Die „Leading Lady“ von Siemens, Brigitte Ederer, über gefühlte Macht, unmoralische Gehälter und ihr Frausein in einer Männerwelt.
Freitagfrüh um 9 in ihrem Büro bei Siemens Österreich: Gitti Ederer verbreitet Gutenmorgen-Laune und verteilt Kipferln ihres Lieblingsbäckers aus dem Karmeliterviertel. Passend zu den Lachfältchen, die rund um ihre eisblauen Augen herum in ständiger Bewegung sind, trägt sie ein fröhliches Leinensakko mit Blütenprint. „Eine Dame der Gesellschaft hat gemeint, in meinem Alter trage man solche Muster nicht mehr.“ Sie sagt es unbeschwert, fast trotzig.
Als Europa- und Personalchefin des Technologiekonzerns sitzt sie nur noch selten in der österreichischen Zentrale am Stadtrand von Wien. „Da unten, in 400 Meter Luftlinie, bin ich in die Schule gegangen.“ Ederer lässt ihren Blick über Wohnsilos und Industriegebäude schweifen; definiert Floridsdorf und Wien für sich als „Heimat“.
An 47 von 52 Wochenenden im Jahr pendelt sie mit dem „Railjet“ zwischen München, der Siemens-Konzernzentrale, und Wien, ihrem Wochenend-Domizil, das sie mit dem Europa-Abgeordneten Hannes Swoboda teilt.
Frau Ederer, sind Sie im letzten Halbjahr schon ein bisschen deutsch geworden?
Hm. Das einzige deutsche Wort, das ich mittlerweile verwende, ist „Tschüss“. Kaffee betone ich immer noch auf der zweiten Silbe, ich sage nach wie vor „Baba“– und „Sackerl“, nicht Tüte. Meine Gesprächspartner finden das mittlerweile durchaus unterhaltsam.
Als Europa-Chefin ist die Wienerin jetzt endgültig in die Top-Liga der mächtigen Frauen Europas aufgestiegen: stolz?
So wie Sie das gerade formuliert haben, kann ich auch ein bisschen stolz sein. Aber das überwiegt nicht.
Was überwiegt?
Etwas, was immer den Frauen zugeschrieben wird: Mir fallen bei der Frage eher jene Dinge ein, die ich nicht so gut kann. Und dann fühle ich Dankbarkeit: Weil da auch viel Glück und Zufall war …
Mit Glück und Zufall kommt Frau nicht so weit.
Aber ohne auch nicht. Dessen bin ich mir bewusst. Und dass schon morgen alles vorbei sein kann.
Die geborgte Macht, ein Lieblingszitat von Politikern aller Couleurs. Wie fühlt sich die für Sie an?
Macht ist wichtig und nötig, um Ziele zu erreichen, um Dinge durchzusetzen und zu verändern. Macht als Instrument, als Werkzeug.
Welches Werkzeug?
Ein Bohrer harter Bretter. Der Widerstand gegen Veränderungen ist mitunter sehr groß. Veränderungen sind aber notwendig. Ich habe gelernt, dass Veränderungen nur dann möglich sind, wenn ich sie sehr konkret formuliere, wenn das Ziel klar ist und wenn ich es konsequent verfolge.
Sind Sie als Frau nie an der oft zitierten „gläsernen Decke“ angestoßen?
Es ist nicht so, dass mir das alles in die Wiege gelegt worden ist. Aber ich habe nie das Gefühl gehabt, ich stoß' da gegen eine Decke, die es für Männer nicht gibt. Ich erlebe aber jetzt, wo ich älter werde, dass es oft schwierig ist, junge Frauen in Positionen zu bringen. Da gibt es manchmal irgendetwas, das nicht nur fachlich zu begründen ist.
Sondern?
Ich glaube, dass Männer einfach mehr Zeit haben, Netzwerke zu pflegen, sich zu positionieren. Kindererziehung ist in unseren Breitengraden immer noch stark ein Frauenthema. Ich habe in meinem Leben zwei Mal ein schlechtes Gewissen von der Gesellschaft vermittelt bekommen. Das eine Mal hieß es: Kriegst du keine Kinder? Und das zweite Mal: Pflegst du nicht deine alte Mutter? Meine Mutter lebt im Heim und ist durch meinen Umzug ins Ausland kaum beeinträchtigt. Wenn ich am Wochenende auftauche, ist ihre Welt in Ordnung.
Fragen Sie sich manchmal, ob Sie das alles auch mit Kindern geschafft hätten?
Mit Kindern hätte ich das alles nicht geschafft. Du kannst einen Dreijährigen nicht zurücklassen, wenn der Bundeskanzler anruft und sagt: So, jetzt treffen wir uns zu einer Besprechung. Ich hätte das jedenfalls nicht hinbekommen – mit einem Kleinkind ein Leben auf Flughäfen zu führen.
Stimmt es, dass Ihr erster Chef, ein gewisser Ferdinand Lacina, Ihnen empfohlen hat, Folgendes zu denken: Ich bin die Frau Wichtig und mache alles richtig.
Ich bin damals als einzige Frau zu einer Baupreisverhandlung gegangen und hatte Angst, das alles nicht zu schaffen. Da kam dieser Satz, fast wie ein Mantra. Ich denke noch heute bei schwierigen Auftritten daran. Du bist die Frau Wichtig und machst alles richtig.
Wie muss man sich das vorstellen, für 405.000 Angestellte verantwortlich zu sein?
Unterm Strich empfindet man ziemlich viel Verantwortung und Bürde. Aber für mich waren auch die letzten Jahre in Österreich kein Schrebergarten. Ich musste zuletzt über 600 Arbeitsplätze abbauen. Diese Lebenserfahrung hätte ich mir gern erspart, das war psychisch sehr belastend. Für 2011 schaut es Gott sei Dank gut aus.
Haben wir die Wirtschaftskrise überstanden?
Unser Wirtschaftssystem ist sehr verletzlich … Einige Länder, darunter auch Österreich und Deutschland, haben die Krise in beeindruckender Weise gemeistert. Aber zu sagen: die weltweite Krise ist vorbei, das würde ich mich nicht trauen.
Fühlen Sie sich manchmal zerrissen zwischen den Menschen, für die Sie verantwortlich sind, und dem Zwang zum wirtschaftlichen Erfolg?
Arbeitsplätze abzubauen ist nie leicht, weil es immer um Menschen geht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man schnell und entschlossen handeln muss, wenn so ein Schritt notwendig ist. Sonst kostet es am Ende noch mehr Arbeitsplätze. Manchmal ist man in Versuchung zu sagen: Schau ma noch! Aber das ist ganz falsch.
Sagt die Sozialdemokratin in Ihnen nicht manchmal, dass es ungerecht ist, 800.000 Euro im Jahr zu verdienen?
Ich habe mir nie vorgestellt, dass ich einmal diese Summe an Geld verdiene, die ich jetzt verdiene. Ich habe aber gelernt, dass es Ziele gibt, die vom Aufsichtsrat vorgegeben werden, die sind bei Siemens relativ streng. Und dann gibt es eine Bewertung des Aufsichtsrates, der ja auch dafür zur Verantwortung gezogen werden kann. Da zählt letztlich die Leistung.
Damit kann die Sozialdemokratin leben?
Ja. Die extrem hohen Boni, die zum Teil in der Finanzwirtschaft gezahlt wurden, sind ein anderes Thema. Bei Siemens wird ja die Realwirtschaft gemessen, da gibt es keine Luftgeschäfte. Es gab aber sehr wohl Fälle in der Finanzwelt, wo die Boni in keinem Verhältnis zu den realen Erfolgen standen.
Ab wann sind Managergehälter unmoralisch?
Ich glaube nicht, dass es da eine Grenze gibt. Nehmen wir ein hautnahes Beispiel, den Herrn Löscher. Er hat das Unternehmen in zweieinhalb Jahren aus einer ganz schwierigen Situation herausgeführt. Korruptionsvorwürfe et cetera. Heute stehen wir ausgezeichnet da. Das kann man wahrscheinlich gar nicht zahlen.
Bruno Kreisky wäre gestern 100 geworden. In welcher Weise hat er Sie geprägt?
Ich erinnere mich, dass er sich als Bundeskanzler sehr viel Zeit genommen hat, um uns Junge zu maßregeln. Ich hatte mehr Kontakt zu ihm, als er nicht mehr Kanzler war, weil ich teilweise Reden für ihn geschrieben habe. Zuletzt haben wir 1985 telefoniert. Er erklärte mir, dass man keine Koalition platzen lassen kann, nur weil der Frischenschlager (Verteidigungsminister 1983–’86, Anm.) dem Reder (einem Kriegsverbrecher, Anm.) die Hand gegeben hat. Das höre ich heute noch.
Zwei Dinge fallen einem ein, wenn man Ihren Namen hört. Das Busserl vom Mock und der Ederer-Tausender (jener Schilling-Betrag, den sich laut Ederer jeder Haushalt durch den EU-Beitritt sparen würde, Anm.). Geht Ihnen das schon auf die Nerven?
Ich stelle mir manchmal vor, worüber die Zeitungen schreiben werden, wenn ich gestorben bin. Wahrscheinlich genau darüber. Das Busserl, der Tausender. Von anderen bleibt viel weniger übrig.
23. Jänner 2011, erschienen im KURIER