Ist der 1.August für Sie ein besonderer Tag?
Keine Ahnung, warum?
An diesem Tag vor 30 Jahren ist nicht nur die Reichsbrücke in Wien eingestürzt, da hatten Sie auch den Feuerunfall am Nürburgring.
30 Jahre . . . Ein Wahnsinn.
Wenn Sie das Foto vom Unfall betrachten, das brennende Rennauto, in dem Sie bewusstlos gelegen sind, was geht da in Ihnen vor?
Da kommen die Erinnerungen zurück. Nicht an den Unfall, ich hab’ ja dieses Feuer hier nie gesehen. Nicht an den Crash, den hab’ ich ja nicht mitbekommen. Sondern an die Zeit danach, als ich nur eins wollte: Wieder Autorennen fahren. Ich musste meine Angst mit mühsamen Konzepten wieder in den Griff kriegen.
Was ist denn Ihre erste Erinnerung nach dem Unfall?
Ich liege reglos in der Klinik und versuche, um nicht wegzukippen, den Ärzten zuzuhören. Was die reden, ist nicht sehr erbauend. Wenn wir dem nicht sofort Sauerstoff geben, dann ist er tot. Als ich wieder sprechen konnte, habe ich den Ärzten gesagt: Passt’s doch ein bissel auf, was Ihr da sagt, wenn da ein sensibles Bürschchen liegt, dann stirbt er euch weg!
Die BILD-Zeitung schrieb damals: „Der Mann ohne Gesicht“.
Ich hatte mehrere Haut-Transplantationen, vom rechten Oberschenkel ins Gesicht. Und einen angeschwollenen riesigen Kopf, der steckte wie eine Wassermelone direkt auf meinen Schultern. Als ich in den Spiegel geschaut hab’, sah ich keinen Hals und keine Nase, nur einen weißen Verband und zwei kleine Schlitze, die meine Augen waren. Ich konnte sie nur durch Auseinanderziehen öffnen. Die Krankenschwester sagte: 800 Grad. Das macht die Hitze von 800Grad.
Wenn Sie heute Feuer sehen, macht Ihnen das was?
Überhaupt nicht. Der Willy Dungl, der mich nach dem Unfall fit gemacht hat, wollte das herausfinden. Er zündete bei mir daheim ein Feuer an im Kamin und sagte: Schau eini, Niki! Ich hab reingeschaut, da rührte sich nichts. Auch das Feuer auf dem Foto hier ist mir wurscht.
Wie gingen Sie damals mit Ihrem veränderten Aussehen um?
Ich hab’ mich dran gewöhnt. Zu Hause in Salzburg hab’ ich den Test gemacht. Ich setzte mich ins Wohnzimmer und sagte der Marlene, hol den Wastl rüber. Der Wastl ist unser Nachbar, ein g’standener Salzburger Bauer mit Virginiaim Mundwinkel und Steirerhut am Kopf. Er kam, sah mich und schaute sofort auf den Boden. Da hab’ ich gewusst: Wenn’s schon den Wastl, diesen erdverbundenen Menschen vom Land, reißt, dann kann ich mich mit dem Gesicht nie wieder in die Stadt trauen.
Haben Sie sich damals Ihr legendäres Kapperl zugelegt?
Ja, aber ursprünglich deshalb, weil der Kopfverband nicht gehalten hat. Der ist immer nach oben gerutscht. Die Idee hatte der Willy Dungl, er sagte: Probier’s mit einem Kapperl, das hält uns den Verband zusammen.
Seither ist das Kapperl Ihr Markenzeichen.
Ja. Es gab Journalisten, die jahrelang nur eins wollten: Dass ich das Kapperl abnehm’. Das war für die ungefähr so wichtig, wie wenn eine schöne Frau sich für den Playboy auszieht. Es ist schon eigenartig, hab’ ich mir gedacht: Dass es Menschen gibt, die unbedingt unter mein Kapperl schauen wollen, weil sie glauben, ich verberge da etwas.
Aber?
Für mich hat es einfach keinen Sinn gemacht, den Zombie noch speziell raushängen zu lassen, was ohne Kappe der Fall wäre. Der Schädel schaut noch immer kahl aus, es wachsen nur links ein paar Haare, auf der rechten Seite ist garnix mehr.
Ist Ihr rotes Kapperl, auf dem viele Jahre „Parmalat“ stand, heute „Viessmann“, auch eine Art Schutz?
Ja, ohne Kapperl fühle ich mich bis heute nackt, den blöden Blicken irgendwie ausgeliefert. Es gibt ja Menschen ohne jedes Gespür, die starren sekundenlang ungeniert auf mein verbranntes Ohr. Also wenn ich einen Menschen mit einer Behinderung treff’, dann schau ich ihm direkt in die Augen. Kinder tun das. Und dann fragen Sie: Niki, warum hast du nur ein halbes Ohr? Und dann sag’ ich ihnen, warum und alles ist in Ordnung.
Der weltberühmte brasilianische Schönheitschirurg Professor Pitanguy sagte damals über Niki Lauda: Er war ein verwundeter Held.
Verwundet stimmt. Pitanguy hat mein rechtes Auge operiert, weil die Narbe so gezogen hat. Er wollte noch weitere Korrekturen vornehmen, ich war für ihn das ideale Versuchskaninchen. Aber ich hab’s ihm verboten. Ich wollte kein schönes, ich wollte nur ein funktionierendes Gesicht.
Und der Held?
Ich bin sicher kein Held. Ich habe nur viele Chancen, die mir das Leben geboten hat, optimal genützt. Extreme Erfahrungen nützen dir noch mehr.
War der Unfall für Sie nicht die größte Tragödie Ihres Lebens?
Nein, die größte Tragödie war sicher der Flugzeugabsturz der Lauda-Air über dem Dschungel von Thailand. Der Unfall, den ich im Gegensatz zur Flugzeugkatastrophe selbst verschuldet habe, hat mein Leben in drastischer Weise verändert. Er hat mich gezwungen, dieses Ereignis Stück für Stück aufzuarbeiten. Hätte ich das nicht mit aller Konsequenz gemacht, dann würde ich heute vielleicht beim Anblick dieses Fotos in Tränen ausbrechen, keine Ahnung. So ist es ein längst abgeschlossenes Kapitel meines Lebens.
Wenn Sie in einem Satz sagen müssten, wie Sie es abgeschlossen haben, wie würde der lauten?
Das ist relativ einfach. Ich habe das Problem analysiert und ich habe es bekämpft.
Wie hieß das Problem?
Das Problem war die Angst. Ich hatte ja keinen kleinen Autounfall, ich bin quasi vom Totenbett auferstanden.
Irgendwann saß ich daheim in Salzburg, noch immer Blut am Kopf, und schaute hinunter auf den Fuschlsee. Ich glaube, es lief gerade ein Randy-Newman-Song, da hatte ich das Gefühl, ich bin motiviert, es geht wieder. Trotzdem musste ich mit dem extremen Druck, den ich mir selber auferlegt hab’,
fertig werden. Und wieder Sicherheit bekommen. Da hat mir Willy Dungl sehr viel geholfen.
Ihr Lebensmensch?
Ganz bestimmt. Er ist für mich in der ersten Zeit nach dem Unfall Wurzeln ausgraben gegangen. Das hat schon den Kreuzrittern geholfen, meinte er. Daraufhin konnte ich wieder schlafen, und über meinen Ohren, die nur rohes Fleisch waren, wuchs nach zwei Wochen wieder Haut.
Willy Dungl ist 2002 gestorben. Sind Sie noch mit ihm verbunden?
Wie? Mit eMail aus dem Jenseits? Bisher hab’ ich keins gelesen. Das ist so.
Sie glauben nicht an ein Weiterleben nach dem Tod?
Nicht bevor es bewiesen ist. Nein. Mit dem Tod ist es endgültig aus.
Haben Sie durch Ihre extremen Erlebnisse ein anderes Verhältnis zum Tod?
Nein. Der Tod ist etwas, das ich nicht verhindern kann, etwas Unumstößliches. Deshalb mache ich mir darüber keine Gedanken. Ich möchte nur eins nicht. Dass ich mir zum Zeitpunkt meines Todes den Vorwurf mache: Das hättest du noch machen sollen! Deshalb mache ich alles, was ich machen will, jetzt.
Mit dem Tod waren Sie auch konfrontiert, als im Mai 1991 eine Boeing der Lauda-Air über dem Dschungel von Thailand abstürzte. Der „Spiegel“ schrieb damals: „Der erschöpfte Niki Lauda ... wirkte mit seiner schmutzverschmierten Kleidung und seinen von einem Rennunfall herrührenden Brandnarben am Kopf fast wie der einzige Überlebende des Unglücks.“
Tatsächlich hat mich dieser Flugzeugabsturz ungleich mehr verletzt als mein Unfall. Der Nürburgring hatte in keiner Phase das Erdrückende dieser Katastrophe.
Sie sind ein sehr konstruktiver Typ, einer, der alles analysiert und sehr rational agiert. Kann Niki Lauda auch Gefühle zeigen?
Ich bin sogar ein äußerst emotionaler Mensch. Zwischenmenschlich sind meine Beziehungen absolut ungestört. Ich bin weder verhärmt noch verschlossen noch kalt. Die Birgit (Anm.: Laudas Freundin) sagt, du bist das kommodeste Kandl im Tagesbetrieb!
Über Birgit haben Sie gesagt: Sie ist meine Heldin.
Dass diese Frau hergegangen ist und mir, ohne nachzudenken, ihre Niere geschenkt hat, das ist einmalig und hat mich tief beeindruckt. Viele Beziehungen enden ja in täglichem Kleinkrieg, in tödlicher Langeweile. Mit Birgit ist das anders. Da haben zwei Menschenseelen ehrlich zueinander gefunden.
Sie werden bald 60: Kann Niki Lauda alt werden?
Ist doch das Natürlichste auf der Welt! Nein, ich hab keine Angst vor dem Älterwerden. – Nimmt seine
Kappe ab und zeigt auf die grauen Härchen. – Ich kenne eine Menge 30-Jähriger, die komplett lethargisch sind, ohne Spirit, steinalt, und eine Menge älterer Menschen, die super drauf sind. Wir werden geboren und wir müssen sterben. Basta.
30. Juli 2006, erschienen im KURIER