Seit Jahrzehnten trifft Christiane Hörbiger Journalisten im Hotel „Bristol“ vis-a-vis der Wiener Staatsoper. „Darf es heute vielleicht die Präsidentensuite sein?“ fragt das Hotelmanagement und über Christiane Hörbigers Mund huscht das erste zaghafte Lächeln an diesem späten Montagvormittag. Die Schauspielerin, die am 13. Oktober 70 wird, trägt eine dunkle, mit winzigen Strasssteinchen besetzte Brille und ist in schwarzes Kaschmir gehüllt. Dazu trägt sie Jeans und eine Raymond-Weil, die parallel zur Wiener Zeit auch jene von Los Angeles zeigt. „Bei Luca ist es jetzt drei Uhr morgens“, sagt sie leise. Luca ist ihr Enkelsohn. Und sie ist der Weiße Clown. So hat sie ihre Memoiren benannt und wenn sie beim Sprechen die Augen schließt und ihre Worte wählt, sehr ernsthaft und präzise, und sie erst wieder öffnet, wenn ihr Gedankenkonstrukt Sinn macht, dann ahnt man, warum.
Frau Hörbiger, wann haben Sie noch Zeit, eine Biografie zu schreiben?
Lassen Sie sich nicht von den vielen Wiederholungen im Fernsehen täuschen. Ich arbeite gar nicht so viel, wie es am Bildschirm ausschaut. Ich habe heuer genau zwei Filme gemacht. Da bleibt genügend Zeit. Aber so wie Sie, mit Bleistift und Heftchen auf dem Knie, mache ich das nicht.
Wie machen Sie’s?
Ich rede vor mich hin, ich überlege, ich unterhalte mich mit dem Gerhard Tötschinger. Dann plappere ich wieder allein in ein Tonband. Ich mag dieses Schwatzen. Aber natürlich musste ich auch schreiben.
Auf Papier oder in den Computer?
Auf kleine Zettelchen. Ich kritzle auch in diese linierten Einnahmen-Ausgaben-Heftchen mit einem roten Strich in der Mitte, ich habe sie zu Dutzenden zu Hause liegen.
Und wer hat diese Zettelchen dann eingesammelt?
Der Tötschinger. Er hat in der Früh unter der Lampe vorgefunden, was mir in der Nacht eingefallen ist. Manchmal hab ich Gedanken auch direkt in die Maschine getippt, ich besitze eine alte Olivetti, grünmetallisee. Beim Schreiben bekommt man einen Krampf in den Fingern und für die Augen ist es auch nicht gut.
Klingt, als wäre es mühsam gewesen.
War es auch. Dieses Reflektieren, Erinnern und Nachforschen, was man in der Vergangenheit gespürt hat, ist ja nicht angenehm. Man ist gezwungen, über sich selbst nachzudenken und kommt auf Fehler, auf eigene Charakterschwächen drauf. Die Arbeit hat mich eher beschattet und belastet.
Was ist denn die Charakterschwäche von Christiane Hörbiger?
Oh Gott, das wollen Sie jetzt wissen…Es ist doch ein Gefühl von Ehrgeiz, der sich mischt mit … – Denkt angestrengt nach, ob das Wort „Eifersucht“ angebracht wäre. Dann sagt sie mit lauter Stimme: Ich wäre mein ganzes Leben lang überall und an jeder Stelle so gerne die Einzige gewesen. Da man das nicht sein kann, entsteht ein gewisses erstauntes, vielleicht auch neidisches Um-sich-Blicken, dass es andere Leute auch noch gibt, und zwar genau in jenem Moment, in dem man endlich glaubt, an einem Punkt angelangt zu sein, an dem man die einzige ist. Das war in der Familie so, das war in verschiedenen Männerbeziehungen so.
Bei Männern die Einzige sein zu wollen, ist das nicht eine Illusion?
Ich war es bei drei Männern in meinem Leben. Für 70 Jahre ist das glaube ich ein ganz guter Schnitt – Lacht. – Ich habe mir diesen Wunsch, auch wenn es vielleicht mitunter eine Illusion war, jedenfalls aufrechterhalten.
Wann war dieser Drang, etwas Besonderes zu machen und etwas Besonderes zu sein, zum ersten Mal spürbar?
In der Küche in Grinzing. Wir hatten eine Köchin, ein Stubenmächen, eine Tante, die die Hausnäharbeiten gemacht hat. Das war so nach dem Krieg bei einem Schauspieler-Ehepaar, das am Burgtheater gespielt hat. In dieser Küche habe ich vorgesungen: „I bin a stiller Zecher“ und alle haben gelacht. Dieses unbeschreiblich schöne Erlebnis, in der Mitte zu stehen, um mich herum die Damen in der Küche, die applaudiert haben, dieses Gefühl wollte ich weitertragen. Damals war ich 11 Jahre alt und wusste genau: Ich möchte, dass die Menschen über mich lachen oder weinen.
Wäre ein anderer Beruf als Schauspielerin für Sie überhaupt in Frage gekommen?
Lehrerin. Da wäre ich auch in der Mitte gestanden. Als Kind habe ich andere, jüngere Kinder gezwungen, dass sie mit mir Schule spielen. Ich konnte Noten verteilen, sie waren sehr lieb zu mir, und ich stand in der Mitte und war die Einzige.
Warum, Frau Hörbiger, heißt Ihre Biografie „Ich bin der weiße Clown“?
Der weiße Clown ist zum Synonym für meine Arbeit geworden. Als Kind in Zirkus fand ich ihn eher fad. Aber als ich zum ersten Mal ein Lustspiel fürs Fernsehen gedreht habe, da dachte ich über Komik nach und wie ich mich als Schauspielerin mit lauter Komikern um mich herum mit meinem hintergründigen Humor durchsetzen kann. Da fiel mir der weiße Clown ein, der mit einer Ernsthaftigkeit eine Geschichte durchträgt. Der schönste aller Memoiren-Titel ist aber der von Katherine Hepburn: „Ich“.
Wie wichtig ist Ihnen die Auflage des Buches?
Ich werde mich schrecklich fürchten, wenn ich es in der Auslage sehe, weil es ein Stück Leben ist, das da zum Verkauf angeboten wird. Aber wie viele es lesen, ist mir ziemlich egal – anders als beim Film oder Theater, dort ist mir die Quote unheimlich wichtig. Wahrscheinlich war jetzt der richtige Zeitpunkt. Solange man noch im Fernsehen auftritt, ist es für das Publikum noch spannend, was man denkt. Wenn man einmal eine alte Frau ist, dann interessiert es vielleicht keinen mehr.
Wann ist man eine alte Frau?
Ich hab’ mit Erschrecken gelesen, dass die 70-jährigen Frauen in Europa noch 16 Jahre Lebenserwartung haben. Da dachte Ich: Nein! Mit mir macht’s ihr das nicht. Nur noch 16-malWeihnachten? Nein! Ich habe beschlossen: eine alte Frau bin ich erst mit 85.
Fällt Ihnen das Älterwerden schwer?
Das erste Mal habe ich mit 60 begonnen nachzudenken. Da hat der Kameramann gesagt: Christiane, Vorsicht mit dem Hals! – Frau Hörbiger streicht sich besänftigend über den Hals. – Ich hab’ dann meinen Hals im Spiegel betrachtet und gemerkt: Oh Gott, er hat recht. Gut, ich habe diese Falten verdient. Aber was macht dieses Alter mit mir?
Sind Sie erschrocken?
Erschrocken bin ich, als ich zum ersten Mal die Falten an meinem Arm bemerkt habe, diese Alterung des Körpers, der man nicht entgehen kann. Durch Kleidung kann man gewisse Dinge kaschieren – oder mildern. Abgesehen davon lebe ich halt sehr diszipliniert.
Die Themen Schönheit, Liebe, Tod kommen in Ihrem Buch nicht vor, es endet mittendrin.
Vieles habe ich bewusst nicht geschrieben. Ich musste ja schon in die dunklen Tage der Vergangenheit hinuntersteigen, also wollte ich nicht auch noch den Schritt ins Grab machen.
Wo sehen Sie sich mit 90, Frau Hörbiger?
Komischerweise in Grinzing, am Friedhof, zu dem ich über den Hügel hinübergehe, vielleicht beim Helmut Lohner und der Elisabeth Gürtler anläute und frage: Wie geht’s euch denn? Und dann seh’ ich mich mit großem Vergnügen in die Generalproben fahren, vielleicht mit einem kleinen schwarzen Hütchen, und danach bei Kuchen und Kaffee darüber philosophieren.
Mit der Seniorenkarte?
Sie treffen einen wunden Punkt. Als ich unlängst mit dem Autobus gefahren bin und mich der Fahrer gefragt hat, ob ich eine Seniorenkarte hätte, war ich ganz beleidigt und habe wortlos die 5,50 Euro hingelegt. Ich war so wütend. Der nächste, der mich fragt, muss damit rechnen, dass ich aussteig’ und zum Anwalt geh’.
14. September 2008, erschienen im KURIER