„Ich bin ein guter Märchenerzähler”
Heinz Fischer

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Im Interview zu seinem 70. Geburtstag sprach Bundespräsident Heinz Fischer über freie Tage, ungelesene Bücher und den Charakter seiner Lieblingstiere, der Ameisen.

In der Hofburg herrscht am späten Donnerstagnachmittag rege Betriebsamkeit. Astrid Salmhofer führt eine Gruppe von Gästen durch die imperialen Säle, drei Nobelpreisträger kommen gerade von ihrem Termin mit dem Herrn Bundespräsidenten, und nebenan wird für einen Empfang anlässlich des Ramadan gedeckt.
Hinter der berühmten roten Tür gaben sich in der vergangenen Woche die Parteichefs die Klinke in die Hand. Heinz Fischer wirkt trotzdem sehr entspannt. Er freut sich riesig über einen Stapel mitgebrachter alter Bilder aus dem KURIER-Archiv. Heinz Fischer mit Frau und Tochter beim Skifahren, das Paar in einem roten Puch Cabriolet, der SP-Klubobmann als ehrgeiziger Kicker und an der Seite von Anton Benya, die Haare noch ganz schwarz, im Parlament.
Stolz zeigt auch er uns ein Bild mit seiner Tochter Lisa, mit der er vor 14 Tagen den Großvenediger bestiegen hat – zum 33.Geburtstag der jungen Ärztin.
Er selbst feiert am 9. Oktober seinen 70er. Im Geburtstagsinterview dreht der Bundespräsident beim Sprechen die Daumen, seine blauen Augen wandern sehr vergnügt umher und er wippt, als wollte er einen gemütlichen Takt anschlagen, mit seinem linken Fuß.

Herr Bundespräsident, eine nie gekannte Weltwirtschaftskrise hat nach den USA nun auch Europa erreicht. Genügt es, den Österreichern zu sagen, euer Geld ist eh sicher, ihr braucht keine Angst zu haben?
Solche Sätze sind glücklicherweise nicht falsch, aber es genügt natürlich nicht. Die europäischen Regierungen schenken in diesen Tagen den Veränderungen in der Bankenlandschaft ja auch größte Aufmerksamkeit. Auch die neu zu bildende Bundesregierung wird sich von Anfang an ganz besonders mit dieser Krise beschäftigen müssen.

Gerade waren drei amerikanische Ökonomen bei Ihnen, was sagen sie?
Natürlich habe ich die Gelegenheit genutzt, um sie über ihre Einschätzungen zu befragen. Übereinstimmend haben sie gemeint, dass die Situation in Europa günstiger ist als in den Vereinigten Staaten. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, vor allem aber die Tatsache, dass es die Euro-Zone und eine sehr starke europäische Währung gibt.

Wie wird die Krise unsere Gesellschaft verändern?
Solche Prognosen will ich nicht anstellen. Ich hoffe, dass die Krise in Europa in vertretbaren Grenzen gehalten werden kann. Das Wirtschaftsforschungs-Institut hat die Wachstumsprognose Österreichs für das Jahr 2009 etwas herabgesetzt, es prognostiziert aber immer noch ein, wenn auch geringes, Wachstum. Ich muss davon ausgehen, dass diese Prognose mit allem Verantwortungsbewusstsein, mit aller Seriosität erstellt wurde. Wesentlich ist, welche Schlüsse man zieht, um diese Krise nicht nur zu managen, sondern auch daraus zu lernen. Das wird auch eine wichtige Aufgabe der österreichischen Regierung sein.

Apropos österreichische Regierung:  Erwarten Sie langwierige Verhandlungen?
Ich habe in der abgelaufenen Woche jene Gespräche gefühlt, von denen ich glaube, dass sie fairerweise geführt werden sollen, bevor man seine Entscheidung trifft. Am Montag wird das endgültige Wahlresultat vorliegen, am Dienstag treffe ich noch mit dem Präsidium des Nationalrates zusammen, am Mittwoch werde ich so klar sehen, dass ich den Auftrag zur Regierungsbildung an den Vorsitzenden der mandatsstärksten Partei geben kann.

Wenn die Prognosen stimmen, könnte noch ein Mandat von den Blauen zu den Grünen wandern, dann gäbe es außer Rot-Schwarz gar keine andere Zweierkonstellation mehr, die eine Mehrheit hätte. Gibt es zu Rot-Schwarz überhaupt eine Alternative?
Es gibt immer noch verschiedene Varianten für die Regierungsbildung. Ich kann also nicht so tun, als ob schon Festlegungen vorlägen, die es offenbar nicht gibt.

Man hat den Eindruck Faymann will und Pröll kann nicht, weil seine Partei nicht hinter ihm steht. Trügt dieser Eindruck?
Ich habe gelesen und gehört, dass sich der neue geschäftsführende Obmann der ÖVP Josef Pröll die Optionen offen halten will und das respektiere ich.

Die deutsche ZEIT hat geschrieben, es werde ohnehin wieder die „Weiter-so-Koalition“ kommen, die Österreicher könnten eben nicht anders.
Wenn es zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden stimmenstärksten Parteien kommen sollte, dann darf es eben genau keine „Weiter-so-Koalition“ sein. Die Partner in dieser Konstellation müssen sehr ernsthaft und verantwortungsvoll nachdenken, was sie anders, was sie besser machen können als bisher, sodass eine neue Koalition auch mit neuen politischen Elementen verbunden ist.

Würden Sie als Bundespräsident auch eine  schwarz-orange-blaue Regierung angeloben?
Jetzt ist noch nicht einmal der Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, und Sie fragen mich schon, ob ich auch eine solche Regierung angeloben würde. Das steht jetzt noch nicht auf der Agenda.

Wie spaltend wäre die unterschiedliche Haltung zur EU – Stichwort Leserbrief an die Kronen Zeitung -  für die großen Parteien? Werden sie diese Kluft überwinden können?
Die großen Parteien wären im Fall einer gemeinsamen Regierungsbildung sicher gut beraten, in dieser Frage eine gemeinsame rot-weiß-rote Position zu erarbeiten.

Wie soll das gehen?

–Der Präsident schiebt Fotos, die vor ihm auf dem Tisch liegen, hin und her. Er möchte sich in diese Frage offenbar nicht weiter vertiefen.

Herr Bundespräsident, was geht durch Ihren Kopf, wenn Sie sich alte Fotos anschauen? Wehmut, Glücksgefühle?
Auf keinen Fall Wehmut, da ist viel mehr Freude. Mehr noch: Ich bin begeistert! Erstens bewundere ich ein Archiv, dass das alles gesammelt und parat hat. Manche dieser Bilder gefallen mir ausgesprochen gut. An dieses Bild mit dem roten Auto kann ich mich sehr gut erinnern: Das war ein Oldtimer-Museum in Oberösterreich, das es heute nicht mehr gibt, die haben meiner Frau und mir erlaubt, mit diesem Puch Cabrio ein Stück auf der Straße zu fahren.
Außer dass ich ein bissel weniger Haare und drei Kilo Gewicht weniger habe als damals hat sich aber nicht viel verändert.

Sie sehen sehr jung aus für 70.
Ich glaube nicht! Es ist, wie es ist.

Mögen Sie Komplimente nicht?
Wenn sie im Rahmen des Realistischen bleiben, ist es okay. Übertreibungen bewirken eher das Gegenteil.

Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Sie in den Spiegel geschaut und festgestellt haben: Jetzt werde ich aber alt.
Nein. Absolut nicht.

Als die ersten grauen Haare kamen vielleicht?
Das hat ja mit alt nix zu tun, sondern mit reif! – Lacht und wird nur zögerlich wieder ernst. – Ich kenn’ mein Geburtstdatum und ich weiß, dass es die unentrinnbaren Gesetze der Biologie gibt, das ist mir alles völlig klar. Mein guter alter Freund Heinz Kienzl hat immer gesagt: Wanns’d über 60 bist und in der Früh aufwachst und es tut dir nix weh, dann wasst, du bist gstorbn.“ Aber ich muss sagen: Es tut mir nix weh, und ich lebe immer noch.

 

Nie eine Faltencreme benutzt?
Das nimmt nicht einmal meine Frau! Ich hab’ eine Niveacreme und einen Kamm. Alles, was ich brauche, passt in mein kleines Toilettetäschchen.

Denken Sie sich nie, wie schnell die Jahre vergangen sind und wie viele noch bleiben?
Mir geht’s nicht anders als allen anderen Menschen. Sicher denke ich manchmal: Kinder, warum vergeht die Zeit so schnell? Andererseits hab’ ich enorm viel erlebt. Da tauchen Erinnerungen an den Staatsvertrag 1955, an die Zeit des 2. Weltkrieges auf, an die Luftschutzsirenen, an die Flakgeschütze am Grünen und Roten Berg, an den Einmarsch der sowjetischen Soldaten im Jahr 1945, an die raue Stimme von Leopold Figl, der ja auch mein allererster Chef im Parlament, Anfang 1962,war. Ich sehe Julius Raab vor mir, aber auch Ernst Koref, Bruno Kreisky, Anton Benya, und viele, viele andere Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft – auch im Ausland: Mitterand, Nelson Mandela, Fidel Castro, Gorbatschow, Deng Tsia Pink. Mit meinen Erinnerungen könnten Sie viele Doppelseiten füllen. In der Zeit des Geburtstags werden diese Erinnerungen besonders lebhaft.

Was ist mit 70 anders als mit 60?
Eigentlich gar nichts. Außer dass ich wieder ein Buch geschrieben habe. Wenn Sie durchhalten, publiziere ich bis 80 wieder was! Schreiben ist was sehr Schönes, obwohl man natürlich als Bundespräsident in all seinen schriftlichen und mündlichen  Äußerungen um eine Oktave vorsichtiger sein muss. Dann ein Buch zu schreiben, wenn man das schreiben kann, was man schreiben will, stelle ich mir schön vor.

Könnten Sie das überhaupt noch, eine Oktave unvorsichtiger sein?
Ich werde sicher nie Enthüllungsbücher schreiben – weil ich alles, was indiskret wäre, vergessen habe. Aber eine Nuance lebendiger wären künftige Bücher. Vielleicht genügt es auch schon, dass man nicht mehr Bundespräsident ist und schon wird nicht mehr alles auf die Goldwaage gelegt

Es scheint, dass Ihr Leben nie Brüche, Tiefen, oder Schicksalsschläge hatte.
Brüche hat es eigentlich in meinem Leben nicht gegeben, weder familiär noch gesundheitlich noch beruflich. Und Schicksalsschläge… Wenn die Mutter stirbt, dann ist das ein Schicksalsschlag, aber der bleibt einem, wenn man 70 Jahre alt wird, kaum erspart. Ansonsten habe ich ein relativ überschaubares und geradliniges Leben gehabt. Oft denke ich mir, dass ich demütig und zufrieden sein kann.

Wem ist ein Agnostiker dankbar? Der Herrgott fällt ja aus.
Auch für einen Agnostiker gibt es Faktoren, die er nicht  definieren kann, Sie können es das Schicksal nennen. Und natürlich andere Menschen, die Eltern, die Ehefrau, die Kinder, die so viel zur Lebensfreude beitragen. Auch  wichtige Lehrer: Die Namen meiner Volksschullehrer könnte ich Ihnen alle noch aufzählen.

Wenn Ihre Amtszeit endet, sind Sie 72. Trauen Sie sich zu, noch einmal 6 Jahre anzuhängen?
Da muss man noch sehr sorgfältig nachdenken, aber mit diesem Nachdenkprozess hab ich noch nicht einmal angefangen.

Wann fangen Sie an?
Die Angelobung ist am 8. Juli 2010, die Wahl zwei Monate vorher… Ich denke, am Ende des Jahres 2009 muss es Klarheit geben. Aber dieses Jahr  fange ich noch nicht damit an.

Ertragen Sie den Gedanken an die Pension?
Ganz genau kann ich mir’s nicht vorstellen, wenn ich ehrlich bin. Da werde ich mir selber noch manche Überraschung bereiten. Pension wird so sein, dass ich dem, was mir wichtig ist und was mich interessiert, noch mehr Zeit widmen werde und das wird bald und rasch dazu führen, dass ich wieder einen ausgefüllten Tag habe. Es hat Zeiten gegeben, wo ich von den Büchern, die in meinem Bücherkasten gestanden sind, sicher 90 Prozent gelesen habe. Heute ist diese Zahl auf unter 50 Prozent abgesunken. Das gilt es zu erhöhen.

Haben Sie manchmal Sehnsucht nach so einem Tag, wo Sie nur der Zeit widmen, was Ihnen wirklich wichtig ist?
Ja, aber solche Tage gibt’s ja hie und da. Wenn ich Wien hinter mir lasse und wandern und bergsteigen fahr, kann ich total abschalten. Natürlich begegnet man auch auf der entlegensten Almwiese dann jemandem, der einen anspricht und der sich freut, wenn ich ein Käsbrot mit ihm teile oder wenn im Flachmann noch ein Schluck Zirbengeist für ihn drinnen ist.

Kann ein Bundespräsident unbemerkt auf einen Berg wandern?
Selten. Einmal war ich mit meiner Frau unterwegs in der Gegend von Mürzsteg , einer Pilgerroute entgegengesetzt. Da sind mir soviel Pilger entgegengekommen, dass ich buchstäblich nicht mehr weitergekommen bin.  Immer wenn das Handshake und das Gespräch gerade vorbei war, waren schon die nächsten da. Bitte ein Foto, nur zehn Sekunden! Da ist es mir gegangen wie einem, der in einer Gegenstromanlage schwimmt. – Lacht.– Wir mussten dann seitlich ausweichen. Soviel zum Thema Abschalten.

Womit kann man Sie am Geburtstag glücklich machen?
Ich hab mit meiner Frau besprochen, dass wir am 9. Oktober eine Wanderung machen. Dass ich mit zum 70. einen freien Tag genehmige, ist glaube ich verantwortbar. Vielleicht komme ich nachher sogar noch ins Büro.

Gar kein großes Fest?
Das haben wir kurz überlegt, aber dann verworfen. Da gibt’s dann so viele Fragen: Wer ist eingeladen, wer nicht? Was wird gekocht, was hat es gekostet? Welche Künstler und Politiker sind dabei? Also geh’ ich lieber mit meiner Frau wandern. Ich hoffe, das nimmt mir keiner übel.

Wo sehen Sie sich mit 90?
Bei dem Gedanken sehe ich Menschen vor mir, die ich kenne und die das 90. Lebensjahr erreicht haben. Mein Vater zum Beispiel, auch mein Schwiegervater, obwohl er im Konzentrationslager war. Wenn man Glück hat kann man auch mit 90 Jahren noch Anteil nehmen an der Entwicklung des Landes, am Schicksal von Menschen. Man kann auch mit 90 noch Fragen stellen, an sich selber und an andere. Natürlich, das wäre ein Glücksfall, aber es ist nicht undenkbar.

Werden Sie da in Ihrem Haus auf der Hohen Wand sitzen, vor Ihrem Ameisenhaufen?
Ein schönes Bild. Ameisen sind unheimlich sympathische Tiere, so nützlich, fleißig und liebenswert. Wenn ich meinen Kindern selbsterfundene Märchen erzählt habe, dann durften sie sich immer wünschen, welche Tiere vorkommen sollen. Sie waren in Igel verliebt, der musste immer dabei sein, und ein Schmetterling und ein Frosch und auch die Ameisen waren hoch im Kurs. Meine Frau bedauert heute noch, dass es damals noch keine so kleinen Aufnahmegeräte gegeben hat, denn meine Märchen hätten ein ganzes Buch gefüllt. Ich bin ein guter Kindermärchenerzähler…

5. Oktober 2008, erschienen im KURIER

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