Sie ist der Star der Salzburger Festspiele: Mit Conny Bischofberger sprach die russische Sopranistin Anna Netrebko über Disziplin und Dirndl, Paparazzi und Putin und ihr Leben ohne Mails und Web.
Schloss Fuschl, Präsidentensuite, Warten auf die Primadonna. An den Wänden hängen barocke Engel des französischen Malers Jean Baptiste Pierre, ein offener Kamin und ein Steinway-Flügel verstärken den himmlischen Eindruck (hier träumte kürzlich die Prinzessin von Dubai, und Chinas Präsident Hu Jintao mietete das fürstliche Gemach gleich samt dem ganzen Schloss).
„Hello-o!“ Anna Netrebko erscheint in einem bodenlangen pinken Sommerkleid. „Ich habe es bei Heidi Klum gesehen und gleich nachgeshoppt“, erzählt sie, als würden wir uns schon lange kennen. Ihr schwarzes Haar hat sie zu zwei Mädchenzöpfen geflochten, dazu trägt sie eine Häkelmütze.
Bevor es losgeht, reißt sie die Fenster auf. „Ist das nicht wunderschön?“ Da steht die umjubelte Mimi aus „La Boheme“, der Star der Salzburger Festspiele, und blickt auf den smaragdgrünen Fuschlsee. Hier im Hotel (nicht in der Präsidentensuite) wohnt sie während der Salzburger Festspiele mit Erwin Schrott und Söhnchen Tiago. Der Kleine lerne gerade schwimmen, verrät sie.
Sie spricht dieses süße rrrussische Englisch, in dem Erwin wie Ärrwinn klingt. Dazu rollt sie oft ihre dunklen Augen oder malt ihre schwarz lackierten Nägel mit ihren Fingern noch einmal nach.
Frau Netrebko, Ihr Auftritt als tätowiertes Punkgirl wurde zum Highlight der Salzburger Festspiele. Auch im Fernsehen sahen mehr als 500.000 Menschen „La Boheme“. Was genau ist es, das Sie zum Star macht?
Ich habe nicht die geringste Ahnung. - Lacht. - Aber ich bin sehr glücklich, dass so viele Menschen die Oper lieben. Was mich betrifft, versuche ich, bei jeder einzelnen Vorstellung hundert Prozent und mehr zu geben...
Hundert Prozent wovon?
Von meiner Stimme, von meiner Emotion. Aber auch das Schauspiel ist sehr wichtig. Wissen Sie, wie oft ich schon die Rolle der Mimi gesungen habe? Aber diese Inszenierung ist komplett anders, sehr modern. Da genügt es nicht, sich Punk-Klamotten und eine Lederjacke anzuziehen. Da muss ich auch aufhören, wie eine Opernsängerin aus dem 19. Jahrhundert zu spielen und mir überlegen, wie dieses Mädchen als moderner Charakter funktionieren kann. Es steckt viel Arbeit dahinter, das glaubwürdig zu spielen.
Sie zeigen auf der Bühne sehr starke Gefühle. Wo kommen die her?
Von hier! - Klopft sich auf Brust und Bauch. - Sie müssen direkt aus der Seele kommen, damit sie die Zuschauer berühren.
Ist die Anwesenheit des Publikums dabei nicht ein Störfaktor?
In diesem Moment nehme ich das Publikum gar nicht wahr, ich konzentriere ich mich voll und ganz auf meinen Partner und die Gefühle, die ich ausdrücken möchte. Ich leide, ich schwitze, ich huste, ich sterbe. Es ist alles echt. Das Publikum irritiert mich niemals, denn ich liebe mein Publikum.
Ist das wie eine Sucht?
Ja. Auch wenn es Tage gibt, an denen ich müde bin oder einfach nicht singen, sondern lieber zuhause bleiben und ein Glas Wein trinken möchte, so motiviere ich mich doch immer wieder selber. Sobald ich dann auf der Bühne stehe, hat es sich tausendfach gelohnt. Danach bin ich total erschöpft, weil ich meine ganze Kraft und Energie eingesetzt habe. Besonders um die lauteren Töne zu singen, ist die Kraftanstrengung groß. Um die langen Phrasierungen zu meistern, brauche ich auch eine totale Kontrolle über meine Atmung. Während so einer Vorstellung verliere ich mehr als ein Kilo.
Letzte Diva, Donna Anna, Aushängeschild des Opern-Revivals: Wie klingt das alles für Sie?
Ich hoffe nicht, dass ich die letzte Diva bin. Das wäre traurig. - Grinst.
Sind Sie eine Diva?
Wenn die Presse mich so nennen will, okay! Meinetwegen. Besonders in Salzburg musst du manchmal eine Diva sein. Wie sehe ich aus? Wie ist mein Make up? Passt mein Outfit? Schließlich kann an jeder Ecke ein Fotograf lauern. Arme Popstars! Die müssen die ganze Zeit so leben. Das ist ein großer Druck.
Ihr Verhältnis zu den Paparazzi?
Ich liebe sie!
Fühlen Sie sich als Teil der Salzburger Society?
Hm... Ich gehe zu fast keinen Partys. Seit ich eine Familie habe, verbringe ich die Zeit am liebsten mit Erwin und Tiago. Aber wenn es ein wichtiges Abendessen gibt und mich Herr Pereira bittet, hinzukommen, dann mache ich das gerne. Kein Problem.
Haben Sie die Leute tuscheln gehört über den Intendanten und seine brasilianische Freundin und Playboy-Fotos?
Natürlich reden alle darüber. Ich habe auch mitbekommen, dass es großes Thema in manchen Zeitungen ist. Ich finde nichts dabei. Sie ist jung und wunderschön. So what? Hauptsache, sie sind glücklich.
Stimmt es, dass Sie computerlos glücklich sind?
Das ist richtig. Ich weiß nicht einmal, wie man einen Computer einschaltet. Ich habe auch keine E-Mail-Adresse. Und meine Website hab' ich selber nie gesehen.
Schreiben Sie auch keine Mails auf Ihrem Smartphone?
Nein, nie. Nur Erwin schreibt Mails und surft im Internet. Einmal hat er mich gegoogelt. Ich sagte: Oh Gott, so viele Einträge! Irgendwo stand: Die Netrebko ist richtig fett geworden und hat überhaupt keine Stimme. Seither weiß ich, dass es besser ist, auf den Computer zu verzichten. Ich lese diesen ganzen Blödsinn einfach nicht. Erwin schon, und manchmal wird er dabei wütend. Dann sage ich: Stopp! Sowas brauchst du dir doch nicht anzutun! Das raubt nur Energie.
Was bedeutet für Sie beide eigentlich Heimat?
Wir sind Zigeuner. Heimat ist für uns dort, wo wir als Familie zusammen sind. Ich bin am glücklichsten, wenn meine Familie bei mir ist und ich bin extrem unglücklich, wenn sie nicht da ist. Zum Beispiel jetzt. - Ihre Augen füllen sich mit Tränen. - Egal wohin wir reisen, wir basteln aus jedem Hotelzimmer ein Zuhause. Aber die meiste Zeit leben wir in Wien. Immer wieder auch in New York.
Sie sind Russin, Erwin ist Südamerikaner. Was wird Tiago sein?
Momentan ist er noch etwas verwirrt, weil ich russisch spreche, sein Vater spanisch, gemeinsam sprechen wir Englisch und er geht in den russisch-deutschen Kindergarten. Aber in ein paar Jahren wird er viersprachig unterwegs sein, also ein echter Österreicher sein. - Lacht.
Apropos Österreicher: Wie sieht es eigentlich mit Ihrem Deutsch aus? Sie sind ja auch seit sechs Jahren eingebürgert.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich die Sprache nur sehr langsam lerne, weil jeder automatisch Englisch mit mir spricht.
Für andere Migranten sind Deutschkenntnisse Pflicht. Sie bekommen auch keine Doppelstaatsbürgerschaft wie Sie. Finden Sie das nicht ein bißchen ungerecht?
Es war so unglaublich nett von diesem Land, mich zur Österreicherin zu machen, ohne dass ich meine russische Staatsbürgerschaft aufgeben musste. Vielen Dank! Mit mir war man nicht so streng. Ich muss natürlich Deutsch lernen. Ich werde es lernen. Versprochen!
Was ist österreichisch an Anna Netrebko?
Ich liebe die Kultur, ich bete Wien regelrecht an. Abgesehen von den Ladenöffnungszeiten und den vielen Feiertagen ist Wien für mich die perfekte Stadt. Was ist österreichisch an mir? Ich kann Palatschinken backen und Tafelspitz kochen. Nur die Wellen vom Wiener Schnitzel gelingen mir noch nicht so recht.
Dafür tragen Sie schon Dirndl. Mit welchem Gefühl?
Ich habe das lange Zeit vermieden, weil es mir wie eine Verkleidung vorgekommen wäre. Dann hat eine Designerin ein Dirndl für mich angefertigt. Ich habe es an dem Tag getragen, an dem ich mit Tiago zum Magistrat gegangen bin, um ihm einen Pass ausstellen zu lassen. Da dachte ich mir: Okay, das ist jetzt der Österreich-Moment. Und ich habe ihn geliebt.
Was trug Ihr Sohn?
Eines dieser bestickten Leinenhemden. Er besitzt auch eine Lederhose.
Singen Sie Ihrem Sohn manchmal ein Schlaflied?
Nein, denn er mag nicht, wie ich singe.
Planen Sie Geschwister für Tiago?
Ich weiß es nicht. Ein Kind zu haben und einen Beruf, den man mit so viel Leidenschaft macht, ist sehr schwer. Wie schwer muss es erst mit zwei Kindern sein. Aber ich muss mich bald entscheiden.
Frau Netrebko, Sie haben überraschender Weise Wladimir Putin bei seiner Wiederwahl unterstützt. Warum?
Weil ich glaube, dass er zur Zeit der beste Mann für Russland ist. Egal ob man ihn mag oder nicht, Russland braucht einen starken Mann wie ihn.
Ein Mann, der Angst vor einer Girlie-Band hat und ein paar Mädchen einsperrt, weil sie ihn öffentlich kritisiert haben?
Pussy Riot hätten das nicht in einer Kirche machen sollen. Putin musste ein Zeichen setzen, denn sonst würden alle anfangen, auf den Altären herumzuhüpfen.
Klingt, als wären Sie eine Hardlinerin.
Ich bin weit weg von Politik. Das ist nicht mein Geschäft. Aber ich bin Russin. Dieses Land mit seiner ganz besonderen Geschichte braucht eine starke Führung, keine schwache, die die Augen schließt, während andere regieren, ihre Macht missbrauchen und sich selbst bereichern. Auch keine Pseudo-Demokratie, denn das würde nur zu einem großen Chaos führen.
Könnten Sie sich vorstellen, wieder in Russland zu leben?
Ja, sicher. Ich brauche nur zwei Dinge, um in einem Land zu leben: Meine Familie und meinen Job.
Denken Sie noch manchmal an die Zeit zurück, als Sie im Marientheater in St. Petersburg die Böden geschrubbt haben?
Natürlich. Das war während meines Studiums, ich hatte weder Geld noch genügend zu essen, es war bitter kalt und es gab kein heißes Wasser. Wir Studenten lebten wie Bohemiens, unser Zufluchtsort war das Theater. Als Putzfrau konnte ich 24 Stunden am Tag dort verbringen, alle Vorstellungen sehen. Es war eine wundervolle Zeit. Nie mehr habe ich danach so viel gesehen und so viel gelernt. So gesehen war's der beste Job meines Lebens.
Wann waren Sie zuletzt in Russland?
Anfang Juli für zwei Tage. Ich habe meinen Vater besucht, weil er krank war. Und ich habe meinen russischen Freundinnen meine gesamte Garderobe geschenkt.
Rausgewachsen?
Danke, sehr lieb. Nach der Geburt spielte ich kurz mit dem Gedanken, eine Diät zu machen mit dem Risiko, vielleicht depressiv und traurig zu werden. Aber dann sagte ich mir: Ich bin gesund, ich habe keine Falten, keine Zellulite, ich fühle mich fantastisch, mein Mann liebt mich so, wie ich bin. Es ist alles nur eine Frage der richtigen Kleidergröße.
12. August 2012, erschienen in der KRONE