„Ich war kein Macho”
Richard Nimmerrichter

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Eine Wohnanlage in Wien-Neustift, wir klingeln. „Ich komm runter“, tönt es aus der Gegensprechanlage. Und dann holt uns Richard Nimmerrichter, immerhin 99 Jahre alt, tatsächlich ab. Er ist nicht einmal schlecht zu Fuß. Fernsehteams, die ihn anlässlich seines runden Geburtstages zu Silvester besuchen wollten, hat er abgesagt, „da wären zu viele Leute in meine Wohnung gekommen, ich bin ja seit März in freiwilliger Quarantäne“. (Anm.: Der „Krone“-Fotograf hat sich vor dem Termin testen lassen, die Interviewerin ist nach ihrer Corona-Erkrankung immun).

Mit dem Lift geht’s ins Dachgeschoß - seine zweistöckige Dienstwohnung, die letzte Dienstwohnung der „Krone“ - hat die Anmutung eines historischen Museums. Die beeindruckende Kunstsammlung - zum Großteil Aquarelle des Biedermeiermalers Rudolf von Alt - geht nach seinem Tod an das Land Niederösterreich. Auf der 10 Meter langen Terrasse, erzählt der Jubilar, marschiere er jeden Morgen 66 Mal auf und ab, sein tägliches Fitnessprogramm. Warum 66 Mal? „Erstens“, meint er, „ist es eine schöne Zahl und zweitens hab‘ ich als Kind an der Straßenbahnlinie 66 gewohnt.“

Herr Nimmerrichter, in elf Tagen, zu Silvester 2020, werden Sie 100. Wie geht es Ihnen?
Tadellos! Ich freue mich des Lebens. Ich habe erkannt, dass man seine Ansprüche reduzieren muss. Und ich bin schmerzfrei. Nur das rechte Auge tränt manchmal, deshalb kann ich nicht mehr lange lesen.

Lesen Sie noch die „Krone“?
Wenn Sie mich nicht verraten… nein!

Andere Zeitungen?
Das schon gar nicht. Ich hab‘ den Teletext, das reicht mir vollkommen.

Sie waren der meistgeliebte und der meistgehasste Kolumnist, den die „Krone“ je hatte und haben bis ins hohe Alter geschrieben. Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken, wie war Ihr Jahrhundert??

Es ist mir alles besser gelungen, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorstellen hätte können. Mehr kann man vom Leben nicht verlangen. Als Hans Dichand mich von der „Weltpresse“ abgeworben hat, wollte ich ja nur dreimal pro Woche schreiben. Aber er meinte: „Entweder täglich oder gar nicht, das können Sie sich jetzt aussuchen.“ Da habe ich es halt probiert. Meine Kolumne ist in 36 Jahren nur zweimal nicht erschienen: einmal beim Zeitungsputsch und einmal, da war ich Tauchen am Roten Meer und hab' das Flugzeug versäumt.

Sie waren als Chefkolumnist der Kreisky-Ära eine Meinungsmacht … Haben Sie das genossen?
Ersteres bestreite ich. Ich war nicht mächtig. Ich wollte es auch nie sein. Es haben vielleicht manche Angst vor mir gehabt, aber zu Unrecht. - Lacht.

Sie wurden insgesamt 58 Mal verurteilt, meist wegen übler Nachrede. Gibt es Kolumnen, die Ihnen im Nachhinein leidtun?
Nein, denn dann hätte ich sie nicht geschrieben. Ich musste zu diesen Prozessen ja meistens gar nicht hingehen. Und ich bin ungefähr genauso oft auch freigesprochen worden.

Für das liberale Österreich waren Sie ein Feindbild. Der Hauptvorwurf lautete, Sie hätten den Nationalsozialismus verharmlost. Was sagen Sie?
Das ist mir ganz wurscht. Weil es keine Emotion in meinem ganzen Leben gegeben hat, die stärker gewesen wäre als bedingungsloser Hass auf Hitler. Den hatte ich schon mit zwölf Jahren, obwohl mein Vater ein Schutzbündler war. Ich bin im 10. Bezirk aufgewachsen, Zimmer und Kabinett.

Und dann sind Sie durch die „Krone“ Millionär geworden.

Na ja. Wir waren damals mit 2,64 Prozent am Gewinn beteiligt. Ich habe das nicht verlangt. Ich hatte nie auch nur die geringste Beziehung zu Geld oder Luxus. Gut, ich habe mir ein paar Wohnungen gekauft und ein Haus gebaut. Und all die Bilder hier hat wirklich die „Kronen Zeitung“ finanziert. Ich könnte sie auch alle verkaufen, aber ich wüsste nicht, was ich mit dem Geld machen sollte. Also habe ich sie dem Land Niederösterreich vermacht.

Von Ihnen stammt das Zitat: „Keine Generation ist besser als die andere, sonst müsste ja die Welt immer schlechter geworden sein.“ Ist die Welt in Ihrem Jahrhundert besser geworden?
Man schlägt Leuten, die man nicht mag, heute nicht mehr den Kopf ab. Die Moral und vielleicht auch der Humanismus haben zugenommen.

Und die politische Korrektheit. Was halten Sie davon?

Neger darf man nicht mehr sagen, aber unter Freunden sage ich es immer noch. Auch Eskimo nicht, weil das sind jetzt Inuit, und Zigeuner heißen Roma und Sinti. Wenn ich das höre, kommt mir gleich das Grausen. Nur Indianer geht noch. Ich halte diese Korrektheit für reinen Blödsinn.

Und wie halten Sie es mit dem Feminismus?
Na ja. Eva Kreisky hat mir einmal ein Zitat untergejubelt, das gar nicht von mir stammte. „Die einzige Frauenbewegung, die ich kenne, findet im Bett statt.“ - Lacht.

Gibt es heute noch eine Frau in Ihrem Leben?
Überhaupt nicht. Meine letzte Frau war Kanadierin. Wann war die vorbei? Also, da müsste ich jetzt lügen … Und die Vorletzte ist mit dem Direktor meiner Bank durchgebrannt. Frauen waren ein Schwachpunkt in meinem Leben. Wissen Sie, wie oft ich verheiratet war?

Viermal. Und dazwischen waren Sie mit Eva Deissen liiert. Ein Macho und eine Feministin, wie ging das?
Ich war kein Macho, ich habe die Frauen eher vernachlässigt. Und sie war, glaube ich, auch keine Feministin. Zur Institution der Ehe hatte ich übrigens ein gestörtes Verhältnis.

Dafür waren Sie aber oft verheiratet.
Dafür waren Sie aber oft verheiratet. Guter Einwand! Warum habe ich viermal geheiratet? Weil's die Frauen wollten und weil ich ein Trottel war.

Wollten Sie nie Kinder?
Nein, ich danke Gott jeden Tag, dass ich keine habe, muss allerdings festhalten, dass ich kein gläubiger Katholik bin. Außerdem könnte ich mich noch immer nicht entscheiden, wie man ein Kind erzieht.

Vermissen Sie etwas?
Ich vermisse eigentlich nichts, was vorbei ist: „Krone“, Tiefseetauchen, Tennisspielen, Radfahren. Das wäre ja auch alles viel zu anstrengend heute.

Wie sieht Ihr Alltag heute aus? Sind Sie manchmal einsam hier?
Nein, ich bin gern allein mit meinem Festnetzanschluss. Ich besitze weder Computer noch Handy, allein das Wort finde ich schon absurd. Und ich versorge mich selbst. Eine Bedienerin kommt, das schon. Kochen habe ich vor langer Zeit aufgegeben. Ich esse nur noch kalt, eigentlich jeden Tag dasselbe. Sechs Knäckebrotscheiben. Vier davon mit Butter, eins mit Schafkäse, eins mit Tsatsiki. Dazu schwachen Kaffee. Ich will gar nichts anderes.

Wie werden Sie Ihren Geburtstag feiern?
Gar nicht. Ich lasse ja niemanden herein, Sie sind eine absolute Ausnahme. Das schönste Geschenk wäre eigentlich für mich, wenn man meinen Geburtstag nicht beachten würde.

Wie lange soll es noch weitergehen?
Zwei, drei Jahre. Da lasse ich mein Leben langsam ausklingen.

Wie stellen Sie sich das Ende vor?
Hoffentlich ohne Schmerzen, aber das liegt ja nicht in meiner Macht. Schnell sterben wäre nett. Idealerweise in der Nacht. Einfach am Abend einschlafen und in der Früh nicht mehr aufwachen.

Was soll einmal auf Ihrem Grabstein stehen?
Es wird keinen Grabstein geben. Ich habe meine Verbrennung verfügt. Die Asche wird im Wienerwald in einer abbaubaren Urne vergraben. In sechs bis acht Jahren ist nichts mehr von mir übrig.

Macht Sie dieser Gedanke nicht traurig?
Nein, das finde ich entzückend. Und es ist ein Schicksal, das ich mit Milliarden Lebewesen auf der Welt teile.

Nur Ihre Kolumnen sind noch da.
Ich habe keine einzige aufgehoben. Aber natürlich war Kolumnenschreiben lustiger als im Steinbruch zu arbeiten.

Wann waren Sie in Ihrem Leben am glücklichsten?
Das war komischerweise, als ich, der überhaupt nichts von Wein versteht, einmal einen besonders guten Wein aus der Südsteiermark getrunken habe. Ich war allein in meinem Haus und nahm einen Schluck und dachte, das ist ja ein wunderbarer Wein. Ich war ganz ausgeglichen, die Stimmung war gut, ich war einfach grundlos glücklich.

20. Dezember 2020, erschienen in der KRONE