In der Kunst gibt es keine Diplomatie
Sunnyi Melles

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Unsere Interviewanfrage erreicht Sunnyi Melles am späten Nachmittag auf der Autobahn von Graz, wo sie sich für eine Flüchtlings- Initiative porträtieren ließ, nach München. Sie lenkt ihr Auto auf die Tankstelle und nicht einmal 15 Minuten später poppt das Okay auf. Absender: Prinzessin zu Sayn- Wittgenstein. Sie ist ihre eigene Agentin. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen um 7 Uhr. "Ich bin Eule und Lerche", höre ich sie am Telefon lachen, "stehe immer gegen vier, halb fünf Uhr schon auf. Ich liebe diese Ruhe in der Früh." Auch untertags könne sie jederzeit tief schlafen, erzählt sie mit verschwörerischer Stimme. Während unseres Interviews geht Sunnyi Melles mit ihrem iPhone in der Münchner Wohnung auf und ab und trinkt zwischendurch Kaffee aus ihrem FC Bayern- Thermobecher.

"Dallas für Geistesgestörte" nennt der Autor und Regisseur die Seifenoper "Altes Geld": Man hasst sich, alle sind Arschlöcher, das Publikum gruselt. Warum spielen Sie bei so was mit?
Weil es eine Wahnsinnsehre für mich ist. Der Wunsch, mit David Schalko zu drehen, war immer da. Als er mich gefragt hat, kam mir das vor wie Woody Allen, der Cate Blanchett gesucht hat. Er ist für mich ein Wortkomponist, ein Philosoph. Ich vergleiche ihn oft mit Shakespeare und Goethe, auch mit Kant und Schopenhauer! Er unterhält nicht nur, er gibt Denkanstöße. "Liebe ist etwas für den Mittelstand" ist so ein Satz, den der geprägt hat. David gelingt es, mit Poesie zu provozieren.

Glauben Sie, dass die Serie ein Skandal werden wird?
Ich finde es unglaublich mutig und innovativ von Kathrin Zechner, das um 20.15 Uhr, zur Primetime, zu senden. Man kann es sich ja auch downloaden, meine Kinder haben das schon gemacht. Viele, mit denen ich über "Altes Geld" gesprochen habe, sagen, dass sie es sich immer wieder anschauen. Der Sog des Provozierens und Irritierens hält bis zum Schluss an.

Da begibt sich ein todkranker Milliardär auf die Jagd nach einem Spenderorgan, und Sie spielen seine grausame Ehefrau. Mögen Sie böse Märchen?
Was in dieser Familie passiert, kann in jeder sozialen Schicht passieren. Ob es um zehn Euro oder um zehn Millionen geht: Jeder von uns denkt jeden Tag an Geld, jeden Tag macht es uns glücklich oder traurig. In "Altes Geld" wird - auch mit viel Humor - gezeigt, was für ein Geschwür die Macht sein kann.  Auch der Eros. Liebe kann aufbauend sein oder zerstörerisch. Da sagt mein Mann: "Der, der mir eine Leber gibt, bekommt mein ganzes Geld." Schalko setzt hier Stacheln ein wie bei Shakespeare. Da gibt es auch viele Leichen, es tun sich Abgründe auf und Menschen sind zu allem bereit. Märchen zeigen diese Niederungen, aber auch unsere Sehnsucht und deshalb - ich will die letzte Szene jetzt nicht verraten - kommt am Schluss die Erlösung.

Wie haben Sie sich mit der Rolle dieser Ehefrau arrangiert?
Man muss in die eigenen Niederungen hinuntersteigen, Bösartigkeit zulassen. Dem Zuschauer das Gefühl geben: Ja, ich verstehe diese Frau, ich kenne das auch. Ich muss wie durch eine Nabelschnur mit dieser Figur verbunden bleiben. Wenn ich mich von ihr distanzieren würde, dann wird sie verraten. Deswegen bin ich Schauspielerin geworden: Um zu zeigen, dass kein Mensch vor Gier und Eifersucht und Häme gefeit ist, dass wir diese Gefühle aber im realen Leben beherrschen können.

 

Waren Sie manchmal froh, aus dieser kaputten Milliardärsfamilie in Ihre eigene Familie zurückzukehren?
Je schwieriger die Situation beim Drehen wird, je herausfordernder die Rolle, umso mehr beschenkt und bereichert man sich auch gegenseitig. Als Schauspielerin trägt man das alles nach Hause. Positives, Negatives. Gute  Kritiken, und schlechte. Ich lese eh alles.

Sie rauchen sehr viel in dieser Serie, sind privat aber Nichtraucherin. Ein Problem?
Überhaupt nicht. Ich kann auch sehr gut eine Besoffene spielen, obwohl ich privat nie Alkohol trinke. Ich möchte auch immer alle bekehren. Während dem Drehen schlage ich den Rauchern vor, doch lieber eine Monopoly- Pause zu machen. Das kommt daher, dass ich jeden Menschen vor dem "Tödlichen" schützen möchte. Eine Art Mutter- Instinkt.

Die Rolle des Patriarchen sollte ursprünglich Gert Voss spielen, er ist während der Dreharbeiten gestorben. Wie war Ihre letzte Begegnung mit ihm?
Da gab es einen Moment, wo ich ihn buchstäblich retten wollte, wo Frau Rauchensteiner plötzlich sagt: "Nein, ich möchte nicht, dass er stirbt." Mit Gerts Tod hat die Realität die Fiktion eingeholt. Ich habe da einen Schmerz erlebt, der mich sehr mit ihm verbindet, der mir viel Kraft gegeben hat. Ich war Gert in dieser Zeit als Mensch sehr nah, und dafür danke ich ihm. Seine Seele schwebt in diesem Film noch mit.

In "Altes Geld" spielt auch ein betrunkener Wiener Bürgermeister mit. Macht das nicht befangen?
Nein, sonst müsste sich ja auch jeder König angesprochen fühlen, wenn er Macbeth sieht. Es gibt viele Bürgermeister und es gibt viele Könige. Das sind wichtige menschliche, politische Themen. Ich sage immer: Kunst und Diplomatie vertragen sich nicht. In der Kunst gibt es keine Diplomatie. Da muss man oft überzeichnen oder auch abschwächen. Nicht in allen Ländern gibt es diesen Kosmos der Gedankenfreiheit, in dem es möglich ist, "Altes Geld" im Fernsehen zu zeigen.

Wird diese Familiensaga etwas bewirken?
Ich bin davon überzeugt, sie wird jeden Zuschauer verändern…

Frau Melles, Sie sind eine Prinzessin zu Sayn- Wittgenstein. Durften Ihre Kinder zuhause mit Ketchup kleckern und Pommes mit der Hand essen?
Ich finde Manieren schön. Es darf jeder kleckern, aber er soll es auch wegwischen. Mir sind diese Gesten des Miteinanders wichtig, Respekt und kleine Aufmerksamkeiten.

Sind Sie stolz, eine Prinzessin zu sein?
Jede Frau ist eine Prinzessin. Ich bin eine Immigrantin, war 15 Jahre lang staatenlos, ohne Pass. Darum bin ich stolz auf das, was ich bin, dass ich meinen Mann und meine Kinder liebe, dass sie mir die Kraft für mein Leben und meinen Beruf geben. Speziell vor Auftritten denke ich an sie und an meine Mutter.

Was kommt als nächstes?
Ich möchte einen eigenen Film machen, mich neu erfinden. Für mich eine ganz neue Herausforderung.

31. Oktober 2015, erschienen in der KRONE