Als "Tod" machte er Gänsehaut, beim Festspielball sorgte er für einen Eklat: Im Gespräch mit Conny Bischofberger rechnet der deutsche Schauspieler Ben Becker mit Salzburg ab. Liebesschwüre inklusive.
Er lehnt an der Tischtennisplatte in seinem Berliner Garten, als wir unser Interview beginnen. "Hier ist Chaos", schickt er voraus, "überall Kuchenreste, Spielsachen und zerplatzte Luftballons!" Tochter Lillith feierte noch mal Geburtstag (bei der Hochzeit ihrer Eltern war's das erste Mal). Seine schöne Stimme schnurrt und bebt durchs Telefon, ab und zu ist ein Flieger zu hören und dann wieder die Bahn. "Die Flugzeuge fliegen wirklich bei mir übers Haus. Die Bahn fährt nicht vorbei. Lillith hat mir den Lokomotivton aufs Handy gespielt. Das ist das Signal, wenn ein SMS reinkommt."
45 Minuten hat Ben Becker Zeit, dann kommt seine Tochter nach Hause zu Papa Ben. Mama Anne wohnt nicht weit weg. Und Lillith pendelt. Eine Art Patch ohne viel Work.
Herr Becker, am Samstag lesen Sie in Goldegg gemeinsam mit Nicholas Ofczarek aus dem Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und seinem Verleger. Lange haben Sie's in Berlin nicht ausgehalten...
Wohl wahr. Ich liebe diesen Ort, und er wird mich hoffentlich Zeit meines Lebens nicht mehr loslassen.
Von Thomas Bernhard stammt der Satz: "Ich habe im Übrigen eine echte Abneigung gegen Deutsche."
Ich glaube nicht, dass Herr Bernhard mich gemeint hätte. – Lacht. – Ich bin ja auch nicht der typische Deutsche. Ich bin auf wenig Abneigung gestoßen in Österreich.
Verstehen Sie seine Hassliebe zu diesem Land?
Er ist den Österreichern gegenüber oft ausfällig und geradezu bösartig geworden. Das war er auch sich selbst gegenüber. Das hat ja was mit Auseinandersetzung zu tun. Ich setze mich nur mit dem auseinander, was mich interessiert. Ich habe bei all seiner Hassliebe immer auch einen großen Humor in seinen Texten entdeckt. Ich sitze natürlich gerade über Bernhard, wie Sie sich vorstellen können.
Passen seine Figuren, die endlos schimpfen, um die Abgründe nicht zu spüren, zum Künstler Ben Becker?
Ein bisschen ja. Ich spüre die Abgründe aber manchmal auch ganz gerne.
2007 sind Sie nach einer Überdosis Heroin auf der Intensivstation gelandet. Können Sie ausschließen, dass Ihnen das noch mal passiert?
Ja, das kann ich ausschließen. Das hat tief gesessen, ich gucke mir jetzt sehr genau zu und bin vorsichtig geworden. Der Absturz war von Gott gegeben, ein Wink mit dem Zaunpfahl. Achtung! Achtung! Von daher möchte ich es auch gar nicht missen, denn aus Fehlern lernt man ja bekanntlich.
Tragen Sie deshalb einen Totenkopfring?
Nein, den Ring hat mir ein Freund vor seinem Tod gegeben. Kurz vor seinem Ableben sagte er: "Jetzt ist es deiner!"
Führt Ihnen dieser Ring nicht ständig die Endlichkeit vor Augen?
Nein, der Ring steht eher fürs Leben. Genauso ein Ring hat mich als kleiner Junge schon bei Keith Richards fasziniert. Ich werde ihn irgendwann weiterreichen.
Apropos Tod: Ganz ehrlich, wären Sie nicht gerne gefragt worden, ob Sie den "Tod" im "Jedermann" noch einmal spielen?
Nein, wirklich nicht. Irgendwann ist gut. Ich sage ganz ehrlich: Diese Rolle war für mich dermaßen anstrengend -psychisch und physisch. Manchmal ging mir der "Tod" zu nah, vielleicht weil ich selber mit ihm in Berührung gekommen bin... Der "Tod" ist eine Figur, die sich nirgends festhalten kann. Du stehst alleine da, in einem Nichts, oder höchstenfalls in einem flirrenden Etwas. Und es liegt auch an diesem Kostüm. Ich möchte das nicht mehr überziehen.
Was war mit diesem Kostüm?
Es ist so eng, dass ich Entzündungen in beiden Ohren bekommen hatte. Ich war viermal im Krankenhaus, um mir die Ohren ausspülen zu lassen. Kollege Jens Harzer hat nach einem Jahr Schluss gemacht, weil man auch Platzangst kriegt in diesem Kostüm. Du stehst stundenlang nackt in der Maske, rundherum Leute, die dich ankleistern, man geht zu zweit unter die Dusche, um das wieder wegzumachen. Das geht auch nicht alles ganz spurlos an einem vorbei. Da muss man ein hartes Fell haben. Und so hart ist mein Fell nicht.
Warum, glauben Sie, waren Sie so ein umjubelter Tod?
Das Publikum hat meine Angst davor gespürt. Ich habe sie nicht versteckt. In nur 18 Sätzen, die der Tod im "Jedermann" spricht, war sie immer da. Ich glaube, diese Angst hat dazu beigetragen, dass ich einen so großen Erfolg mit dieser Figur hatte. Aber deswegen muss ich ja jetzt nicht den Tod auf Lebenszeit geben.
Hätte Sie der "Jedermann" reizen können?
Ich habe in irgendeine Kamera -das ist ja mein Humor -gesagt, dass meine Schwester für den "Tod" vorgesehen sei, und dann könnte ich den "Jedermann" spielen. Die haben diesen Schwachsinn auch noch gesendet! Nein, der "Jedermann" wäre nichts für mich. Man hat ihn mir übrigens in Hamburg vor Jahren schon mal angeboten, da habe ich ihn ebenfalls abgelehnt.
Kommen wir zu Ihrem Humor: Sie haben beim Festspielball randaliert und den Intendanten eine "Pfeife" und sogar noch was Schlimmeres genannt. Sollte das auch lustig sein?
Auch da nimmt man mich zu ernst. Außer zwei Zwischenrufen ist ja nichts passiert. "Pfeife" hätte mir übrigens gefallen, aber "Arschloch" würde nicht meinem Humor entsprechen. Ich habe beides nicht gesagt.
Was haben Sie dann gesagt?
"Hauptsache, du singst nicht, Alter!"
Was haben Sie gegen Alexander Pereira?
Ich kenn' ihn ja gar nicht! Einmal hab' ich auf der Straße "Guten Tag" zu ihm gesagt. So einen Vorfall hatte ich schon mal in Oldenburg, da hatte auch ein Intendant gemeint, er müsse nicht mal grüßen. Ich finde, das hat keinen Benimm. Wenn ich etwas habe, dann ist es Benimm. Ich bin frech, ich ruder' weit aus, aber ich weiß, was sich gehört.
Haben Sie den Ball gestört, weil Sie beleidigt waren?
Ich bin kein kleines Kind, ich hatte nur das Gefühl, dass der Festspielball plötzlich wichtiger wird als alles andere. Ich habe auch gehört, dass er mit Statisten aufgefüllt wurde, von denen jeder 70 Euro bekommen hat und von der Kostümabteilung der Salzburger Festspiele die Ausstattung. Im Übrigen waren ja einige Künstler verstimmt ob ihrer Behandlung und Wertschätzung. Da hat sich doch einiges verändert.
Waren Sie betrunken?
Eine Flasche Wein hatte ich schon drin. Aber meine Auftritte haben denen ja auch vier Jahre lang großen Spaß gemacht. Was ich gemacht habe, waren immer nur Kindereien. Als ich die Präsidentin um eine Ausnahmegenehmigung für einen aufblasbaren Swimmingpool für Kinder vor dem Pavillon gebeten habe zum Beispiel, oder wenn ich mit einem döseligen Elektroauto über den Max-Reinhardt-Platz gegurkt bin. Ich habe immer für Unterhaltung gesorgt, und das kam ganz gut an, weil ich nie gelangweilt habe.
Haben Sie's diesmal nicht übertrieben?
Übertrieben war, dass aus dem Dunkeln vier Männer herausgeschossen sind, mich böse angefasst und mir in Polizeimanier schlagartig den Arm umgedreht haben. Das hat wirklich wehgetan. Gewalt im Theater ist ein absolutes No-Go, Gewalt im Theater darf es nicht geben.
Sie sollen einen Regieassistenten in Wien aber auch böse angefasst haben!
Ich habe ihn nie geschlagen. Eben weil ich dieses Gesetz kenne. Ich habe mich aufgeregt, ich habe ihn geschüttelt, aber nicht gerührt. – Lacht. – Herr Pereira hätte zum Beispiel sagen können: "Ach, da drüben blökt der Tod schon wieder!" Das hätte mir den Wind doch sofort aus den Segeln genommen. Seine Reaktion war humorlos, und das finde ich eigentlich schade.
Aber im Grunde lieben Sie Skandale, stimmt's?
Ab und zu hab' ich nichts gegen . – Kichert. – Als ich mich umgedreht habe, musste ich übrigens sehr lachen, denn meine Entourage lief mir erschrocken hinterher. Das lag daran, dass der ganze Tisch nicht mehr bedient wurde, was auch eine Unverschämtheit ist.
Tut das Ihrer Liebe zu Österreich einen Abbruch?
Natürlich nicht. Ich schätze dieses Land außerordentlich, ich habe einen Ort kennengelernt, den ich sehr liebe: Goldegg!
Was lieben Sie denn so?
Mein wunderbares Studierzimmer. Und wenn ich das Fenster aufmache, gucke ich auf den See. Diese wahnsinnig schöne Landschaft! Die Ruhe! Das war auch der Grund, warum ich dieses Jahr überhaupt nicht in Salzburg zu sehen war. Ich hatte keine Lust, mich im "Triangel" sinnlos zu betrinken und dabei begaffen zu lassen.
In Goldegg haben Sie auf einem Bootssteg Ihre Lebenspartnerin Anne Seidel geheiratet. Wird das "Enfant terrible" jetzt plötzlich bürgerlich?
Ich bin ja seit 14 Jahren mit Madame liiert. Einmal hab ich ihr schon das Hochzeitsversprechen gegeben und es wieder gebrochen. Der Gedanke war mir damals tatsächlich zu bürgerlich. Aber dann habe ich gefunden, in Goldegg ist es richtig, und außerdem hat sich Lillith das zum Geburtstag gewünscht. Und so habe ich das auf eine sehr schöne Art und Weise inszeniert.
Sie haben Anne das Jawort in der Lederhose gegeben: Was drücken Sie damit aus?
Ich hab' die einfach gern. Ich finde sie an mir weder folkloristisch noch spießig. Ich schlüpfe da in gewisser Weise auch in das Österreichische hinein, es ist ein Akt der Anerkennung meinerseits.
Haben Sie je daran gedacht, nach Österreich zu übersiedeln?
Mit dem Gedanken gespielt habe ich ich, ja... Aber ich bin ja ein Handlungsreisender in Sachen Kunst... Und die führt mich immer wieder nach Österreich. Irgendwann gucke ich auf den Koffer und denke: Es ist Zeit, dass es wieder losgeht!
Sind Sie in Österreich vielleicht weicher als in Deutschland?
Das kann man so nicht sagen. Ich bin auch hier in Berlin ziemlich weich. Aber vielleicht bin ich in Salzburg eine Spur romantischer. Das macht der See, der Himmel, die Natur.
Wie viele Zigaretten hat Kettenraucher Ben Becker in den vergangenen 40 Minuten geraucht?
Drei Französische. Gelbe Gauloises. Lillith schimpft immer mit mir, Anne nicht, sonst hätte sie mich ja nicht geheiratet. Man hat mir geraten, mit 50 die Finger davon zu lassen.
Das wäre in zweieinhalb Jahren. Werden Sie es schaffen?
Nicht alleine und nicht sofort. Aber um mit Schiller zu sprechen: "Der Gedanke verdient Vergötterung."
16. September 2012, erschienen in der KRONE