
Der Weg in sein Büro am IMBA  im dritten Wiener Gemeindebezirk führt an prachtvollen Fotos der  Galapagos-Inseln vorbei. „Hallo, ich bin Josef!“ begrüßt uns der Leiter des  Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der  Wissenschaften und posiert bereitwillig vor einem Affen-Porträt. „Ich finde,  ich sehe ihm ähnlich“, lacht er. Josef Penninger, internationaler  Spitzenforscher, trägt Pulli, Jeans und Schlapfen. Mit seinen funkelnden  braunen Augen und dem zerzausten Haar sieht er aus wie der junge Einstein.  Beseelt und besessen von der Wissenschaft. 
Unter Penninger hat sich das IMBA schon nach wenigen Jahren einen Namen  in der biomedizinischen Grundlagenforschung gemacht. Dem  Wittgenstein-Preisträger gelangen unter anderem durchschlagende Erkenntnisse  über den Zusammenhang zwischen Osteoporose und Brustkrebs. In seiner Zeit am  IMBA gründete er auch zwei Firmen. Der Oberösterreicher wurde zum begehrten Stern am Forschungshimmel:  Schon im Frühjahr 2015 wäre Penninger fast nach Berlin gegangen – ihm wurde die  Leitung des Max Delbrück Centrums angeboten. Damals blieb er – nachdem  Österreich die Gelder für die Stammzellforschung um 20 Millionen Euro  aufgestockt hatte. Diesmal hat sich die renommierte British Columbia University  in Vancouver um ihm bemüht - und Penninger sagte zu. Er wird Leiter des Life Science  Institute, dem mit 84 Forschungsgruppen größten Institut seiner Art in Kanada. 
Herr Penninger, was war der  erste Gedanke, als das Angebot aus Kanada kam?
        Zuerst dachte ich: Mir geht‘s doch gut in Wien! Ich liebe Österreich, ich bin  von da. Aber dann sah ich diesen Karrierezug vor mir, in dem wir alle sitzen  und zwischen den einzelnen Waggons hin- und hergehen. Nur selten im Leben haben  wir die Chance, aus dem Zug auszusteigen. Mein Gedanke war: Trau ich mich  wieder in die Welt hinaus? Jetzt fühle ich mich wie ein Fisch, der zurück in  den Ozean springt. 
Von einem kleinen Teich ins  große Meer? 
        Wenn man sich ansieht, was sich tut in der Welt, dann müssten wir uns  globalisieren, uns international viel mehr anstrengen. Die Chinesen investieren  wie verrückt, die Inder investieren wie verrückt, Amerika sowieso. 
Ist Österreich too small? 
        Österreich macht sich klein, weil die wichtigen Akteure in der Politik glauben,  wir seien eh nur ein kleines Land. Nehmen wir das Ranking der Universitäten. Da  heißt es immer: Ist eh nicht so wichtig. Aber warum schauen die Leute  Skifahren? Weil der Marcel Hirscher gewinnt! Österreich hat so viele  intelligente Köpfe, die was weiterbringen wollen. Die Aufgabe der Politik  sollte es sein, genau das zu ermöglichen.
  
  Hat die Politik versagt? 
  Ich habe in den  letzten 16 Jahren sechs Wissenschaftsminister erlebt, und immer hat man gegen  dieselben Windmühlen gekämpft. Bei Podiumsdiskussionen haben alle erklärt, wie  wichtig die Wissenschaft für dieses Land ist. Aber passiert ist am Ende … 
Nichts?
        … nicht nichts, aber viel zu wenig. Wir könnten es wie die Schweizer machen,  die auch nicht sehr groß sind, aber wissenschaftlich ganz anders dastehen. Oder  wie Belgien oder Dänemark. Ich bin wahnsinnig stolz, was wir am IMBA als Team  aufgebaut haben. Das Institut ist Weltklasse geworden und wir haben etwa auch  das Vienna Open Lab mitgegründet, dies ging nur gemeinsam mit unseren Partnern  an den Universitäten, Boehringer Ingelheim, und natürlich der Akademie, die ich  alle wahnsinnig schätze. Das IMBA ist ein Leuchtturm-Projekt, aber wir würden  zehn IMBAs brauchen. Jetzt kann ich das ja sagen, weil ich nicht mehr auf dem  Schachbrett der Gelder und Machtverteilung stehe. 
Was  entgegnen Sie bösen Zungen, die sagen: Jetzt hat man ihm ein Institut gebaut,  dann hat man die Gelder um 20 Millionen aufgestockt und dann kehrt dieser  Penninger Österreich den Rücken.
      Ich kehre Österreich nicht den  Rücken. Mein Herz bleibt diesem Land immer zugewandt. Und nicht nur das Herz,  sondern auch Teile meiner Arbeit, weil wir ja in Zukunft einen regen Austausch  zwischen Kanada und Österreich pflegen wollen. All dieses neue Geld floss in  die Stammzellenforschung, damit haben wir eine der wichtigsten  Forschungsrichtungen, die es auf der Welt gibt, in Österreich etabliert und  konnten fantastische junge Wissenschaftler zu uns holen. Ich selber hatte  nichts davon, außer dass ich mit tollen neuen Forscherkollegen zusammenarbeiten  darf. Außerdem habe ich in den letzten fünf Jahren die Hälfe meines Gehalts mit  Drittmitteln aus Amerika bezahlt. Ich habe vielleicht nicht alles richtig  gemacht, aber immer versucht, dass der Erfolg der Wissenschaft und unsere  Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen. Dieses Institut ist mein Baby, ich habe es  mithilfe vieler Leute auf die Welt gebracht, aber das Baby ist jetzt erwachsen.  Ich will auch kein „alter Professor“ werden, der am Sessel klebt und ewig das  Gleiche macht. Nach so vielen Jahren ist Zeit für neue Ideen, neuen Schwung,  neue Leute. Die Welt hat genug gute Administratoren, unsere Welt braucht  Innovatoren.
Haben Sie einen  Wunschnachfolger oder noch besser eine Wunschnachfolgerin?
      Das habe ich.  Aber da halte ich mich raus. Die Akademie der Wissenschaften ist unser Besitzer  und hat jedes Recht, die Nachfolge zu bestimmen. 
Sie haben vorher das  Schachbrett der Gelder und der Machtverteilung erwähnt. Hat das zuletzt Ihre  Arbeit beeinflusst? 
	    Am Ende wird bei den ganzen politischen Szenarien an kleinen Schrauben gedreht.  Ich hatte immer diese große Vision im Kopf, dass wir das IMBA als Kern einer  unabhängigen Max-Planck-Gesellschaft aufstellen. Aber irgendwie hat sich keiner  getraut, den Fleckerlteppich der österreichischen Forschung zu bereinigen, was  ich sehr schade finde. Davon hätten alle profitiert. 
Ist das der Hauptgrund, warum  Sie nach Kanada gehen? 
      Der Hauptgrund ist, dass ich durch die ganze Politik mein Kindseindürfen  verloren habe. Diese kindliche Neugierde ist die Essenz eines Forschers, denn  am Ende geht es nur darum. Ich hatte einmal diese Leidenschaft, und diese  Leidenschaft ist mir verloren gegangen. Die möchte ich wieder zurückgewinnen. 
Spielt auch die neue Regierung  eine Rolle?
      In gewisser  Weise ja. In Kanada wurde das Budget für Forschung gerade um 25 Prozent  aufgestockt. Und hier wird wochenlang diskutiert, ob ein lange überfälliges  Rauchverbot sinnvoll ist. Ja, das ist es, wenn einem die Gesundheit unserer  Kinder wirklich ein Anliegen ist! Aber die neue österreichische Regierung kann  gerne mit 25 Prozent Forschungsförderung nachziehen. Unser Kapital ist doch  zwischen den Ohren der Menschen. Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich alles  daran setzen, diesen wunderbaren Schatz zu fördern. 
Wer waren Ihre Fürsprecher? 
        Da gab es viele. Werner Welzig und Peter Schuster zum Beispiel, die mich damals  nach Wien geholt haben und in oft schweren Zeiten die Hand über mich hielten.  Ein Riesenfürsprecher war auch mein Mentor Georg Wick. Wolfgang Schüssel hat  mir geholfen, Reinhold Mitterlehner, Erwin Rasinger, Renate Brauner, Josef  Ostermayer, Max Liechtenstein, Eric Kandel, mein verstorbener Freund Carl  Djerassi und natürlich der Bürgermeister von Wien, Michael Häupl – und viele  mehr. Als erster österreichischer Young Global Leader habe ich einmal den  Bundeskanzler Kurz getroffen. Und natürlich meine Fußballfreunde – man darf nie  vergessen, dass wir alle gewinnen wollen, aber wenn der Schiri abpfeift, dann  muss man sich die Hand geben und gemeinsam ein Bier trinken. Wie Golo Mann so  schön in seiner Wallenstein-Biografie schrieb: Das Problem der Welt ist es,  dass es zu viele Charakterspieler gibt, aber zu wenige Leute mit Charakter. Und  wenn damals meine Mutter nicht putzen gegangen wäre und mein Vater nicht am  Nebenerwerbs-Bauernhof bei der Straßenmeisterei gearbeitet hätte, wäre ich  jetzt nicht, wo ich bin. 
Hat man versucht, Sie zu  halten?
      Nein. Das wäre,  nachdem ich mich entschieden hatte, auch nicht möglich gewesen. 
Hat Österreich ein Problem mit  „Braindrain“? Also mit der Abwanderung von Wissenschaftlern ins Ausland? 
        Ich finde es gut, wenn Wissenschaftler aufgrund ihrer guten Ausbildung aus  Österreich weggehen und in anderen Ländern erfolgreich sein können. Wichtig  ist, dass Österreich auf der anderen Seite auch junge, begabte Forscher zu uns  holt. Es muss einen Austausch der klügsten Köpfe geben. Und die dazugehörige  Willkommenskultur. 
Wie würden Sie die  beschreiben? 
        Wenn in Kanada ein Immigrant zur Einwanderungsbehörde kommt, dann bekommt er  Folgendes zu hören: „Welcome to Canada! Make us better!“ Das ist meine Vision  für Österreich. Dass wir Zuwanderung als Bereicherung sehen. Uns die Leute  aussuchen und ihnen sagen: „Willkommen in Österreich! Machen Sie uns noch  besser und erfolgreicher!“
Herr Penninger, Sie haben in  der Krebsforschung große Erfolge gefeiert. Was ist Ihre Vision von dieser  Krankheit? 
        Wenn dieses Interview erscheint, bin ich bei einem Brustkrebs-Thinktank in den  USA, und dann fliege ich runter nach Melbourne zu einem Meeting unter dem Titel  „Eradicate Cancer“ – „Krebs ausradieren“. Dort entwickeln wir völlig neue  Szenarien. Wir gehen der Frage nach, ob man sich gegen Krebs einmal wie gegen  Masern impfen kann. Ich bin persönlich zwar skeptisch, aber nur weil ich  skeptisch bin, heißt das noch lange nicht, dass es unmöglich sein muss. Wenn  man sich anschaut, was in den letzten Jahren durch Wissenschaft erreicht wurde,  obwohl es immer zu langsam vorangeht, dann leben wir in der Renaissance der  biomedizinischen Forschung. 
Träumt man als Spitzenforscher  eigentlich insgeheim immer vom Nobelpreis? 
        Träumen darf man ja. Aber man sollte sich nicht darüber definieren. Das  Wichtigste ist, dass man viel Sport betreibt. 
Warum?
      Damit man 80  wird. – Lacht. – Also älter als die anderen, die das Gleiche  entdeckt haben. 
Was ist dann der Antrieb? 
        Eigentlich ein romantisches Prinzip. Uns Forscher treibt die Neugierde, wir  steigen in den Nebel hinein, wie in Dantes „Göttlicher Komödie“, um im Nebel  die Lichtstrahlen des Verstehens zu finden. Ich bin auch im Innviertler  Herbstnebel aufgewachsen. Wenn dieses Prinzip Menschen hilft, dann ist das  wunderbar. Preise sind nett, aber am Ende geht es darum, das Leben von  Millionen von Menschen besser zu machen, was wir etwa mit unserer Forschung an  Knochenschwund und den Prinzipien der Krebsimmuntherapien gemacht haben. 
Letzte Frage: Was werden Sie  von Österreich am meisten vermissen? 
        Seit ich weiß, dass ich nach Kanada gehe, wird mir jeden Tag bewusst, was für  ein fantastisches Land Österreich ist. Jahrelang bin ich jetzt mit dem Auto  durch Wien gefahren, an Häusern einfach vorbeigefahren, aber jetzt erst schaue  ich genau hin. Oder der Schnee auf den Feldern – James Joyce drückt es viel besser aus  als ich: „His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly  through the universe and faintly falling, like the descent of their last end,  upon all the living and the dead.“ Was ich vermissen werde, weiß  ich ganz genau: das gute Brot. Schon der Duft haut mich um. Und in das Scherzel  mit Butter drauf zu beißen, grenzt an Glückseligkeit. 
11. März 2018, erschienen in der KRONE
  
