Ein prachtvolles Palais mit afrikanisch-fernöstlichem Flair in der Wiener Innenstadt: Früher spielten hier Mozart und Schubert auf. Der Meister selbst, in einem zerknitterten Leinenanzug, öffnet die Tür. Die asiatische Haushälterin serviert Wasser in einem gläsernen Krug. Masken und unzählige Skulpturen verströmen Energie. An den Wänden das „Who’s who“ Moderner Kunst. Im Interview spricht André Heller (59) über seine neue Bühnenshow „Afrika! Afrika!“, sein Verhältnis zur Kunst und die Frage, warum er nicht Kunstminister unter SPÖ- Kanzler Alfred Gusenbauer werden will.
Herr Heller, 625.000 Besucher haben Ihre „Afrika! Afrika!“-Show, die kommenden Donnerstag in Wien startet, in Deutschland gesehen. Haben sich die Künstler schon daran gewöhnt, im Rampenlicht zustehen?
Sie bezaubert das nicht so, im Rampenlicht zu stehen, weil es für sie auch nicht so ein Künstleralbtraum ist, nicht im Rampenlicht zu stehen. Sie haben ein hohes Selbstwertgefühl, was ihre Könnerschaft betrifft, eine innere Lockerheit. Sie haben keine Angst vor der Premiere, keinen Respekt vor Prominenz. Es gefällt ihnen diese Umverteilung ihres Könnens, weil ja die allermeisten Europäer immer nur die Vorstellung von einem im Chaos versinkenden Kontinent haben, wenn sie das Wort Afrika hören, und nicht auf die Idee kommen, dass inmitten von alledem Leute mit einem an Heftigkeit nicht zu überbietenden Einsatz ihr Ideal von einem schöpferischen Leben umzusetzen versuchen. Sie verdienen damit jetzt auch endlich einmal viel Geld.
Bestimmt nicht so viel wie europäische Artisten, richtig?
Falsch. Sie verdienen soviel wie die Stars im europäischen Zirkus. In der Sekunde, in der wir Erfolg hatten, habe ich den Produzenten gebeten, die Honorare zu überprüfen und mit Spitzengagen dem Spitzenerfolg anzugleichen.
Ein sehr sozialistischer Gedanke.
Ich wüsste nicht, wer an einem Erfolg verdienen sollte, wenn nicht die, die ihn errungen haben.
Also auch Sie.
Wir verdienen aufs Schönste mit. Der Produzent hat 6 Millionen Euro investiert, das ist eine enorme Summe für jemanden, der nicht Multimilliardär ist und er hatte nicht die geringste Garantie, dass das gut geht. Daher partizipiert er am höchsten. Die zweithöchsten Partizipierer müssen die Künstler sein, und dann alle andern, und bei allen andern stehe ich in der ersten Reihe.
Die Garantie fürs Gutgehen waren doch Sie.
10000 Leute gehen sicher in jedem Fall hin, weil sie wissen wollen, was der Heller da wieder ausprobiert hat. Aber ein Erfolg in der Größenordnung von „Afrika! Afrika!“ ist nur möglich, wenn der einzelne Zuschauer frohen Herzens herausgeht als potenzieller Werbeträger für die Show. Wenn er das Erlebte nicht mindestens drei andern weiterempfiehlt, dann kommen Sie niemals auf Zahlen von 100.000 und mehr.
Ohne Ihren Namen, die dazugehörige „Verhellerung“, hätte diese Show vermutlich viel weniger Zulauf. Macht Sie das traurig?
Ohne meinen Namen hätte es wahrscheinlich gar nicht stattgefunden: Das macht mich nicht traurig, es macht mich froh, meine Möglichkeiten nützen zu können! Und ich bin professionell genug um zu wissen, dass ich für meine Projekte auf die Barrikaden gehen muss. Ich muss aber aufpassen, wie viel Öffentlichkeit ich mir zumuten kann und wie viel von mir ich der Öffentlichkeit zumuten will.
Ertragen Sie etwa Öffentlichkeit nicht mehr?
Ich hab’s früher geliebt, und es war für mein Ego unendlich heilsam. In der Aufmerksamkeit, aber auch in der Aggression, hab ich mich sehr zuhaus’ gefühlt. Aber irgendwann war das Gottlob gesättigt. Ich brauche dieses Spiel nicht mehr als inneren Nahrungszusatz. Und darum trete ich ja auch selbst seit 25 Jahren nicht mehr auf.
Was reizt André Heller daran, Künstler aus fernen Ländern zu uns zu holen und in gigantische Shows einzubauen?
Es kommt auf den Anreiz an. Die afrikanischen Meister haben ein hohes Verantwortungsgefühl gegenüber ihrer Qualitätswirkung. Diese Wirkung beanspruchen sie, weil es sonst für sie keinen Sinn macht, sich vor Menschen zu wagen. Es geht nie um die Verwirklichung von Selbstverliebtheiten, sondern darum, die Zuschauer mit einer sinnlichen Ermutigung zu versorgen. Der Ursprung all dieser Kunstformen liegt im Ritualwesen, in den großen Lebensfesten, in den Geisterdialogen, das ist eine sehr massentaugliche und gleichzeitig ganzmagische Arbeit mit uralten Wurzeln.
Was ist die Magie von „Afrika! Afrika!“?
Erstens: Die Energie, die man aussendet, erhält man zurück. Das ist die klügste Haltung, die ich auf Erden kenne. Wenn die unsern Politikern, unsern Wirtschaftstreibenden, unsern Künstlern und jeder Familie bewusst wäre, dann wäre Österreich oder Europa in einem besseren Generalzustand. Zweitens: Das Leben findet im Augenblick statt. 2000 Jahre jüdisch-christlicher Einschüchterung mit Sünde-Szenarien haben dazu geführt, dass wir uns häufig mit Schrecken an das Vergangene erinnern und uns gleichzeitig vor der Zukunft fürchten. Darüber vergeht ungenützt der wunderbare Augenblick! Meine afrikanischen Lehrerfreunde hingegen fragen: Wie geht’s dir jetzt? Bist du jetzt gesund? Wirst du jetzt geliebt? Bist du jetzt bei Sinnen? Dann freu’ dich doch über den Schatz deines Augenblicks.
Das ist also die Kunst?
Was Kunst ist, interessiert die afrikanischen Meister so wenig wie mich. Kunst ist für mich keine wesentliche Kategorie! Für mich zählt die Frage: Hilft mir das? Gibt mir das eine Anregung? Macht mich das widerstandsfähiger gegen meine Ängste? Ist das Ergebnis gelungen? Das sind Kategorien. Ich bin im Grunde aus der Kunst und ihrem Regelwerk ausgetreten, genau wie aus den Anmaßungen der katholischen Kirche!
Sie sind Multimediakünstler, Literat, Poet, Liedermacher– was ist eigentlich Ihr Beruf?
Ich hab’ keinen Beruf, sondern immer eine systemimmanente Sehnsucht, auf was Wertvolles draufzukommen, meiner Neugier nachzugeben, diesem uferlosen Wunsch nach Ausbildung gerecht zu werden, und zwar nicht im akademischen Sinn: „Ich muss 17 Doktorate haben!“ Sondern ich möchte so viel Lebenserfahrung aus diesem Leben am Schluss mitnehmen wie nur irgend möglich. Ich möchte wach und aufmerksam hier gewesen sein, wenn ich schon auf diesem Stern der Polarität gastiert habe! Als ein Arbeitsergebnis meines Lebens habe ich das schöne Gefühl, dass ich die letzten 10 Jahre sehr viel freudvoller leben durfte als die 50 Jahre davor.
Und wenn jemand fragt, was Sie arbeiten?
Ich arbeite an mir, am Projekt, aus diesem Entwurf zu einem Menschen, der bei unserer Geburt angelegt ist, einemöglichst liebevolle und genaue Verwirklichung, wennmöglich auf sinnliche Weise, herzustellen! Am Anfang hat man einen Marmorblock, da ist ja die Skulptur drin, aber man muss die Figur durch Arbeit rausholen. Deshalb war ich immer verzweifelt, dass ich noch sowenig Ähnlichkeit hatte mitdem, der ich sein wollte. Mankann nur tapfer und sich selberfreundschaftlich gesonnen meißeln.
Haben Sie nie den Wunsch gehabt, dabei die Welt zu verändern?
Mich wollte ich verändern! Ich bin kein Träumer. Ich bin ein Verwirklicher, das ist das genaue Gegenteil. Ich war immer der Ansicht, dass die kleinste gelungene Verwirklichung mehr wert ist als der größte nicht in Angriff genommene Traum. Ich bin vielleicht jemand, der Träume in der Wirklichkeit auf ihre Statik überprüft. Stürzen sie ein? Lösen sie sich in Staub auf? Aber im Prinzip hab ich gewusst, es gibt nur ein Wesen, auf das ich wirklich einen Zugriff habe, und das mir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, und das bin ich.
Ärgert es Sie, wenn Sie manchmal als „Selbstdarsteller“ und „Blender“ bezeichnet werden?
Ich weiß nicht, was die Alternative zum Selbstdarsteller sein sollte, ein Fremddarsteller vielleicht? Ein bankrotter Begriff, eine skurrile Fehlformulierung ist das. Ich hoffe zu allen Göttern, dass ich am Ende meines Lebens die achtenswerteste Form von mir bin. Aber es rührt an etwas, das ich auch erst sehr spät gelernt habe: Dass man die Macht ganz und gar bei sich selbst lassen muss. Deshalb hab ich auch so eine Freude daran, dass es mir mit bald 60 gelungen ist, mir viel an Gelassenheit und Macht zurückzuholen.
Von wem zurückholen?
Zum Beispiel von der Gier: Immer mehr zu wollen, immer berühmter zu werden, das hindert einen daran, präzise zu arbeiten. Die Macht muss man sich auch im Privatleben zurückholen. Mich hat’s geschleudert über Jahrzehnte, weil ich jemandem Macht über mich gegeben habe und dann hat er sie auch genützt! Aber gelegentlich nicht so, wie es erträglich war.
Apropos Macht. Warum wollen Sie eigentlich nicht Kunstminister werden?
Weil jeder engagiert das tun sollte, wofür er geschaffen ist. Das kann nicht sein, dass ich der Zuständige für die Arbeitsbedingungen von österreichischen Künstlern bin! Das ist nicht meins. Ich halte das für eine ganz ernste Aufgabe, aber dazu muss man viel mehr als ich an die Kunst glauben und die Künstler viel mehr mögen als ich. Ich hab’ gar keine Präferenz für die Künstler, ich hab zum Beispiel eine viel größere Präferenz für Gärtner! Ich würde auch nie mein Paradies in Italien tauschen gegen ein Ministerium in Wien. Das weiß der Alfred Gusenbauer auch ganzgenau.
War es g’scheit von Ihrem Freund, gleich zwei Untersuchungsausschüsse zu starten, während er noch mit der ÖVP eine mögliche Koalition verhandelt hat?
Er hat’s angekündigt und er hat’s auch verwirklicht. Aber das können sich in diesem Land viele schon gar nicht mehr vorstellen, dass einer das, was er vor den Wahlen versprochen hat, nach den Wahlen auch einhält! Das allein reicht für die ÖVP schon zur Empörung. Ich bin einer von Millionen, die wissen wollen, was da rund um den Eurofighter passiert ist, es geht schließlich umsehr viel Geld und um böse Gerüchte.
Jetzt haben wir eine Pattstellung. Sind Sie auch für eine SPÖ-Minderheitsregierung?
Das kann nur ein Übergangsszenario sein, ehrlicher wären gleich Neuwahlen, aber das will offenbar niemand laut sagen.
Hat einer, der schon so viel gemacht hat, noch Pläne?
Ich hab’ Pläne für die nächsten zehn Jahre! Meine Mutter ist jetzt 92 und geht immer noch auf Weltreisen, also bleiben mir wohl noch einige von Agilität erfüllte Jahreszeiten. Was ich bei meiner Mutter sehr bewundere, ist, dass sie immer schöner wird. Sie ist einer der wenigen wirklich schönen Menschen, die ich kenne.
Ihre schönste Erinnerung an sie?
Denkt lange nach. - Ich zögere deswegen so lang, weil meine Mutter mir vor allem hilfreich durch die Schwierigkeiten war, die sie mir bereitet hat. Sie war eines der vielen Hindernisse, die ich überwinden musste, um mir treu bleiben zu können.
12. November 2006