"Ich habe das Elfenbein auf der Stimme nie verloren"
Montserrat Caballé

zurück zur Übersicht

Die Garderobe der Sopranistin ist karg und halb leer. Ein Tisch, zwei Sessel, eine Schale mit frischem Obst, Mineralwasser. An der Wand hängt ihr Mantel. Kein Spiegel, kein Make-up. Von draußen klingt Probengesang in den Raum. Montserrat Caballé lehnt den Gehstock an die Tischkante und sinkt auf den harten Stuhl. „Mein Knie.“ Trotz mehrfacher Operationen tue es meistens weh. „Aber auf die Bühne gehe ich nicht mit dem Stock“, erklärt die spanische Sängerin trotzig – in perfektem Deutsch.

Was sollen wir miteinander reden? fragen ihre dunklen, stechenden Augen. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet. Das Dekolleté hält eine riesengroße, glitzernde Brosche zusammen, an beiden Händen trägt Señora gewaltige Ringe, und auch ihre Ohrringe glitzern wie Sterne am Nachthimmel. Montserrat Caballé, der Opern-Weltstar, wird 75 Jahre alt. Am 26.März tritt sie im Wiener Konzerthaus auf, um diesen runden Geburtstag „im musikalischen Herz Europas“ zu feiern. „Letztes Jahr schon haben die Philharmoniker nach unserer Vorstellung „Happy Birthday“ für mich gespielt. Ich habe so geweint ...“ Reden wir also über die Zahl 75, über die Bilanz einer mehr als 50-jährigen Bühnenkarriere, über Wünsche an das Leben. Und über die Weisheit des Alters.

Frau Caballé, ist 75 nur eine Zahl?
Das ist mein Alter. Und weil es eine schöne Zahl ist, wird mein Geburtstag auch bei einem Konzert gefeiert, das ich gemeinsam mit meiner Tochter gebe, zuerst in Wien, dann in andern europäischen Ländern. Es wird etwas ganz Spezielles für die musikalische Welt sein, und vor allem für mich.

Wie alt fühlen Sie sich?
Ich fühle mich so alt wie ich bin: Nicht jünger, aber auch nicht älter. Ich bin glücklich, 75 zu sein und noch dazu singen und reisen zu können. Ich bin glücklich über jeden Tag, der kommt. Für mich ist das Leben, das stattfindet, schon passé. Es ist das Heute und das Morgen, das mich interessiert. Ich mag nicht von Erinnerungen leben.

Es gibt Kritiker, die an Ihrer Stimme herummeckern. Wird vielleicht auch eine Stimme älter?
Natürlich! So wie die Haare grau werden, die Falten stärker, so wird auch die Stimme älter. Ich singe nicht mehr wie vor 30Jahren. Aber ich sage immer, wichtig ist es, den Klang zu behalten. Ich habe das Elfenbein auf Meiner Stimme nie verloren. Das hat auch damit zu tun, dass ich immer Partien gesungen habe, die zu meinem Charakter und zu meiner Stimme gepasst haben.

Wie pflegen Sie Ihre Stimme?
Ich singe nicht in der Badewanne, wenn Sie das meinen, weil die Fliesen ein viel zu starkes Echo machen. Aber ich übe täglich 10 bis 14 Minuten, hauptsächlich Atemgymnastik. Nicht länger. Singen ist eine Sache des Atmens. Meine Lungen sind trainiert wie die eines Tauchers.

Wenn Sie Ihre Karriere Revue passieren lassen, was ist dann wirklich wichtig?
Ich liebe meinen Beruf, die Musik und das ganze Leben, dass ich durch die Musik erreicht habe. Aber ich habe nie vergessen, dass die Musik mein Beruf ist und das Leben etwas anderes. Ich mache zum Beispiel nach den ganzen Konzerten zu meinem Geburtstag eine kleine Weltreise mit meiner Familie, wir fahren nach Japan, New York, San Francisco und Washington. Für sie bin ich hier auf dieser Welt und vielleicht habe ich deshalb mit 75 so viel Kraft.

Sie haben Kinder und Karriere immer verbunden. Was wünschen Sie Ihrer Kollegin Anna Netrebko, die ein Kind erwartet?
Das ist fantastisch! Anna ist eine großartige Sängerin, sie wird mit dem Kind noch schöner singen.

Es gibt die Ansicht, ein Kind könne auch die Stimme einer Opernsängerin verändern.
Nein, wenn die Technik gut ist und die Stimme da ist, was bei Anna ja der Fall ist, dann wird die Stimme reizend wie immer sein. Nur die Seele, die wird reicher sein. Ich spreche aus Erfahrung: Mein Sohn hat mir 1966 viel Kraft gegeben, weiterzumachen. Und meine Tochter, fünf Jahre später, genauso.

Sind Sie mittlerweile schon Großmutter?
Nein, meine Tochter hat sich scheiden lassen. Und mein Sohn, er findet keine Frau wie Mama, sagt er! Er lebt in New York.

 

Ihre Tochter ist auch Opernsängerin und trägt denselben Namen wie Sie: Ist es etwas anderes, mit ihr auf der Bühne zu stehen?
Als man uns am Anfang gefragt hat, zusammen zu singen, war es eine große Überraschung. Aber nach Unserem Debüt in der Staatsoper von Hamburg waren die Leute neugierig auf Mutter und Tochter und wir haben überall ein bisschen gesungen. Jetzt singen wir nicht mehr sooft zusammen, weil sie viele Vorstellungen in Opern hat und auch viele Konzerte allein. Es ist jedes Mal eine große Emotion, mit meiner Tochter zu singen – ich hätte das nie gedacht.

Apropos Emotion: Sie bezeichnen Wien immer als „musikalisches Herz Europas“. Welches Gefühl verbinden Sie mit dieser Stadt?
Wien ist mein Fetisch. 1959 war ich das erste Mal da und habe mit Erfolg in der „Salome“ und in „Il Pagliacci“ gesungen, die Direktion wollte mich fest engagieren. Josef Krips, einer der Hausdirigenten, fragte mich, was ich an Alternativen hätte. Wenn Sie in Wien bleiben, sagte er, werden Sie vielleicht die fünfte Besetzung sein und singen, wenn jemand krank wird. An Ihrer Stelle würde ich ein Theater wählen, wo Sie die Möglichkeit haben, jeden Abend Repertoire zu singen: Das ist es, was Sie brauchen. Und so ging ich nach Bremen.

War es ein guter Rat?
Ja. Ich kann Professor Krips gar nicht genug danken. Denn durch diese zwei Jahre in Bremen habe ich so viele Partien gelernt, die für mein Fach wichtig waren. In den Jahren darauf habe ich immer an diesen Mann gedacht. Er ist der Grund dafür, dass Wien mein Fetisch ist.

Karajan, der damals Operndirektor war, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Ganz fantastische, wirklich. Mit ihm zu singen war immer eine Meisterklasse. Und ich hätte mehr mit ihm singen wollen. Ich habe einmal eine Rolle abgesagt, er wollte absolut, dass ich sie singe. Aber ich konnte nicht, ich war an der Met. Und er wollte auch, dass ich abnehme.

Im Ernst?
Ja, zehn Kilo, für „Don Giovanni“. Ich wog damals 72 Kilo und fand mich wunderschön. Also weigerte ich mich. Es hieß, ich könnte ja in der übernächsten Saison etwas anderes singen. Ich sagte: Gern. Aber dann wiege ich zehn Kilo mehr und bin 10.000 Dollar teurer. Karajan war stinksauer.

War Ihr Gewicht nie ein Problem für Sie?
Nein, weil ich ohnehin wusste, dass ich aufgrund eines Stoffwechseldefektes nicht dünner werden kann – ich verbrenne nur halb so viel Fett, wie ich sollte. Deshalb bin ich seit vielen Jahren Vegetarierin. Ich kann Fleisch nicht verdauen. Heute wiege ich 102 Kilo. Der Vorteil daran ist, dass Dicke nicht so viele Falten bekommen!

Nie an eine kleine Fettabsaugung gedacht?
Nein, um Gottes willen! Ich bin ganz wie ich geboren bin. Frauen, die an sich herum schneiden lassen, haben kein Glück im Leben.

Was bedeutet Luxus für Sie?
Ich verdiene nicht so viel, ich bin kein Tenor.

Wie dürfen wir das verstehen?
Auch an den Opern gibt es keine Gleichberechtigung. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer. Vielleicht, weil Singen für einen Mann viel schwerer ist.

Ist das so?
Ja, denn eine Frau hat von Natur aus einen Sound. Männer müssen durch den Stimmbruch gehen und später auch härter studieren als Frauen, um den Klang nach oben zu bringen. Ich nehme an, darum bezahlt man ihnen mehr.

Auch wenn Sie weniger verdienen als männliche Kollegen, es ist doch eine ganze Menge.
Ich habe immer gut verdient, ich habe ein gutes Leben – ich kann nichts anderes sagen. Meine Kinder konnten schön studieren, beide konnten Karriere machen. Wir haben einen Park, wir haben zwei Häuser, zwei Foundations für Kinder. Viele Konzerte, die ich mache, gehen zugunsten dieser Foundations. Aber ich besitze weder ein Flugzeug noch ein Boot. Luxus bedeutet für viele, nicht an jene zu denken, denen es schlechter geht und dieser Gedanke tut mir weh.

Frau Caballé, sie hatten Krebs. Wie geht es Ihnen heute mit dieser Krankheit?
1985 entdeckten die Ärzte einen Gehirntumor bei mir. Sie hatten Angst, dass er bösartig sein könnte. Aber das war 1985, und ich sitze noch immer da.

Wie haben Sie den Tumor behandelt?
Ich habe damals mit Luciano Pavarotti an der „Met“ in New York gesungen – ich vermisse ihn so sehr. Er sagte: Mach dir nicht so viel Sorgen, fahr’ erst mal nach Hause. Ich ließ mich also nicht in New York operieren, ich war einfach innerlich nicht bereit. Später flog ich nach Zürich und machte eine Lasertherapie. Mittlerweile lebe ich schon seit 23 Jahren mit meinem Tumor. Seit ich ihm lebenslanges Wohnrecht gewährt habe, ist er nicht mehr gewachsen. Er ist nicht an meine grauen Zellen gegangen. – Lacht. – Ich betrachte ihn heute wie einen Freund.

Glauben Sie daran, dass es nach dem Leben weitergeht?
Wir haben nicht das Glück, die Einzigen zu sein in diesem Universum. Es ist nicht nur für uns, für die kleine Erde gemacht. Deshalb glaube ich an ein anderes Leben und an einen anderen Platz, ganz sicher.

9. März 2008, erschienen im KURIER