Gottkönig aus dem Himalaja, Religionsführer und Friedensnobelpreisträger: Der Dalai Lama im Exklusiv-Interview.
Mit dem Lächeln, das die ganze Welt kennt, erhebt er seine Hände zu Gruß und Segen, schlüpft aus seinen abgewetzten Flip-Flops und nimmt im Jugendstilsessel Platz, wo er blitzschnell in den Lotussitz wechselt. Barfuß sitzt uns Seine Heiligkeit zum Exklusiv-Interview gegenüber, mit den drei Impfnarben am nackten rechten Oberarm und einem Blick, der Güte ausstrahlt und Frieden. Der weltweite Handlungsreisende der Zuversicht in diesem kleinen Zimmer des Benediktinerstiftes Melk, wo der Dalai Lama am Waldzell-Meeting teilnahm, streng bewacht von Beamten der Terroreinheit Kobra, begleitet von Sekretären und Mönchen und Übersetzern.
Bevor Tenzin Gyatso, wie der 14. Dalai Lama heißt, noch zu sprechen beginnt, scherzt und lacht er schon. Sein Lachen ist ansteckend, bald lachen alle im Zimmer, der Dalai Lama, so heißt es, vermag Herzen zu öffnen. Während des Interviews kehrt dieses Lachen immer wieder – mal im Brustton der Überzeugung, mal als vergnügtes Kichern. Selbst als sich der 72-jährige Gottkönig aus dem Himalaya, mit dem sich Politiker und Medien in aller Welt so gern schmücken, nach unserem Gespräch verabschiedet und mit seiner Gefolgschaft und den stolzen Mönchen in seine klösterlichen Gemächer geführt wird, bleibt sein Lächeln zurück. Auf den Gesichtern und in den Herzen.
Eure Heiligkeit, wenn dieses Interview erscheint, sind Sie nach Ihrer dreitägigen Visite in Österreich und dem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Merkel diesen Sonntag bereits wieder auf dem Weg nach Indien. Wie lässt sich Ihre Reisetätigkeit mit dem Leben eines Mönchs verbinden?
Das war in Österreich ganz einfach, denn das Waldzell-Treffen findet ja in einem Kloster statt. Ich konnte also so leben, wie ich auch sonst lebe. Als buddhistischer Mönch, der um vier Uhr morgens aufsteht und dann fünf Stunden lang betet. Dafür gehe ich spätestens um 19 Uhr schlafen. Abgesehen davon habe ich mich ja in den letzten Jahren teilweise zurückgezogen.
Was machen Sie stattdessen?
Ich lese sehr viel. Philosophische Bücher, die mich interessieren. Ich meditiere und analysiere. Ich widme mehr als 80 Prozent meiner Zeit der Spiritualität.
Sie wirken dabei immer sehr fröhlich. Wacht der Dalai Lama morgens schon mit einem Lächeln im Gesicht auf?
Das hat mich ein Mädchen aus dem Stiftsgymnasium hier in Melk auch schon gefragt. Aber es ist doch so: Wenn ich in aller Herrgottsfrühe schon einsam vor mich hin lächeln würde, wäre das doch ein Zeichen, dass ich ein bisschen plem-plem bin! – Zeigt mit dem Finger auf seine Schläfen und lacht – Nein, das Lächeln braucht ein Gegenüber. Wenn ich Menschen sehe, dann kommt auch das Lächeln.
Und steht wofür?
Für Zufriedenheit. Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich nicht auch wütend werden kann! Oder traurig.
Wütend worüber zum Beispiel?
Über Kleinigkeiten, eine Mücke zum Beispiel, die nicht aufhört, zu summen. Dann werde ich laut und sage ganz böse Worte – kichert. Wenn mein Temperament mit mir einmal durchgegangen ist, geht es mir gleich wieder besser. Wichtig ist nur, dass niemals negative Gefühle zurückbleiben.
Das ist es auch, was Sie in Ihren vielen, vielen Büchern lehren: Dass das Glück oft darin besteht, die richtige Einstellung zu finden.
Weil es nicht möglich ist, alle Probleme, die uns beeinflussen, zu eliminieren und so ein glücklicherer Mensch zu werden. Sicher ist es wichtig, an Problemen mit großem Einsatz zu arbeiten. Aber immer wieder wird es auch Probleme geben, die wir trotz großer Anstrengung nicht lösen können. Wichtig ist unsere eigene geistige Einstellung. Was wir nicht ändern können, darüber sollten wir uns keine Sorgen machen. Dann können wir trotz aller Probleme unseren inneren Frieden und unseren glücklichen Geist erhalten. Aber ohne diese Einstellung verlieren wir bei Problemen schnell die Hoffnung oder regen uns nur noch auf. Ohne diese inneren Qualitäten wird unser mentaler Stress immer sehr groß sein, was sich letztendlich negativ auf unsere Gesundheit auswirkt. – Denkt kurz nach und lächelt – Also ich bin mit meinen 72 Jahren noch sehr gesund.
Wie würden Sie Glück definieren?
Als tiefe, innere Zufriedenheit mit einem Leben, das Sinn macht. Als einen Zustand, den jeder Mensch erreichen kann, wenn er Toleranz und Mitgefühl lebt und sich in Gewaltlosigkeit übt. Unglück ist oft unabänderlich, aber Glück ist harte Arbeit.
Sie sagen, dass Sie meditieren und analysieren. Wie ist das gemeint?
Damit meine ich, dass die Macht der Gedanken riesengroß ist. Wir müssen also aufpassen, was wir denken. Sonst nehmen negative Gefühle von uns Besitz. Wir sollten uns wie Wissenschaftler verhalten und Daten des Lebens sammeln, sie analysieren und die entsprechenden Schlussfolgerungen aus ihnen ziehen. Und dabei immer vor Augen haben: Nichts ist losgelöst, alles hängt von Faktoren ab, die wir berücksichtigen sollten. Gerade Einblick in unsere negativen Emotionen zu gewinnen ist eine wichtige Aufgabe.
Eure Heiligkeit, Sie sind in Umfragen beliebter als der Papst: Was glauben Sie, woher kommt dieser Hunger nach einem spirituellen Führer in unserer Gesellschaft?
Ich weiß es nicht. Aber fragen Sie einmal die Chinesen! Die schimpfen mich einen bösen Menschen, einen Lügner und Verräter. – Beginnt zu lachen und will gar nicht mehr aufhören zu lachen.
Stichwort China, vor dessen Besatzern Sie 1959 aus Tibet flüchten mussten: Haben Sie Heimweh nach Tibet?
Nein. Weil ich in Indien auch glücklich bin. Und weil ich als Dalai Lama schon sehr, sehr früh von meiner Familie separiert worden bin. Heimat ist dort, wo man glücklich ist und gut aufgenommen wird. Immer wenn ich in Indien gesagt habe, dass ich ein Flüchtling bin, haben mir die Menschen energisch widersprochen: Sie sind kein Flüchtling, Sie sind unser Gast!
Für Ihre Bemühungen um ein freies Tibet haben Sie den Friedensnobelpreis bekommen. Wie erklären Sie sich diese von Terror und Kriegen bedrohte Welt?
Krisen und Gewalt wird es immer geben auf diesem Planeten. Trotzdem müssen wir das Gesamtbild sehen. Die Welt heute ist, verglichen mit dem frühen 20. Jahrhundert, eine sehr viel wachsamere, weil die Menschen in größeren Zusammenhängen denken. Und weil die Religionen wieder eine große Rolle spielen.
Würden Sie sagen, dass auch der Islam eine friedliebende Religion ist?
Selbstverständlich! Nur weil ein paar üble Menschen auf dem falschen Weg sind, dürfen wir nicht eine ganze Religionsgemeinschaft verdammen. Das wäre ganz falsch. Denn solche Fehlgeleiteten gibt es auch im Christentum, bei den Hindus, bei den Buddhisten, bei den Juden, überall! Auch hier gilt: Wir werden die Probleme nur friedlich lösen können. Miteinander, das ist der einzige Weg.
Eure Heiligkeit, wo wird der 15. Dalai Lama herkommen?
Das ist eine gute Frage. Und die Antwort ist ganz eindeutig: Bleibt meine Aufgabe, die Befreiung Tibets, unerfüllt, dann muss die Reinkarnation außerhalb Tibets gefunden werden.
Sie haben gemeint, dass der Dalai Lama auch als Frau wiedergeboren werden könnte. War das ernst gemeint?
Selbstverständlich! Buddha hat Männern und Frauen die gleichen Rechte verliehen. Warum also nicht?
Machen Sie sich manchmal Gedanken, was nach Ihrem Tod sein wird?
Der Tod ist für uns nicht das Ende. Ich bereite mich täglich auf den Tod vor. Für uns Buddhisten ist der Tod etwas ganz Natürliches, ein Phänomen, das zum Daseinskreislauf, zum Samsara, gehört. Der Tod ist selbstverständlich unerwünscht. Niemand möchte sterben. Niemand liebt den Tod. Ich denke an die Traurigkeit oder die Angst vor dem Tod. Manche Menschen ertragen die Unvermeidbarkeit des Todes nicht.
Ihr Rat?
Es ist wichtig, diese Unvermeidbarkeit zu akzeptieren und sich nicht ständig darüber Sorgen zu machen. Wenn man seine geistigen Kräfte beherrschen kann, braucht man sich selbst bei einem Flugzeugabsturz nicht zu ängstigen.
Wie stellen Sie sich das Sterben vor?
So, als würde ich eine abgetragene Kleidung gegen eine neue tauschen. Das könnte ja auch etwas ganz Wunderbares sein.
23. September 2007, erschienen im KURIER