Mit Mozart kann ich nicht mithalten
Felix Baumgartner

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Er hat 2012 Geschichte geschrieben: Zehn Wochen nach dem Jahrhundertsprung spricht der Salzburger Felix Baumgartner mit Conny Bischofberger über seine Landung zurück im Leben.

Nach sieben Mal Läuten geht er an sein iPhone. Im Hintergrund wird Flug LX040 von Zürich nach Los Angeles aufgerufen. "Ich geh' grad durch den Security-Check", erklärt Felix Baumgartner, "wir können reden, bis ich einsteigen muss." Es ist 12.30 Uhr, der Airbus der Swiss hebt um 13.20 Uhr ab. Zeit genug, denn der Extremsportler spricht gern und schnell.

Er müsse grad seinen Gürtel ausziehen, schildert er das Prozedere. Irgendwann erfinde er noch einen Gürtel ohne Metall, denn das nerve. Seit seinem spektakulären Sprung aus 39 Kilometern Höhe jettet "Mr. Stratos" um die Welt. London, Dubai, New York. "Born to Fly" hat er auf seinen Arm tätowiert.

Wollten Sie eigentlich schon als Kind fliegen?
Immer. Seit ich denken kann. Die Astronauten der NASA waren meine Kindheits-Heroes.

Und wo zieht es den fliegenden Helden heute hin?
Ich feiere Weihnachten in L.A. und Silvester in Florida, mit meinen Jungs. Joe Kittinger, Art Thompson, Mike Todd,Luke Aikins, Andy Walshe und Jonathan Clark. Nach so einem Projekt geht man nicht einfach auseinander. Wir holen das ganze Team zusammen und feiern, dass das Jahr so erfolgreich war. Und dass wir alle noch am Leben sind. – Lacht.

Am 14. Oktober um 20.06, zur Prime-Time, sind Sie als erster Mensch mit einem Balloon in die Stratosphäre aufgestiegen und schneller als der Schall zu Boden gestürzt. Als Sie in Strudeln geraten sind, haben Sie das bewusst mitbekommen?
Man bekommt jede Sekunde mit. Es war natürlich eine schwierige Situation. Wir haben ja gewusst, dass dieses gefährliche Trudeln kommt, wir wussten nur nicht, wie schnell es kommt und wie lange es dauern wird. Überschallfliegen kannst du eben nicht trainieren, du kannst es einfach nur machen oder nicht machen. Zum Teil war ich also darauf vorbereitet und wusste, wie ich es stoppen kann.

Was ging da genau durch Ihren Kopf?
Du spürst den Sog natürlich total im Kopf und du weißt ja nicht, wann du ohnmächtig wirst.

Hatten Sie auch Angst zu sterben?
Es war eher die Versagensangst, nicht Überschall zu fliegen. Sicherheit war bei unserem Projekt die oberste Prämisse. Um bei diesem Sprung zu sterben, hätten schon sehr viele Dinge gleichzeitig schiefgehen müssen. Nein. So schnell stirbt man nicht.

Hat Ihr Sponsor Red Bull den Tod nicht trotzdem bewusst in Kauf genommen?
Red Bull hat viel Geld und viel Zeit in dieses Projekt investiert, eben damit es mit größtmöglicher Sicherheit über die Bühne geht. Der Tod ist immer präsent, auch wenn ich jetzt gleich in diesen Flieger steige. Ich weiß nicht, wie die Maschine gewartet, wie der Pilot drauf ist. Da ist immer ein gewisses Restrisiko, und das ist der Mensch auch bereit einzugehen, sonst würde er nie in einen Flieger steigen.

Ist man in 39 Kilometern Höhe dem Himmel näher oder sogar dem lieben Gott?
Ich bin nur teil-religiös. Dort oben habe ich eher an die Technik und an mein Können geglaubt als an den lieben Gott. Aber der Himmel war schon sehr präsent. Dort oben zu stehen, am Höhepunkt deiner Karriere, zu wissen, dass du der einzige Mensch auf der Welt bist, der diesen Blick auf die Erde hat, das war ein sehr außergewöhnlicher, einzigartiger Moment. Ich hatte ja nur Sauerstoff für zehn Minuten zur Verfügung, deshalb konnte ich ihn nicht so lange genießen. Aber für ein paar Sekunden habe ich innegehalten, um den Moment zu spüren, auf den ich viele Jahre hingearbeitet habe, eigentlich -ohne es zu wissen -mein ganzes Leben.

"I'm coming home now" – haben Sie sich das vorher ausgedacht oder war das spontan?
Auch Neil Armstrong hat genau gewusst, was er zur Menschheit sagen wird, wenn er als erster Mensch den Fuß auf den Mond setzt. Da werde ich doch nicht warten, ob mir in diesem Moment spontan was Gscheites einfällt!

Felix Baumgartner, das war 2012 der meistgegoogelte Name in Österreich. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat Sie als "mutigsten Mann der Welt" bezeichnet. Schmeichelt Ihnen so was?
Da müsste ich lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das nicht schmeichelt. Es ist schön, wenn die Leistung, die man erbringt, auch anerkannt wird. Und dann noch von Persönlichkeiten wie Ban Ki Moon, das ist schon eine große Ehre. Er hat mich eingeladen, UN-Jugend-Botschafter zu werden. Daran arbeiten wir im Moment.

Würden Sie sagen, dass Sie der berühmteste Österreicher sind?
Wo beginnt die Berühmtheit? Mit Mozart kann ich wahrscheinlich nicht mithalten, aber der ist ja erstens schon tot und zweitens hat er ein paar hundert Jahre Vorsprung. Mit Arnold Schwarzenegger aber beispielsweise schon.

Klingt, als wären Sie nicht uneitel.
Natürlich bin ich eitel! Wie jeder erfolgreiche Mensch.

Wie sehr bestimmt dieser Sprung nach mehr als zwei Monaten noch Ihr Leben?
Noch immer 20 Stunden am Tag, weil ich seit dem Sprung eigentlich nur durch die Welt fliege. Ich war in sehr vielen Talkshows, in Dubai, in England, in Amerika. Meine Karriere hört ja jetzt nicht auf.

Sondern geht wie weiter?
Ich habe sehr viele Angebote. Ich schau' grad auf meinen Laptop. Da sind 10.230 E-Mails.

Die kann man ja gar nicht alle lesen.
Ich schon.

Stimmt es, dass Sie Rettungshubschrauberpilot werden, heiraten und Kinder bekommen wollen?
Der Pilot stimmt. Ich bin mittlerweile 1.100 Stunden Helikopter geflogen, und Rettung zu fliegen ist spannend. Heiraten hab' ich nicht gesagt... Und das Thema Kinder haben Nicole und ich hinten angestellt. Wenn du Kinder hast, dann sind Kinder das Wichtigste in deinem Leben, dann kannst du karrieretechnisch nicht mehr hundertprozentig bei der Sache sein.
Hätten Sie als Vater eigentlich Nerven für ein Kind wie Sie?
Logisch. Wer könnte das besser verstehen als ich?

Kann sich ein so ehrgeiziger Mensch wie Sie auch fallen lassen?
Ich habe meinen Beruf nie als Arbeit gesehen. Deshalb bin ich meistens sehr entspannt. Ich steige in der Früh in ein Flugzeug, werde sechs Stunden später vom Scheich von Dubai empfangen und bin total gespannt, was wieder auf mich zukommt. Es gibt Schlimmeres.

 

Das soll entspannend sein?
Mir macht das Spaß, immer neue Menschen kennenzulernen. Richtig entspannt bin ich, wenn ich dann in die kleine, ruhige Schweiz zurückkehre. Dort ist es so gemütlich, dass ich nie Urlaub brauche. Ich war die letzten 15 Jahre nicht mehr auf Urlaub.

Verstehen Sie, dass Ihnen die Steuerflucht in die Schweiz viele Menschen übel nehmen?
Ehrlich gesagt: nein. Denn ich verdiene ja nicht erst seit dem Sprung Geld. Ich war über 15 Jahre lang Extremsportler in Österreich und habe über 15 Jahre lang in Österreich Steuern gezahlt. Das wurde immer mehr, und irgendwann hat es mir gereicht. Dem Gerard Depardieu nehmen die Franzosen auch übel, dass er nach Belgien auswandert. Aber er hat recht. Er will halt nicht 75 Prozent Steuern zahlen.

Wissen Sie, wie viel Geld Sie besitzen? Man munkelt von zehn Millionen Euro Gage für das Stratos-Projekt.
Natürlich weiß ich das. Es ist noch nicht so viel, dass ich es nicht mehr zählen könnte (lacht).

Wird Sie das glücklich machen? Pilot und UN-Jugendbotschafter zu sein?
Vorerst ja. Aber da gibt es natürlich viele Angebote, die sortiere ich gerade. Ich will einen Mix: An meiner Karriere weiterarbeiten, meinen Bekanntheitsgrad steigern, mich humanitär engagieren. Mit dem Stratos-Projekt haben wir vor allem Kinder berührt. Mein Briefkasten ist voll von Briefen und Zeichnungen. Kinder wurden extrem inspiriert durch meinen Sprung. Die Jugend sehnt sich nach Vorbildern, zu denen sie aufschauen kann. Unsere Politiker sind es leider nicht.

Tief in die Erde hinabzusteigen, hat Sie das nie gereizt?
Ich bin einmal in eine 200 Meter tiefe Höhle in Kroatien gesprungen. Um nichts in der Welt würde ich das wiederholen wollen. Die Höhle weckt Urängste. Da ist diese dramatische, schwarze Ungewissheit. Die Erde, das Wasser: Das ist absolut nicht meine Welt. Ich fühl' mich dort einfach nicht zuhause.

In sieben Jahren sind Sie 50, ...
Danke, dass Sie mich erinnern!

... wo sehen Sie sich da?
Ein klares, konkretes Bild habe ich noch nicht. Für mich sind jene Sportler Vorbilder, die es nach ihrer aktiven Zeit zu etwas gebracht haben. Niki Lauda, Armin Assinger, Franz Beckenbauer. Über den Sport hinaus Erfolg haben, Meinungsbildner zu sein, das würde mich interessieren.

Was waren eigentlich die ersten Worte von Red-Bull-Chef Didi Mateschitz nach dem Sprung?
Er hat mir mit einem SMS gratuliert. Ich glaube, er hat eine Riesenfreude gehabt. Dieses Projekt war an der Grenze des Machbaren und wir hatten das Glück der Tüchtigen.

Nicht alle fanden das Spektakel so super. Ein österreichischer Physiker meinte, das hätte jeder machen können, mit dieser Ausrüstung und so viel Geld.
Der Herr Gruber... Der hätte nicht einmal in den Anzug gepasst. Er hat sich mit seinen Aussagen entlarvt als Unwissender. Da hör' ich lieber auf die NASA. Sie freut sich über die vielen Daten, die wir mit "Red Bull Stratos" sammeln konnten. Wir haben gezeigt, dass der menschliche Körper das Durchbrechen der Schallmauer überleben kann. Das sind Erkenntnisse für die Sicherheitsforschung in der Weltraumfahrt. Geld allein hätte nicht gereicht. Es war auch ungeheure Disziplin und Fleiß und Mut nötig.

Herr Baumgartner, bei allem Respekt für Ihre Leistung: Ihr Kommentar von der "gemäßigten Diktatur" hat Ihnen auch viel Häme eingebracht. Was ist Ihnen da eingefallen?
Die Aufregung darüber ist durch eine mediale Zerpflückungstaktik entstanden. Da wurde aus einer sehr langen Erklärung dieser einzige Satz herausgestellt. Es ging um die gelebte Demokratie der Schweiz, wo ich lebe, und dass in Österreich das Meiste über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden wird. Deswegen wäre mir eine Regierung der besten Köpfe lieber als diese Scheindemokratie, in der Ehrlichkeit und Gerechtigkeit nichts gelten.

Was sagen Sie denn als Salzburger zum Finanzskandal, der derzeit die österreichische Innenpolitik in Atem hält?
Es ist völlig verrückt, die Schuld an diesem Fiasko einer einzigen Frau umzuhängen. Auch wenn die Politiker es nicht gewusst haben sollten: Es ist in ihrer Amtszeit passiert, unter ihrer Verantwortung, und deshalb wären Rücktritte die logische Konsequenz. Aber wenn bei uns Dinge passieren, die völlig daneben sind, dann hat kein Politiker den Anstand, von selber zu gehen.

Gibt es einen Politiker, den Sie respektieren?
Helmut Schmidt. Er hat Reife, Würde, Präsenz. Wenn ich mir am Sonntag "Hohes Haus" anschaue: Das ist ja alles lächerlich. Da wird immer der andere schlecht gemacht, es geht nie um Lösungen, immer nur um Vernaderung. Das hat doch keine Zukunft.

Wie weh tut Ihnen der Schuldspruch am Salzburger Landesgericht? Sie sollen einen griechischen Lkw-Fahrer mit Fäusten attackiert haben.
Erstens ist es für mein Leben unwichtig, zweitens ist es traurig, dass ein österreichischer Richter so entscheidet. Dieser Richter hat schon bei der ersten Verhandlung gesagt: "Herr Baumgartner, an Ihrer Stelle würde ich mich schuldig bekennen!" Da hat er noch nicht einmal den Zeugen verhört. Der hat sich bereits von Anfang an sein Urteil gebildet. Deshalb bin ich jetzt als Schläger verurteilt, obwohl sich der Grieche völlig ungebührlich verhalten und gegen mich getreten hat.

Wie lange läuft eigentlich Ihr Vertrag mit Red Bull?
Ich verrate Ihnen etwas. Ich habe gar keinen Vertrag mit Red Bull. Alles Handshake. Mich verbindet aber eine langjährige Freundschaft. Red Bull ist nicht einfach ein Sponsor, sondern ein wichtiger Partner. Ich werde immer mit Red Bull in Verbindung gebracht werden, ich werde mich immer im Dunstkreis von Red Bull bewegen.

Schmeckt Ihnen der Drink auch?
Logisch! Wenn ich müde bin, auf meinen Reisen, und das bin ich ja sehr oft, dann hilft das wirklich. – Jetzt muss ich aber gleich einsteigen.

Haben die Fluggäste rundherum bemerkt, dass Sie ein Interview geben?
Nein, ich hab' mich in den hintersten Winkel verkrochen. Das ist mittlerweile sehr mühsam geworden. Egal wo ich hinkomme: Die Leute erkennen mich, wollen Fotos auf ihren Smartphones machen, dann muss ich Autogramme schreiben. Mein Gesicht hat sich eingebrannt bei den Menschen. Ich hätte mir nie gedacht, dass das einmal so weltumspannend werden würde.

Es hilft also nichts, wenn Sie den Kontinent wechseln?
Nein, leider. Sie erkennen mich in L.A. genauso wie in Salzburg.

23. Dezember 2012, erschienen in der KRONE