum Nachteil der Bevölkerung wird, wenn wir genau wissen, je später gewisse Maßnahmen kommen, desto schlechter ist es für alle Beteiligten. Es ist die Pflicht der Zeitung, Ehrlichkeit einzufordern und Ehrlichkeit selbst zu praktizieren.
P.: Und noch eine Aufgabe hat sich der KURIER immer gestellt: Dem Land ein Stück Weltoffenheit zu bewahren. Das hat ihn schon ausgezeichnet, bevor die Europäisierung und Globalisierung in unser Leben eingebrochen ist.
Wie sehen Sie denn heute die übermächtige Konkurrenz des Web?
P.: So wie wir damals das Fernsehen als Konkurrenz gesehen haben. Da haben wir Nightwatch eingeführt. Alles, was übers Fernsehen lief an Meinung, an Nachrichten, auch an Gesellschaftspolitischem, das musste in der Früh am Schreibtisch liegen, damit wir bei der Redaktionskonferenz wussten: Was wissen die Leute von gestern? Wie sind sie informiert oder gelenkt worden? Wo müssen wir ergänzen, erklären, widersprechen? Das Mitleben mit dem andern Medium ist ganz, ganz wichtig. Das gilt heute fürs Internet genauso.
Nightwatch, werden Sie das einführen beim Kurier?
B.: Ja, das ist eine gute Idee! Wobei ich selbst ein Nightwatcher bin! Ich war immer ein Newsjunkie, der Zeitungen, Fernsehen und Internet besonders intensiv konsumiert hat. Ich habe das in meinem bisherigen Beruf, in der PR, praktiziert. Es gibt viele internationale Firmen, die das Facebook nutzen, um dort aktiv PR zu machen. Umgekehrt gibt's Pressure-Groups, - aktueller Fall Nestle -, wo dagegen gearbeitet wird, dass Palmöl verarbeitet wird, weil damit viele Wälder kaputt gemacht werden. Hunderttausende Menschen haben sich dem angeschlossen, Nestle muss reagieren. Also es spielen sich so viele interaktive Dinge ab, die wir als Zeitung aufnehmen müssen. Unsere Aufgabe ist es, die Leser da einzubinden. Wie kriegen wir auch mehr Rückmeldungen? Wie können wir mehr erfahren, was die Kurier-Familie will?
Stichwort Kurier-Familie: Kommt da eine neue Beziehungsqualität?
B.: Es gibt sehr viele Leute, die Jahrzehnte lang ein Abo hatten, weil sie es von ihren Eltern übernommen haben. Wenn es über Generationen geht, kann man durchaus von Familie sprechen.
Was sind Sie da?
B.: In meinem Alter kann man schon Vater dazu sagen. – Lacht.
P.: Mit dem Leser kommunizieren, die Leser-Blatt-Bindung ist das Um und Auf. Da war der KURIER immer aktiv: Kurier-Forum, Katastrophenhilfe, Weihnachtsaktion, Rette ein Leben. Letzteres war eine riesige Aktion für Verkehrssicherheit. Oder das Rundfunkvolksbegehren. Wir haben Kupons eingeschaltet. Hunderttausende haben unterschrieben, die Politik ist in die Knie gegangen. Der Kanzler, der Vizekanzler haben gefragt: Was müssen wir tun, damit ihr aufhört damit?
B.: Man kann aber nicht gegen die Leser eine Kampagne machen, sondern lediglich Strömungen verstärken-
P.: Aber man darf nicht Kampagnen machen, die die Leser in die Irre führen.
Was ist, wenn die Leser was Falsches wollen?
B.: Nehmen wir das Beispiel EU. Es haben zwei Drittel der Leute für die EU gestimmt. In den Barometern der letzten Jahre waren aber immer mehr Leute dagegen. Ich glaube, dass das ein Informationsmangel war. Da muss man als verantwortungsbewusste Zeitung schon aufmerksam machen: Wie viele Arbeitsplätze hat die EU gebracht und gesichert? Wie viele Möglichkeiten haben junge Leute jetzt, im Ausland zu arbeiten und zu studieren? Um wie viel ist unser Land internationaler, offener und demokratischer geworden? Wenn jemand anderer eine Kampagne gegen die EU macht, muss man stärker dagegenhalten. Denn das halte ich wirklich für Volksverdummung, den Leuten zu sagen, die EU ist unser Problem. Einer meiner ersten Jobs war ein Volontariat bei der Europäischen Kommission. Da habe ich sehr wohl die Bürokratie gesehen. Aber auch eine internationale Truppe von sehr, sehr gut ausgebildeten Menschen, die auf jeden Fall was Gutes wollen: Nämlich dass Europa zusammenhält, dass es einen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch gibt, und nie wieder Krieg. Bessere Ziele kann es nicht geben.
P.: 1918 ist die k& k Monarchie zugrunde gegangen. Das ganze Land war zutiefst schockiert. Man muss sich nur die Leitartikel in den Zeitungen ansehen, die Reden der damaligen Politiker anhören. Österreich wird nie wieder aufstehen! Wir sind an Händen und Füßen amputiert! Dann dreht sich das Rad der Geschichte um 360 Grad, die Grenzen sind auf einmal wieder offen, wir haben wieder unsere Märkte, haben Zugang zu unseren Nachbarn. Und wir haben nichts als Angst, Angst, Angst! Die werden uns die Butter vom Brot stehlen! Die dürfen nicht herein! Das ist völlig falsch. Wir hätten eine Andockplattform sein müssen für unsere Nachbarn. Wir hätten in Brüssel die Befürworter der Nachbarn sein müssen und ihnen den Weg nach Brüssel zeigen. Wir haben nach 1947 den Marshallplan bekommen und dabei mehr als alle anderen Teilnehmer- Staaten. Wie wäre es gewesen, wenn wir damals draußen hätten bleiben müssen? Wenn die Russen ganz Österreich besetzt hätten und wir erst nach 50 Jahren die Chance gehabt hätten, nach Europa zu kommen. Was hätten wir empfunden, wenn man uns dann gesagt hätte: Bleibts draußen! Wir wollen von euch nix wissen! Die Vorstellung, dass Europa uns abgelehnt oder Angst vor uns gehabt hätte, die ist doch schrecklich.
B.: Viele österreichische Unternehmen haben es ja erlebt. Erst seit der EU-Öffnung gibt es internationale Konzerne, die in Österreich ihr Hauptquartier haben. Das hat es früher auch nicht gegeben. Auf der andern Seite sind die Österreicher die am wenigsten Mobilen in der EU. Wenn eine junge Generation nicht bereit ist, ihre Stadt zu verlassen und woanders etwas Neues zu lernen, die anderen aber schon, dann kriegen wir ein Problem. Das halte ich für ein wesentliches Zukunftsthema.
P.: Auf der anderen Seite war ich immer sehr überrascht, dass so viele österreichische Unternehmen sofort ihre Chancen im Osten wahrgenommen haben. Im Nu waren 15.000 Joint Ventures in den exkommunistischen Staaten aufgebaut. Unsere Exporte haben sich verdoppelt und verdreifacht. Banken, Versicherungen, Bauunternehmen und viele andere sind zum Teil schon Marktführer in diesen Ländern.
Das ist schön für die Wirtschaft, aber den Menschen macht der Anstieg der Kriminalität Sorgen.
P.: Die Kriminalität ist nicht eine Folge der Osterweiterung der EU, sondern eine Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Was die Kriminellen angehalten hat, das war der Eiserne Vorhang. Danach ist das große Wirtschafts- und Wohlfahrtsgefälle zwischen West und Ost zutage getreten. Große Armut auf der einen Seite und großer Wohlstand auf der anderen, das bringt Kriminelle schnell auf die Idee, sich da zu bedienen. Und die kämen auch, wenn es weiterhin Passkontrollen gäbe.
Um welche Themen wird es denn im KURIER in Zukunft mehr gehen?
B.: Um unsere rückwärtsgewandte Politik zum Beispiel. Wir haben ein Bundesheer, das ausgerichtet ist auf einen Ost-West-Konflikt, den es bekanntlich nicht mehr gibt und null Perspektive, was daraus werden soll. Wir haben ein Schulsystem, das sich, seit ich in der Schule war, im Prinzip nicht geändert hat. Es wurden seither Computer und Handys entwickelt, nur die Schule ist noch, wie sie früher war. Wir führen auch die Gesundheitsdebatten, die wir vor 30 Jahren schon geführt haben. Daran zeigt sich, wie wenig sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Nur die Unternehmen entwickeln sich weiter. Auf der anderen Seite sind die Österreicher die am wenigsten Mobilen in der EU. Wenn eine junge Generation nicht bereit ist, ihre Stadt zu verlassen und woanders etwas Neues zu lernen, die anderen aber schon, dann kriegen wir ein Problem. Das halte ich für ein wesentliches Zukunftsthema. Das müssen wir noch viel stärker thematisieren.
P.: Das sind hervorragende Ziele. Auch aufzuzeigen, wie es in anderen Ländern gemacht wird. Nicht alles automatisch ablehnen, sondern hinterfragen.
B.: Unser Problem liegt darin, dass die Parteien so oft an Ideologien hängen. Die Schuldebatte, die Verteilungsdebatte, die Ausländerdebatte, das alles wird über Ideologien geführt, nicht über Notwendigkeiten und Sinnhaftigkeiten. In Deutschland, wo ich lange gearbeitet habe, führt man ähnliche Debatten, aber man hat inzwischen zu einem Konsens gefunden, dass aus dem Thema Asyl kein Wahlkampfthema gemacht wird. Bei uns ist das leider anders, wie wir gerade wieder erleben.
Geht sich das in einer Amtszeit aus, da Veränderungen herbeizuführen?
B.: Natürlich weiß ich, dass das alles nicht so schnell geht. Aber den Versuch, von den Ideologiedebatten wegzukommen hin zu inhaltlichen Debatten, den müssen wir täglich neu machen. Darauf reagieren die Politiker auch.
P.: In Österreich ist die Tendenz der Politiker, der veröffentlichten Meinung nachzulaufen oder dem, was sie für die Meinung der Leute halten, sehr groß. Dabei müsste Politik Ziele vorgeben, Wege aufzeigen, sie muss diese Wege auch gehen und die Bürger von der Richtigkeit dieser Ziele überzeugen, sie mit auf den Weg nehmen.
B.: Ich habe in Österreich oft den Eindruck, dass viele Journalisten die Politiker verachten und dass viele Politiker versuchen, sich öffentliche Meinung einzukaufen. Mir fehlt der respektvolle Umgang. In Deutschland habe ich das anders beobachtet.
P.: Das ist nicht nur in Deutschland so. Aus Politikverdrossenheit und Politikerverachtung ein Thema zu machen, daraus Kapital zu schlagen, das fällt in die Kategorie Häme und Feme.
B. : Ich glaub' auch nicht, dass Politiker zu viel verdienen. Wenn einer ordentlich arbeitet, bei dem Zeitaufwand, dann sollte er auch ordentlich bezahlt werden.
Wie werden Sie's denn halten mit den Politikern, Herr Brandstätter?
B.: Ich habe mich nie einer Partei zugehörig gefühlt. Mein Umgang mit den Politikern war immer respektvoll. Auch hier zitiere ich gern Deutschland: Dort gibt es sogenannte Hintergrundzirkel, in denen Informationen ausgetauscht werden, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind. Das dient dazu, Journalisten Hintergründe zu erklären, damit sie Sachverhalte besser verstehen und Dinge anders einordnen können. Das könnte ich mir auch in Österreich vorstellen, die Initiative müsste aber von den Politikern ausgehen.
Wir stecken noch immer in den Nachwehen einer Weltwirtschaftskrise. Alle müssen sparen, auch der KURIER…
P.: Das ist ein schlechtes Konzept! Ich pflegte meinem Herausgeber immer zu sagen: Alles Geld, das Sie für die Zeitung angeblich beim Fenster rauswerfen, kommt bei der Tür vielfach herein, wenn es für Qualität verwendet wird.
B.: Geld ausgeben ist immer lustiger als Geld einsparen. Wir haben schon 1982, als ich noch beim ORF war, jede Live-Schaltung und Dienstreise zweimal überlegt. Ich glaube, man kann in jedem Unternehmen noch etwas einsparen, ohne dass es weh tut, aber man kann gleichzeitig auch immer für sinnhafte neue Dinge Geld ausgeben. Was mir ein bisschen Sorge macht, ist, dass junge Leute, wenn sie gut ausgebildet sind und in die PR gehen, deutlich mehr verdienen, und wenn gleichzeitig das Ansehen der Journalisten noch mehr sinkt, dann werden wir nicht die Topleute bekommen.
Beschreiben Sie die Topleute.
B.: Sie sind topausgebildet, sie haben aber auch dieses Flackern in den Augen, große Neugierde, die Gier und den unbedingten Willen, Journalist zu sein. Das ist ja kein Beruf wie jeder andere. Wenn jemand sagt, ich möchte immer pünktlich um 5 nach Hause gehen, dann sollte er Tramwayfahrer werden. Dort fährt man genau nach Dienstplan, im Idealfall auf die Minute.
Journalismus als Lebensstil?
Ja, es geht um die Einstellung. Ich fahr' zum Beispiel immer in Länder, wo ich die Sprache kann und Zeitung lesen kann. Einen Urlaub ohne Zeitung kann ich mir gar nicht vorstellen.
Was lesen Sie hier im Urlaub?
B.: Den Corriere della Sera. Und die Repubblica. Ich kauf' mir aber natürlich auch täglich den KURIER.
P.: Den KURIER krieg' ich in der Toskana, wenn's gut geht, in den Sommermonaten. Sonst muss ich ihn aus dem Internet holen. Ich geh' nicht so gern ins Internet. Ich halte die Zeitung gern in der Hand. Wenn man die Augen noch einmal leicht über die Zeilen gleiten lassen kann, nimmt man viel mehr auf, da ist das Interesse größer. Das Internet verleitet zum Schnell-Drüberschauen. Leute, die's genauer wissen wollen, nehmen immer noch gern ein Buch oder die Zeitung in die Hand. Das geht offenbar mehreren Menschen so, sonst könnte es nicht sein, dass die Auflagen weltweit trotz Internet gleich geblieben sind.
Wie unabhängig ist eine Zeitung?
B.: So unabhängig wie wir uns fühlen und in unseren Köpfen sind, in meinem Fall also sehr. Wir machen nicht das, was irgendwelche Interessensvertretungen oder Pressure-Groups wollen, wir machen das, was wir für richtig halten, in Kommunikation mit dem Leser.
Dann kann der KURIER auch über Raiffeisen jederzeit etwas Schlechtes schreiben?
B.: Wenn wir der Meinung sind, dass dort was falsch läuft, dann werden wir das selbstverständlich schreiben! Für mich gilt gleiche Distanz zu allen Unternehmen und Parteien.
Worauf muss Helmut Brandstätter aufpassen?
P.: Auf sich. Vor allem auf sich.
Was glauben Sie, Herr Brandstätter?
B.: Mich nicht auffressen zu lassen. Und dass ich mir treu bleibe. Das altmodische Wort vom Gewissen. Man weiß es ja selber. Wenn man etwas tut, was sich nicht gehört, dann sagt einem das Gewissen das ja ohnehin.
1. August 2010, erschienen im KURIER
Zwei Generationen: Die Chefredakteure Hugo Portisch und Helmut Brandstätter